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hundertprozent subjektiv

KW 35
Montag, 24.08.2009

gamescom: Im Westen nichts Neues


Habt ihr Bolt sprinten sehen? Wahnsinn, oder? Da fühlte man sich fast an die Glanzzeit von Carl Lewis erinnert. Oder der Diskuswurf von Harting? Was für eine Urkraft! Keine Frage: Das war wirklich ein klasse Sportereignis in Berlin. Warum musste der deutsche Leichtathletikverband dann eigentlich nicht betonen, dass es sich um eine Leit-Leichtathletikweltmeisterschaft handelte? Wahrscheinlich, weil es alle zwei Jahre nur eine WM an einem stetig wechselnden Ort gibt.

Außerdem hört sich die Leilei-Alliteration etwas bescheuert an. Das kann man natürlich nicht vom Fazit des BIU oder des Geschäftsführers der Koelnmesse GmbH sagen - das klingt zwar rheinisch überschwänglich, aber durchaus gut:

"Die Premiere der gamescom ist hervorragend verlaufen. Wir freuen uns über die begeisterten Reaktionen der Aussteller und Besucher. Damit hat sich die gamescom auf Anhieb als Leitmesse etabliert."



Special: Wer zeigte was? Wir haben alle Spiele, Bilder, Videos und natürlich die Eindrücke unserer Redakteure übersichtlich zusammen gefasst. Viel Spaß beim Stöbern!
Hat sie das? Sind wir begeistert? War sie ein so großer Erfolg und richtungweisend für die Branche? Nein. Aber wie in der Leichtathletik der Medaillenspiegel der Gradmesser für einen Verband ist, zählt am Ende einer Messe natürlich nur die Besucherzahl für die Betreiber. Hier kann sich Köln mit stolzer Brust auf dem ersten Platz feiern lassen: 245.000 Spieler pilgerten ins Rheinland - das sind nicht nur 42.000 mehr (ein paar davon sind übrigens in dieser Galerie sichtbar) als auf der letzten Games Convention in Leipzig, sondern auch mehr als irgendwo sonst auf der Welt.

Auf diesem Planeten konkurrieren ja bekanntlich drei Messen miteinander, die auch noch innerhalb kürzester Zeit stattfinden: E3 (Juni), gamescom (August), Tokyo Game Show (September). Bei so viel Enge muss man schon im Vorfeld die PR-Ellenbogen einsetzen, um die nationale Restekonkurrenz in Leipzig, der man ja gewisse Wachstumsprobleme unterstellte, endgültig in die Bedeutungslosigkeit zu schicken, bevor man die internationale Konkurrenz auf diese Zahlen verweist. Dieses Geplänkel interessierte die normalen Besucher vor Ort natürlich nicht. Denen fiel auch nicht auf, dass es insg. weniger Aussteller als noch in Sachsen gab - wo waren eigentlich Codemasters und THQ?

Für sie war die Messe auch ohne "Leit" und Rekorde ein Erfolg: Man konnte zum ersten Mal potenzielle Toptitel wie Diablo 3, Uncharted 2: Among Thieves, FIFA 10, Forza Motorsport 3 etc. anspielen. Auf den ersten Blick hatte Köln auch für die Spielepresse einiges zu bieten, was für angenehme Frische sorgte: Sony senkte den Preis der PlayStation 3 auf 299 Euro, Microsoft präsentiert als Weltpremiere Fable III und Gaffel-Kölsch schmeckt wirklich ganz hervorragend bei gefühlten 39 Grad - nichts gegen Krostitzer, aber aus diesen Reagenzgläsern ging das ja runter wie Öl.

Nüchtern betrachtet fehlte der gamescom doch einiges, um als Leitmesse durchzugehen. Zum einen gehören dazu große Pressekonferenzen aller Konsolenhersteller, in denen man in einer Mischung aus Show und Fakten die eigene Strategie und Vision präsentiert - so wie auf der E3. Die Besucherzahlen sind zwar in Ordnung, aber nichts als Schall und Rauch, wenn es um den Stellenwert einer Spielemesse geht. Zumal zu erwarten war, dass Köln mit dem dicht besiedelten Rheinland und vor allem dem Ruhrgebiet im Nacken mehr Leute anziehen wird. Und angesichts dieses Potenzials ist das letztlich ein denkbar knapper Vorsprung, denn hatte man im Vorfeld nicht mal mit 400.000 gerechnet? Und hätte Leipzig diesen kleinen Zuwachs nicht auch noch verkraften können? Okay, vielleicht nicht in Vier-Sterne-Hotels...

Wichtiger ist ohnehin: Welche Messe zieht die Alphatiere der Branche an, auf welcher Messe werden die Weichen für die Zukunft in den Pressekonferenzen gestellt? Für Microsoft war Köln scheinbar nicht so leitwichtig, denn man verlor in der Molyferenz weder ein Wort über die Xbox 360 oder Project Natal noch über kommende Neuheiten - lediglich Fable 3 wurde angekündigt. Was war das eigentlich für ein winziger Messestand für einen Big Player der Branche? Man musste zweimal blinzeln, um neben Windows 7 noch Forza, Halo ODST und Lips zu erkennen.

Und Nintendo? Ja, sie waren im Gegensatz zur Games Convention wieder an Bord - aber das sah für das BIU-Mitglied eher aus wie mitgefangen, mitgehangen als mitgewollt und groß geplant. Die Japaner messen Köln scheinbar noch gar keine strategische Relevanz bei, denn es gab nicht mal eine Pressekonferenz, keine Rede von Iwata oder Miyamoto, nicht mal einen Hauch der kommenden Wii-Hoffnungsträger Metroid: Other M, Super Mario Galaxy 2 oder dem kommenden Zelda, sondern eine große Ladung DS, dazu DS und Fitness. New Super Mario Bros. Wii wirkte fast schon vereinsamt.

Lediglich Sony nahm Köln so ernst, dass man die Pressekonferenz mit eigenem Veranstaltungsort ähnlich groß aufzog wie in Los Angeles. Und mit der Preissenkung der PS3 wurde die gamescom angenehm aufgewertet. Zwar konnte der neue Europachef mit seiner Zahlenreiterei nicht an den Charme der E3 anknüpfen, zudem fehlten größere Spieleneuheiten, dafür hatte man wenigstens einige kleinere Neuheiten in petto sowie einen der besten und größten Stände für Besucher aufgezogen - die konnten nicht nur Heavy Rain, God of War 3, Uncharted 2 und zig PSP-Titel, sondern auch erstmals Gran Turismo 5 spielen!

Für uns als Spiele-Journalisten gab es aber wie in allen Jahren zuvor sehr viel Recycling. Dass auch in Köln zum großen Teil eine Resteverwertung dessen stattfindet, was in Los Angeles bereits gezeigt wurde, wird auch anhand der Videos deutlich: Es wurden zwar viele Trailer veröffentlicht, aber erstens keine großartigen und zweitens kaum neue. Bei den meisten handelte es sich um Versionen, die um ein paar Sekunden ergänzt wurden - wie schon auf der Games Convention.

Es waren auch Kleinigkeiten im Umfeld, die zeigten, dass Köln mit dieser Premiere ähnlich wie Podolski beim 1. FC noch nicht ganz heiß gelaufen ist: Die Stadt wirkte im Vergleich zu Leipzig, wo man schon am Bahnhof mit einem Brunnen im Little Big Planet-Stil begrüßt wurde und riesige Plakate erblickte, seltsam spieleleer. Man hatte auch nicht das Gefühl, dass sich die Rheinmetropole so euphorisch für die Messe herausgeputzt hatte wie die Sachsenmetropole. In Leipzig quatschte jeder Taxifahrer wie ein Sturzbach über das "große" Ereignis, in Köln bekam man eher Sätze wie "Ist schon wieder eine Messe?" zu hören. Das Gelände wirkte zudem seltsam kahl: Zwar gab es nicht mehr die engen Röhren, aber dafür wurde man als Besucher im Gegensatz zur bunten Show in Leipzig von einer gewissen Sterilität im Inneren begrüßt und selbst auf dem Weg in die Hallen ging man an kahlen Wänden vorbei, ohne dass man auf Gran Turismo 5, Diablo 3 oder andere große Spiele aufmerksam gemacht wurde - es hätte auch eine CeBIT sein können. Und denkbar kontraproduktiv waren die weit auseinander gezogenen Fachbesucherereiche für die Presse: Interview bitte im Congress Center Nord, Präsentation dann im Business Center? So sind viele Termine geplatzt - das hätte man räumlich besser organisieren müssen. Schließlich fehlte Köln auch der glanzvolle musikalische Auftakt, denn es gab kein Konzert wie im Leipziger Gewandhaus - stattdessen landete der Rocket Man "spektakulär" mit dem Schlüssel zu den Hallen.

Vielleicht können die Kölner ja nächstes Jahr ein Orchester für Spielemusik organisieren, Iwata und Miyamoto an den Rhein locken, Microsoft zu etwas mehr Raum verhelfen und beim Hallendesign nachlegen. Die Leitmesse ist dieses wie letztes Jahr allerdings eindeutig die E3. Natürlich auch deshalb, weil sie früher stattfindet. Und weil sie in Los Angeles stattfindet. Nichts gegen Köln, schon gar nichts gegen Europa, aber die wichtigen Entscheidungen dieser Branche werden entweder in Amerika oder Japan getroffen - das wird man in ein paar Wochen auf der Tokyo Game Show feststellen. Macht das die gamescom zur schlechteren Spielemesse? Nein! Wir haben Spaß gehabt, wir haben viel gesehen und berichtet. Man darf nicht vergessen, dass der Kölner Dom ja auch ein gotischer Prachtbau ist, obwohl er nur das dritthöchste Kirchengebäude der Welt ist.

Auch die gamescom könnte erst dann eine "Leitmesse" werden, wenn sie vor der E3 stattfindet und das Konsolentrio dort seine Strategien und Visionen in Form von groß angelegten Pressekonferenzen präsentiert. Es reicht nicht, wenn nur Dritthersteller wie EA, Activision Blizzard und Konami vorbildliche Auftritte und Stände von internationalem Format anbieten. Wir haben jedenfalls als Fachbesucher keinen besonderen Qualitätsgewinn in Köln verspürt.

Es war unterm Strich weder besser noch schlechter als in Leipzig - daher lautet unser Fazit: Im Westen nichts Neues!


Jörg Luibl
Chefredakteur


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Kommentare

carbo schrieb am
War 2 mal in Leipzig und ich geh nimmer hin weil mich die ganzen Kinder nerven die nach nem Kugelschreiber hinterherrennen wie ein Alkoholiker na Spenderleber.
Wenn´s nen FSK 18 Tag geht geh ich hin. Irgendwie kann ich mich daheim mit Internet besser informieren als auf na Messe.
Radioactivegirl schrieb am
Naja ganz "kahl" war die Kölner Innenstadt ja auch nicht. Auf dem Neumarkt waren noch einige Stände u.A. von Sony, sowie ne riesige Pipe auf der Abends noch Skateshows gezeigt wurden.
Zudem sind in der Innenstadt im Rahmenprogramm der Gamescom ja auch noch diverse Bands aufgetreten und ein "Eröffnungskonzert" mit z.B. den Toten Hosen und Ska-p hat auch stattgefunden.
Die großen Knaller und Neuheiten wurden nicht präsentiert, aber ich glaub ebenfalls auch nicht, dass das je passieren wird. Tokyo und LA werden wohl immer attraktiver bleiben. Nichtsdestotrotz können wir uns doch freuen, dass immerhin eine der größten Game Conventions hier in Deutschland ist.
Was mich ziemlich gestört hat, war dass es kein übersichtliches Programm gab...oder von mir aus ein unübersichtliches...wenigstens irgendeins!
Meistens hat man dann am nächsten Tag in der gratis Zeitung am Eingang gelesen, dass am Tag vorher irgendein Promi, an irgendeinem Stand war, irgendein toller Wettberwerb oder ein interessantes Interview stattgefunden hat, ne gute Band aufgetreten ist...usw
Ein Programm was an welchen Ständen los ist wäre wirklich sehr hilfreich gewesen. So hat man ständig Dinge verpasst, weil man einfach nichts davon wusste.
Die Wartezeiten waren teilweise auch heftig. Da verzichte ich dann aufs Diabolo 3 anspielen, bevor ich mich da 4,5 Stunden anstelle (hab zumindest gehört, es soll mitunter so lange gedauert haben), aber ob man so einfach was dran ändern kann?
Die Preise für Essen&Getränke waren natürlich hoch, aber das ist ja meistens bei Conventions oder Festivals so, weil die Gastronomen ja auch irgendwie die teuren Standkosten ausgleichen müssen, zur Not kann man ja auch zum Essen eben das Messegelände verlassen, oder sich selbst was mitbringen, das fand ich jetzt halb so wild.
Es gab auf jeden Fall ordentlich Werbegeschenke die verteilt, oder geschmissen wurden. Ich werde 7/8 der Sachen zwar eh nicht tragen, weil sie einfach viel zu groß und unförmig sind, aber der gute Wille zählt.
KingDingeLing87 schrieb am
Ich konnte leider nicht da sein, aber die neuen Infos der geilen spiele die, die nächsten Monate kommen waren super.
Nur haben mir wirkliche Überraschungen gefehllt.
Ares101 schrieb am
Okey das war dumm ausgedrückt. Das die Bahnkarte enthalten ist war seperat gemeint. Der eigendlich Vergleich betraf eher die Preise im allgemeinen die in Berlin um einiges niedriger als beispielsweise in Köln sind. Wir haben nicht umsonst unser Motto "Arm aber sexy" :wink: Soviel Infastruktur für diese niedrigen Preise locken einfach. Dazu kommt noch die hohe Toleranz und Akzeptanzschwelle, sowie unsere relativ Junge Bevölkerung welche ja das hauptsächle Besucherspektrum abdecken würden.
Abseits davon glaube ich trotzdem nicht das die Veranstaltung sich mal in Berlin wird blicken lassen.
Spunior schrieb am
Vergleicht mal Messetickets in Köln mit denen hier bei uns, die Bahnkarte is meist enthalten
Also ich weiß nicht, wie es mit den normalen Tickets gehandhabt wurde - mit den Fachbesucher-, Presse-, und Austellerausweisen durfte man definitiv alle VRS/VRR-Verkehrmittel nutzen.
schrieb am