Primitiver Einstieg
Miststück. Schlampe. Kotzen. Scheiße. Nein, das hat nichts mit britischem Understatement oder gar Humor zu tun. Das ist eine Wortsammlung aus den ersten Stunden
Tomb Raider: Legend (TRL). Nicht, dass ich etwas gegen derbe Sprüche hätte, aber die Kraftausdrücke rauben dem Spiel gerade in der deutschen Fassung etwas von seiner mysteriösen Atmosphäre. Sie setzen gleich zu Beginn einen Kontrapunkt zur grandiosen Kulisse - die Ehrfurcht vor der Schwindel erregenden Steilwand oder dem tosenden Wasserfall kollidiert frontal mit diesem prolligen Unterton. Man merkt, dass sich
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Die Lady, die Tiefe, der Absprung: eleganter kann man einen Kopfsprung ins Nass nicht ausführen. (PS2) |
die kalifornischen Entwickler von
Crystal Dynamics (CD) mehr Gedanken um die Geschmeidigkeit der Bewegungen als die der Worte gemacht haben.
Dabei hätte die Symbiose der Serie richtig gut getan. Doch sobald es zusammenhängende Sätze oder Dialoge mit dem über Funk verbundenen Jungwissenschaftler Alister gibt, sollte man entweder seinen Verstand oder die Ohren oder beides in die Warteschleife schicken. Spätestens, wenn 90-60-90-Lara im fast platzenden Top mit den Kollegen in ihrem Herrenhaus über das weitere Vorgehen plappert, möchte man trotz ihrer altklugen Stimme am liebsten "Stupid Girls" von
Pink aufdrehen - und zwar richtig laut. Lara bleibt auch diesmal das hübsch anzusehende Klischee eines aufgedonnerten Babes. Schade, dass man nicht wenigstens eine kluge Archelady aus ihr gemacht hat. Vielleicht ist das zu viel verlangt, aber Helden sind erst dann richtig interessant, wenn sie sich als Charaktere entwickeln: Snake, Sam oder der persische Prinz, ja sogar Rayman haben es jeweils unter anderen Vorzeichen vorgemacht.
Die Qualität der Gespräche pendelt sich irgendwo zwischen dumm, dämlich und naiv ein. Humor und Slapstick kommen ansatzweise höchstens im englischen Original auf - ansonsten geht`s plump zur Sache: Da patrouilliert ein Wachsoldat im menschenleeren Dschungel und beschwert sich, dass er "niemanden abknallen" kann. Lara ballert ihm dafür erstmal in den Rücken, bevor seine Kollegen die "Schlampe töten" wollen und selbige per Rückwärtssalto in Deckung flieht, was ihrem
Dialogpartner wieder fast "kotzen" lässt. Hier hat man viel Flair verschenkt. Wer den süffisanten Humor der Indiana Jones-Filme mag, wird hier ebenso wenig fündig werden wie der Liebhaber eines guten Drehbuchs. Ja, es gibt Zwischensequenzen. Ja, es gibt eine Story. Aber von einer guten Regie, einem intelligenten Plot oder gar Dramatik fehlt jede Spur. Nur ganz am Ende zeigt Lara die vielleicht stärkste Szene ihrer Videospielgeschichte - da will man ihr fast einen Oskar überreichen. Da ist sie fast zur Frau gereift. Da zeigt sie Charakter und kokettiert nicht blöd rum. Also lohnt sich der Weg ins Finale? Ja. Hör ich jetzt auf mit der Krittelei? Nein.
Artus & die Räucherstäbchen
Ärgerlich ist nämlich, dass das Abenteuer so verdammt verheißungsvoll anfängt: Man erfährt etwas über Laras Kindheit, ein altes Schwert in Bolivien lässt ihre Mutter verschwinden, Excalibur lässt grüßen, es gibt sogar einen spielbaren Rückblick, in dem man Lara als Teenager durch ein staubiges Höhlensystem lotst und schließlich weckt ein seltsamer Dämon die Neugier -
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Lara beim Rätsel knacken: Das Schieben und Rollen von Gegenständen funktioniert jetzt in alle Richtungen. (360) |
hier spürt man die angenehm düsteren Finger der Vampirexperten von CD. Bis dahin ist alles durchaus interessant. Aber was hat man aus diesen Zutaten gemacht? Viel zu wenig. Nein: erschreckend wenig. Man hat das Gefühl, dass am Anfang immer der Schauplatz stand und später eine kleine erzählerische Überleitung erfunden wurde - frei nach dem Motto: Lara soll in Japan klettern. Coole Idee. Warum soll sie dahin? Yakuza = Gegner = Schwert! Dabei hat das Team in der vampirischen
Soul Reaver -Reihe bewiesen, dass es zu viel mehr fähig ist und selbst epische Momente aufbauen kann. Hier begeht man allerdings drei Fehler.
Erstens hat man die Flashbacks nicht konsequent genutzt, um mehr über Lara zu erzählen: Das interessante Mutter-Tochter-Verhältnis hätte sich aufgedrängt, wird aber nur gestreift. Wie gut hätte man das Stilmittel der Rückblicke für Laras Erinnerungen gebrauchen können! Zweitens hat man die Reise durch die Kontinente nur oberflächlich verknüpft: Da sitzt man gerade noch auf einem Motorrad in Afrika und ist plötzlich in einem militärischen Sperrgebiet in Kasachstan unterwegs. Wieso, weshalb, warum? Und drittens hat man die Story um die Bruchstücke des zerbrochenen südamerikanischen Schwertes so hanebüchen mit dem Artus-Mythos verknüpft, dass selbst militante Esoteriker mit mildem Räucherstäbchenblick das Grausen kriegen sollten. Mario Zimmer Bradley-Fans oder keltisch interessierte Hobby-Historiker sollten vor dem Spielen besser gleich Beruhigungstabletten nehmen, denn Lara sagt bedeutungsvolle Sätze wie "Es hat in allen Kulturen immer Steine und Schwerter gegeben." Geht`s noch platter?