König Spielspaß
Ich hatte es mir diesen Sommer fest vorgenommen: Drei Wochen kein verdammtes Spiel. Drei Wochen völlige Ruhe. Keine Highscores, keine Gamertags, keine Bonuslevels. Keine Notizen, keine Tests, keine Downloads. Einfach mal durchatmen und abschalten.
Das funktioniert nur in konsequenter Enthaltsamkeit bei militanter Stromspartaktik: PC, 360, GameCube, PS2, PSP, DS - den ganzen Klimbim weg vom Stecker. Ladekabel, Steckerleiste, Controller, Trommel, Kettensäge - alle Hilfsmittel einmotten. Dann am besten weit weg. Vielleicht ans Meer in ein Niedrigenergie-Ferienhaus flüchten, das den Anschluss des 360-Netzteils nicht verkraften würde. Besser noch: Zelten.
Diese akribische Vorbereitung ist wichtig - psychologisch und organisatorisch. Natürlich nicht für Ottonormalzocker. Aber wenn man beruflich und privat eine so intensive Beziehung zum Spielspaß pflegt, wird er irgendwann dein König. Er sitzt souverän auf seinem Thron, du dienst ihm, hofierst ihm, folgst ihm. Selbst wenn du irgendwann nur noch an seinen ideenlosen Nachfolgerkrücken humpelst: Einmal
Spielefresser, immer Spielefresser. Oder doch nicht? Wie viele Buttons muss man mashen, bis es einem zum Halse raushängt?
Sehr viele. Unendlich viele. König Spielspaß verfügt über eine magische Anziehungskraft: Er ernährt dich, er unterhält dich, er begeistert dich. Und immer gibt es irgendwo etwas Neues in irgendeinem seiner tausend Reiche. Die Zukunft an seiner Seite besteht aus einer niemals enden wollenden Liste virtueller Kostbarkeiten. Dieses Jahr erobert er gleich zwei neue Juwelen: PS3 und Wii. Seine Schatzkammern werden noch bildgewaltiger, noch geheimnisvoller.
König Spielspaß ist reich und geizt nicht mit Reizen. Er verteilt sie überaus großzügig. Er ist der Langeweiletöter par excellence. Er lässt dich entdecken, kämpfen, fliegen, rasen, springen und natürlich zerstören, gewinnen, siegen. Egal ob Mann, Frau oder Fifa-Spieler: Er sorgt für kindliches Staunen und verwandelt ein Wohnzimmer in Buxtehude in ein bebendes Stadion, ein tosendes Schlachtfeld, einen zauberhaften Wald. Das ist umso fantastischer, wenn draußen vor der Tür König Alltag seine grauen Finger ausstreckt: gegen König Spielspaß hat er keine Chance.
Aber wer seine Köder zu gierig, zu oft runterschluckt, zappelt irgendwann nicht nur als Held, sondern auch als Bettler an seiner Angel. Denn er lässt dich nach immer mehr verlangen. Süchtig? Nein. Das ist ja albern. Nein, nein. Berufstätig, fasziniert, hungrig - ja. Vielleicht auch nimmersatt. Meinetwegen gierig aus Gewohnheit, dabei etwas blass, schlecht rasiert und muskelmotorisch beeinträchtigt. Aber süchtig? Nein. Nicht doch.
Trotzdem stellt sich die spannende Frage: Hält man das einfach so, von heute auf morgen ohne die Welten des Spiels aus? Kann man überhaupt noch ohne König Spielspaß? Was ist das für ein Gefühl, wenn das Summen des Lüfters verstummt, wenn keine Leuchtanzeige glimmt und die Couch plötzlich zur controllerfreien Zone erklärt wird? Wenn der Clan schweigt, die Xbox offline bleibt und die Gamepads Kilometer weit weg verstauben?
Ein gutes. Also wirklich gut. Hätte ich nicht gedacht. Ungewohnt, aber angenehm. Außerdem kann man da draußen so viele andere Schätze entdecken: Das exotische Hamburg, den Stau zur Ostsee, psychoanalytische Bücher, die eigene Frau. Und so stählte mich heroische Abstinenz satte 19 Tage, 20 Stunden und 21 Minuten. Ich fühlte mich stark, frei und unabhängig. Ich hatte diese langen Sommerwochen tatsächlich kein einziges Spiel gezockt, keinen Saturntempel, keinen Importhändler, keine Internetshops aufgesucht. Was für eine vorbildliche Disziplin! Süchtig? Ha! Ein Freak? Niemals! Ein Spielefresser? Nicht immer!
Erste Treuebruchgedanken machten sich breit: Zwingt mir dieser schillernde König des Konsums nicht eine viel zu durchschaubare Gesellschaft mit dämlichen Abziehhelden,
Kitsch und
Klischees auf? Scheucht er mich nicht durch die immergleichen
Billigkriege? Hetzt er mir nicht mit Monstern von der Stange durch den
Mainstream-Sumpf? Und lässt mich mit
Klick&Blöd-System ohne den Zauber der
Entdeckung verdummen? Oh ja! Also zeigte ich ihm die kalte Schulter, wollte ihn von seinem Thron stürzen!
So hatte ich endlich Gelegenheit, die schöne deutsche Sprache von all dem Ballast, all dem Floskelwust zu reinigen. Hab ich vorhin tatsächlich "mashen" gesagt? Mal drei Wochen am Stück kein
Gamish reden, hören, schreiben - und siehe da: Las man dann bei einer erfrischenden Zitronenlimonade einen beliebigen Spieletest, kam ein literarisches Ekelgefühl auf. Das war der erste Schritt zum erholsamen Urlaub...
...habe ich mir eingebildet. Dann ist es in einem verstaubten Laden über mich gekommen. Kein DS, keine 360, kein Game weit und breit. Aber es roch nach Holz, Würfelglück und Spaß. Eigentlich wollte ich nur stöbern. Dann habe ich mir nur für ein Kartenspiel interessiert. Danach sollte es ein unverfängliches Urlaubs-Schach sein. Schließlich fiel mein Blick auf ein episches Brettspiel namens "Der eiserne Thron" - rundenbasiert mit viel Taktik und Diplomatie, drei Einheitentypen, riesige Landkarte, natürlich nicht-linear, dazu eine sehr edle Grafik und kooperativ im Multiplayer sogar bis zu fünft spielbar…
…zack - er hatte mich wieder! Nicht nur der verdammte Soziolekt, auch sein Meister. Ich hab's erst zuhause beim Spielen mit Freunden bemerkt, als ich Armeen bewegte, Verträge schloss, Kämpfe focht. Es war dieselbe Faszination, dieselbe Gier, derselbe Spaß. Da saß ich direkt vor seinem Thron und er lachte mir hämisch ins Gesicht: Headshot, Bullseye, pwned. Drei Wochen habe ich mir eingebildet, ihm den Rücken kehren zu können.
Welch ein Narr ich bin! Welch ein Winzling gegen diesen Jahrtausende alten König! Wie konnte ich ihm untreu werden wollen? Egal ob Bälle, Bretter, Bildschirme - seine Reiche bleiben zauberhafte Reservate, seine Trümpfe töten den Alltag. Und auf meinem Schreibtisch liegt bereits seine Einladung. König Spielspaß lädt Mitte August zum größten europäischen Spielefest in die
Leipziger Hallen...
…ich werde mit ihm feiern!
Jörg LuiblChefredakteur