Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 37
Freitag, 17.09.2010

APB - Flagshipped


Als ich seinerzeit mit einem damaligen Kollegen auf der Game Developers Conference 2006 weilte, machte eine Geschichte die Runde: Bei Flagship habe man festgestellt, dass Hellgate: London noch ein paar Storyszenen fehlen. Die hätte man dann einfach mal spontan bei Blur in Auftrag gegeben, wo auch die anderen Renderszenen produziert worden waren. Jenes Konferenzgeschwätz dürfte je nach Empfänger mal Neidgefühle, mal Erstaunen ausgelöst haben, denn Animationsspezialisten wie Blur - den meisten Spielern sicherlich auf ewig dank des Intros von Warhammer 40.000: Dawn of War vertraut - setzen sich in der Regel erst in Bewegung, wenn mindestens sechsstellige Beträge im Spiel sind. Flagship? Tja, die konnten sich das ja leisten.

Ob die Geschichte einen wahren Kern hat, weiß ich bis heute nicht. Es würde mich allerdings nicht sonderlich überraschen. Der Rest ist hingegen hinlänglich bekannt: Ein mit viel Hype, Investorenkapital und dank der Gründer mit einiger Reputation versehenes Studio verkalkulierte sich insgesamt grandios. Ein reichlich unfertiges Hellgate: London wurde in den Handel gewalzt (im modernen Sprachgebrauch: flagshipped), ein halbes Jahr später war Flagship pleite.

Den Wanderpokal für die bemerkenswerteste Projektimplosion müssen Roper & Co. jetzt allerdings abgeben. Den darf man sich unabhängig von den Bemühungen der Insolvenzverwaltung im schottischen Dundee ins Regal stellen. Dort nämlich ist bzw. war der Publisher Realtime Worlds (RTW) ansässig, der tatsächlich knapp drei Monate nach dem Verkaufsstart von All Points Bulletin (APB) die Server vom Netz nahm. Dafür ist allerdings nicht nur der Zustand des Produkts verantwortlich (4P-Wertung: 57%), obwohl in ihm schon ein Kern des Problems steckt: Viele Versprechungen, noch mehr Kapital, aber mäßige Qualität.

Der tragische Ablauf hinter der Pleite wirkt nur allzu vertraut: Ein bekannter Entwickler (Bill Roper/Dave Jones) samt passender Begleitung bemüht sich erfolgreich um reichlich Risikokapital. Das stellen diverse Investoren bereit, die da mit der Aussicht gelockt werden, dass ein äußerst bewährtes, den jeweiligen Machern vertrautes Konzept (Diablo/GTA) mit einem zukunftsträchtigen Geschäftsmodell versehen wird. Das muss doch ein Hit werden! Die Presse freut sich, die Herren Entwickler touren derweil durch die Welt, um den lieben Branchenkollegen in gut besuchten Vorträgen auf Konferenzen zu erklären, wie der Hase richtig läuft.

Es ist vielleicht jener Schwung, an dem sich die Beteiligten bewusst oder unbewusst berauschen, um dann den Blick für die Probleme in der Produktion zu verlieren. Ein prall gefülltes Konto sorgt dann zudem dafür, dass man sich - entgegen ursprünglicher Vorsätze - ziemlich spendierfreundig gibt. Das Team wird rasch aufgeblasen, üppig bezahlt und in exorbitant ausgestattete Büros gesetzt. Zusätzlich werden noch fix weitere Studios oder Vertretungen an anderen Standorten aus dem Boden gestampft. Ganz so, wie es der Ruf und das Streben, ein 'Global Player' zu sein, scheinbar verlangt.

Im Falle RTWs hatte es schon früher Warnhinweise gegeben, denn bereits die Produktion von Crackdown lief nicht wirklich optimal. Der Actiontitel wirkte lange Zeit mittelprächtig, und laut Angaben eines ehemaligen Entwicklers schaffte man es erst kurz vor dem (mehrfach verschobenen) Launch, das Ruder herumzureißen. Microsoft musste sich damals dafür belächeln lassen, dass man sich nicht frühzeitig die Option auf eine Fortsetzung gesichert hatte und RTW sich stattdessen nach der Fertigstellung des Titels voll auf APB konzentrierte. Angesichts der Entwicklungshistorie und der wohl eher moderaten Absatzerwartungen kann man dem Publisher das rückblickend nicht verdenken. Der Erfolg des Spiels schien letztendlich beide Parteien überrascht zu haben.

Zurück zu den Parallelen - auch an anderer Stelle haperte es letztendlich: Die versprochenen Geschäftsmodelle erwiesen sich in beiden Fällen als unausgegoren. Hellgate war vielen Nutzern nicht 'MMO-ig' genug, um die optionalen Gebühren zu rechtfertigen - die versprochenen Zusatzinhalten waren zudem die sprichwörtliche Katze im Sack. Es darf gemutmaßt werden, dass das ursprünglich APB-Konzept Abonnements vorsah, im Laufe der Zeit angesichts der Marktstimmung aber umgestrickt wurde. Ein konsequenter Free-to-Play-Ansatz hätte dem Spiel vermutlich letztendlich besser getan und noch ein paar weitere potenzielle Interessenten zugeführt als das Quasi-Vollpreis-Modell mit zusätzlich erwerbbaren Spielstunden.

Einen Mangel an Missmanagement und sicherlich auch Selbstüberschätzung dürfte es weder bei Flagship noch bei den Schotten gegeben haben. Letztendlich zeigte sich hier wie da, dass frühere Erfolge nicht einfach an einzelne Personen, sondern auch an Kontexte gebunden sind. Von den gefühlten 200 Studios, deren Gründungen mit Verweis auf die Beteiligung ehemaliger Blizzard-Leute mit viel Tamtam angekündigt wurden, konnte langfristig nur eine Hand voll wirklich Fuß fassen wie etwa ArenaNet (Guild Wars). Wichtig sind nicht nur die Designer, sondern auch die anderen Leute, die nicht immer direkt an der Front stehen, aber die Kultur eines Studios prägen. Und natürlich die finanziellen bzw. logistischen Rahmenbedingungen, die es Blizzard in Vivendi'scher Obhut ermöglichten, eigene Projekte auf Hochglanz zu polieren oder auch einfach mal einzustampfen.

Flagship und RTW waren jeweils mit einem guten Bogen ausgestattet, hatten aber auch nur einen Pfeil im Köcher. Als der sein Ziel verfehlte, sah man sich plötzlich mit einem verärgerten Raubtier konfrontiert, das man je nach Sichtweise als Metapher für die Kunden oder die Investoren verstehen darf. Zweitprojekte gab es zwar mit Mythos bzw. MyWorld , keines davon taugte jedoch als Backup für den Fall des Scheiterns beim Primärtitel.

Gefehlt haben Leute in den Führungspositionen, die sich nicht nur im früheren Erfolg der Firmengründer, deren Aura der Unfehlbarkeit und der aktuellen Aufmerksamkeit sonnen wollten, sondern stattdessen auch frühzeitig als kritische Stimme wirken und auf die Bremse treten hätten können. Ob diese bei RTW vorhanden waren, aber mit ihrem Feedback ignoriert oder gar untergebuttert wurden und schließlich das Weite suchten, wird nur Insidern bekannt sein. Der Grundtenor aus den bisher veröffentlichten Berichten ehemaliger Angestellter ist jedoch: Die meisten Mitarbeiter hatten ein schlechtes Gefühl und sahen durchaus, dass der Karren dabei war, gegen die Wand zu fahren. Bis zuletzt habe man aber auf ein kleines Wunder oder eine Wendung wie bei Crackdown gehofft.

Das Prinzip Hoffnung hilft allerdings nur in seltenen Fällen.

Dass das Aus der beiden Firmen und ihrer Projekte mit Häme begleitet wurde, haben sie sich in Teilen dank ihrer Versprechungen und vielleicht auch ihrer Öffentlichkeitsarbeit selbst zuzuschreiben. Dass Dutzende von Leuten nach jahrelanger Arbeit vor einem Scherbenhaufen stehen, muss man allerdings nicht bejubeln. Auch hätte es dem Markt sicherlich nicht geschadet, wenn die Studioszene jenseits der kleinen und mittelgroßen Teams mal wieder etwas aufgemischt worden wäre.

RTW sollte als mahnendes Beispiel dienen. Als gesichert darf jedoch gelten, dass die nächsten Anwärter für den ungeliebten Wanderpokal bereits eifrig am Werkeln sind.

Julian Dasgupta
Redakteur


 

Kommentare

Minando schrieb am
?AA hat geschrieben:Ich seh schon, hier sind einige überfordert, sobald nicht völliger Unsinn in einem offiziellen 4players Kommentar steht. Eigentlich sehr schade, hätte wie gesagt gern mehr davon.
Und um zu beweisen dass du recht hast rufe ich dir über einen Abgrund von mehreren Wochen zu: DEPP ! :D
StolleJay schrieb am
Das war mir so was von klar das RTW mit APB so nicht durch kommt :D
Das Game war viel zu Unfertig um damit (Monatliche Kosten *hust*) zu verlangen.
So schade es evtl. auch ist aber das hab ich RTW gegönnt.
AssToAss schrieb am
Ich seh schon, hier sind einige überfordert, sobald nicht völliger Unsinn in einem offiziellen 4players Kommentar steht. Eigentlich sehr schade, hätte wie gesagt gern mehr davon.
Spunior schrieb am
Dr.Rush hat geschrieben:Möglicherweise meinte der Autor es auch
Wie oft soll ich das denn noch erklären?
dmesto schrieb am
So etwas passiert einfach, wenn man lang genug recherchiert um schlussendlich solch einen Text zu veröffentlichen
Weiter so :arrow:
schrieb am