Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 17
Dienstag, 26.04.2005

TV-Spot vor dem Bosskampf!


Irgendwann im Jahr 2006. Auf einer Zockercouch. Kurz vor dem Höhepunkt:

Lieber Stealth-Action-Fan: Wir unterbrechen diesen Bosskampf für einen kurzen Werbespot unseres Partners. Viel Spaß und weiterhin gute Unterhaltung mit Metal Gear Solid 4 wünschen Ihnen Konami und Coca Cola!

Na, wie hört sich das an? Wie böse Science-Fiction? Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass man den knackigen 30-Sekunden-Spot nicht abbrechen kann. Sich vielleicht hinzu denken, dass man auf dem Weg zum Bosskampf bereits durch düstere Flure und Straßen schlich, die von Texturplakaten der Firmen H&M, Nestle und BMW illuminiert wurden. Und vielleicht auch noch in Betracht ziehen, dass das nur einer von zwölf Bosskämpfen sein wird.

Aber das wäre der Preis, den man für das PlayStation 3-Abenteuer in der supergünstigen Full-Add-Variante zahlen müsste. Full was? Für die volle Werbefassung des Spiels, die man statt zum handelsüblichen Preis von 54,99 für günstige 34,99 Euro bekommt. Oder 30,99 Euro. Oder 24,99 Euro. Das ist doch ein Geschäft, oder? Wen interessieren die blöden Spots, wenn man Solid so wesentlich billiger erleben kann? Und wirkt die Welt dank der Plakate nicht noch authentischer? Psychologisch sei die Werbung in Spielen weitaus weniger störend als die im Fernsehen, da sich Zocker ohnehin hundertprozentig auf die Action konzentrieren würden…

…sagt wer? Massive Incorporated. Noch nie gehört? Das ist eine New Yorker Firma, die ein leistungsfähiges Tool für virtuelle Werbeflächen entwickelt. Was in Spielen wie Anarchy Online oder Splinter Cell: Chaos Theory noch jungfräulich getestet wird, soll in Zukunft in großem Maßstab realisiert werden. Neben IGA World Group und IGN möchten die Amerikaner einer der führenden Software-Zulieferer für die Marketinglawine werden, die in den nächsten Jahren mit Karacho auf uns zurollen wird. Online und offline, auf PC und Konsolen - geht schon mal in Deckung.

Was? Ich male den Werbeteufel zu grell an die Wand? Wenn man die News der letzten Wochen verfolgt, erscheint selbst der fiktive Full-Add-Snake wahrscheinlich. Man muss sich nur umschauen: Wer freiwillig in der Werbeflut des Gizmondo versinken will, bekommt ihn knapp 250 Euro billiger. Warum soll das nicht auch bei Spielen funktionieren? Und Massive Inc. kündigt stolz erste "real-time, in-game campaigns" an. Wenn das nicht nach Werbespots riecht; vielleicht sogar verteilt über die Story? Das würde sogar Xbox-Chef Allards Konzept des neuen episodischen Spiels entgegen kommen: Statt einem Epos werden nur noch Kapitel veröffentlicht. Wie viel Werbepotenzial würden in einem Halo 3 stecken, das als Serie über ein Jahr verteilt würde?

Machen wir uns nichts vor: Der Rubel rollt in der hart umkämpften Arena der Spielewelt mittlerweile so schnell, dass einem vor lauter Blockbustern, Ankündigungen, Übernahmen und Pleiten schwindelig wird. Auf der einen Seite ist viel Spaß, auf der anderen Seite noch viel mehr Geld. Gehört nicht auch das Spiel bzw. die damit verknüpfte Industrie in die Kapitalismusdebatte, die gerade von Müntefering über den Bundestag in den Spiegel geschwappt ist? Die Branche ist eine kunterbunte Seifenblase, die spätestens mit PS3, Xbox 360, Revolution, PSP und Gizmondo gefährlich aufgebläht zum Spielspaßhimmel schwebt. Droht sie zu platzen? Könnte es gar eine Art Schwarzen Freitag geben?

Mit dieser Angst wird zwar nicht direkt argumentiert, aber das finanzielle Jammern hat begonnen: Das Problem der Publisher sei, dass die Entwicklung potenzieller Top-Titel Millionen verschlingen, aber diese nicht unbedingt wieder ausspucken würde. Wie kriegt man das Geld wieder rein? Analysten sind sich einig: über In-Game-Marketing. Bisher blieben Spiele vor einer Werbeflut im TV-, Internet- oder Radio-Ausmaß verschont. Aber jetzt hat man in ihnen die lukrative Plattform der Zukunft erkannt. Warum? Weil man die "kaufkräftige männliche Zielgruppe zwischen 18 und 34 Jahren" mit Half-Life 2 & Co direkt erreicht.

Die Sache ist bereits unter Dach und Fach. Strategen des Marketings stecken gerade ihre Claims ab. Auf Treffen wie dem "Advertising in Games Forum" geht es um die ganz große Kohle. Man kämpft um Partner, Tools und fette Beute. Massive Inc. hat z.B. angekündigt, dass die virtuellen Werbeflächen noch dieses Jahr in knapp 40 Spielen namhafter Publisher zum Verkauf anstehen. Die großen Fische der Spielewelt sitzen bereits mit den noch größeren bekannter Produktwelten beisammen: Vivendi, Ubisoft, Atari und Codemasters treffen auf Coca Cola, Honda, McDonalds oder Nestle.  Irgendwann 2009 oder 2010 soll diese neue Form der Spiele-Werbung dann satte 800 Millionen Dollar einbringen.

Wer profitiert von dieser Tendenz? Alle. Das meinen jedenfalls alle, die den Werbezug anfeuern und jubelnd mitfahren: Die Publisher hätten weniger Risiko(hle). Die Entwickler hätten mehr Budget für coole Ideen. Das Spiel würde endlich gesellschaftlich akzeptiert, wenn sich renommierte Top-Marken in ihm präsentieren. Und am Ende soll sogar der Spieler glücklich sein, sagen selbst Entwickler wie Funcom:

"Die zusätzlichen Werbedollars können wir wiederum in die Spiel-Entwicklung investieren. Am Ende gibt es vielleicht neue Innovationen, von denen wiederum alle profitieren." (GamesIndustry.biz)

Eine rosige Zukunft! Oder doch nicht? Vielleicht ist ein schwaches Wort. Und in Funcom schlägt auch ein kapitalpumpendes Publisherherz. Nehmen wir die Prognose beim Wort: Selbst wenn es Innovationen geben sollte, in welche Spiele werden sie gesteckt? In welche Gameplay-Bereiche? In die teure, aber für die Seele der Games unheimlich wichtige KI- und Verhaltens-Programmierung? In Story und Charaktere? Vielleicht. Das wäre tatsächlich ein begrüßenswerter Fortschritt.

Es gibt aber auch andere, eher verabschiedungswerte Anhaltspunkte. Wenn die Analysten Recht behalten, werden bis 2010 "ein Drittel aller Games gezielt um ein Produkt aufgebaut." Um ein Produkt? Also nicht um einen Helden, eine Geschichte, eine Grafik-Engine oder sonst einen kreativen Ursprung? Am Anfang steht dann nicht die Idee, sondern die Ware. Damit finden Konzeptionen reiner Trash- und PR-Spiele à la Wok-WM den Weg in vollwertige Spiele-Produktionen. Nur mit viel mehr Macht, denn statt Raab werden Großkonzerne Pate stehen. Ich stelle mir das so vor:

Irgendwann im Jahr 2010. Auf einer Marketingcouch von Sarotti. Kurz vor dem Deal:

Boss: Unsere hochwertige Zartbitter-Schokolade muss direkt zur Zielgruppe. Wie erreichen wir das am besten? In einem Shooter? Einem Sportspiel? Einem Racer?

Vize-Boss: Nein, die Analysten meinen, dass sich aufgrund des hohen Kakao-Anteils ein Adventure mit südamerikanischem Flair anbieten würde.

Boss: Wie heißen diese deutschen Adventure-Fritzen?

Vize-Boss: dtp.

Boss: Ruf an. Die sollen ein Spiel um unsere Werbeflächen stricken und einen günstigen osteuropäischen Entwickler verpflichten.

Vize-Boss: Geht klar. Wie hoch soll die Rätsel-Bannerdichte sein?

Boss: Mindestens 1:3. Besser 1:6. Aber nicht zu knackig - Zartbitter hat schließlich weniger Biss als Nuss!

Vize-Boss: Gut. Wie viele Kapitel soll das Adventure haben?

Boss: Dumme Frage! Wir haben zwei TV-Spots und einen Radio-Spot.

Vize-Boss: Okay, also drei Kapitel. Soll es einen Nachfolger geben?

Boss: Erst, wenn wir Walnuss im Sortiment haben.


Jörg Luibl
4P|Chefredakteur

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Für die Recherche:

"New scheme promises to benefit publishers, advertisers - and even gamers" (GamesIndustry.biz)
"Blue Chip Advertisers Flock to In-Game Ad Network" (GamesIndustry.biz)
"Interview mit J. Allard" (Spiegel Online)


 

Kommentare

Jörg Luibl schrieb am
Wir haben übrigens bald ein Interview mit IGA Partners im Angebot. Dort wird erklärt, was es für Werbeformen in Zukunft geben wird und welche sich selbst die größten Geldgeber nicht leisten dürften, wenn sie Spieler nicht vergraulen wollen.
Wird ganz interessant.
Bis denne
Evin schrieb am
Wer nach imemr mehr Realismus plärrt muss Werbung in Kauf nehmen.
Wenn ich bei GTA durch die Stad laufe muss ich zwangsläufig an Werbeplakaten vorbei laufen, wie im wirklichen Leben halt.
Solange ich nicht 150 Cola-Werbeträger erdulden muss ist ja noch alles OK.
Was ich keinesfalls tolerieren würde sind zB die von dir angeführten Werbeeinblendungen. Mir ging das schon zu Playzone-Zeiten tierisch auf den Sack wenn vor DVD-Beiträgen plötzlich irgendwelche Spiele-Werbungen loslegten.
Wie gesagt: mit Maß und Ziel eine gute Sache. Solange ich nicht, wie schon wo anders erwähnt, bei Gothic 3 plötzlich gegen das Jamba-Nilpferd und seine üblen Gesellen kämpfen muss ist alles in Ordnung.
Jörg Luibl schrieb am
*GULP* hat geschrieben:es liest jetzt 2tage später keiner mehr, aber ich halte die kolumne und diesen thread für ...
Doch, hab`s gelesen.;) Schön, dass die Texte Spaß machen.
Bis denne
johndoe-freename-59884 schrieb am
es liest jetzt 2tage später keiner mehr, aber ich halte die kolumne und diesen thread für ......
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*nach nur einem spot können sie meine meinung lesen!!***
*dudeldudeldudeldudel....***
*und jetzt geht\\\'s weiter ..viel spaß****
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..... die / den besten, die auf 4p bisher gelesen habe. respekt geht an jörg und fango.
=)
johndoe-freename-51493 schrieb am
Grauenhaft Witzig und Beängstigend zugleich...da kann man nur hoffen der Zocker wird es $$Gebührend$$ zu würdigen wissen.
schrieb am