Phoenix Wright: Ace Attorney - Spirit of Justice14.09.2016, Jan Wöbbeking

Im Test: Übersinnlich oder wahnsinnig?

Ein etwas anderes Gerichtsverfahren

Der Star-Anwalt kippt fast aus den Latschen, als er vom martialischen Rechtssystem der übersinnlichen Monarchie erfährt. Nicht nur ein harmlos wirkender Junge soll zum Tode verurteilt werden: Auch Phoenix droht in diesem Staat die Todesstrafe, wenn er es nicht schafft, einen Freispruch für seinen jungen Fremdenführer zu erwirken, der ihm doch gerade noch so unbeschwert den Tempel und andere Sehenswürdigkeiten zeigen wollte. Kein Wunder, dass sich im Königreich schon seit Jahren kein Anwalt mehr getraut hat, den Anklagen zu widersprechen. Der Beweis für die Verbrechen kommt schließlich direkt von oberster Stelle: Die wie eine Göttin verehrte Kronprinzessin und Priesterin Rayfa Padma Khura’in startet vor Gericht regelmäßig Seancen, um die letzten Erlebnisse, Gefühle und Gedanken von Todesopfern in einer Projektion sichtbar zu machen. Widerspruch scheint also zwecklos, schließlich hat der Richter die ganze Wahrheit praktisch bequem vor Augen – oder etwa doch nicht? Zumindest in diesem Fall spürt Phoenix, dass etwas faul ist und setzt sein eigenes Leben für den jungen Ahlbi aufs Spiel, der einen Wächter erschlagen und ein Artefakt gestohlen haben soll, das als wichtigstes nationales Heiligtum verehrt wird.

Pun-tastisch!
Also findet er sich in einem äußerst seltsamen Verfahren wieder, weil der provinzielle Richter sich z.B. kaum noch daran erinnern kann, wie das Prozedere früher mal im Beisein einer Verteidigung ablief - oder wie ein Kreuzverhör funktioniert. Zwischendurch wechselt die Handlung zu Phoenix‘ jungem Kanzleipartner Apollo Justice, in dessen Rolle der Spieler Gerichtsverfahren mit Hilfe konventionellerer Methoden lösen muss. Außerdem stehen vor dem Gang in den Gerichtssaal wieder Ermittlungen am Tatort auf dem Programm, bei denen man die dreidimensionale Comic-Grafik nach Indizien absucht und Zeugen befragt.

Slapstick und Wortspiele bis zum Abwinken

Schon in den Vorgängern handelte es sich um alles andere als gewöhnliche, dröge Gerichtsverfahren:  Zeugen bekommen Tobsuchtsanfälle, verkleiden sich kurzerhand, zerhacken in Rage riesige Fische, offenbaren gespaltene Persönlichkeiten oder stellen andere derart bizarre Wesenszüge zur Schau, dass daneben selbst alte Gerichts-Soaps wie Barbara Salesch seriös wirken. Auch diesmal geht es wieder heiß her: Capcom hat erfreulich viel Liebe ins Design der verschrobenen Charaktere fließen lassen, die zum Großteil herrlich bescheuerte Wortwitz-Namen besitzen: Der zunächst noch gutmütige, relaxte Hippie-Gitarrist und  Obermönch trägt z.B. den passenden Namen Pees’lubn Andistan’dhin. Fühlt er sich erst einmal in die Enge gedrängt, wird aus dem vorgeblich friedensliebenden Barden aber plötzlich ein rasender Metal-Gitarrist, der seiner Wut in wilden Gitarrensoli vor pulsierenden Riesenboxen freien Lauf lässt.

Die Vision macht vor Gericht die letzten Momente des Opfers sichtbar.
Sogar der hinterlistige, ins Königreich immigrierte Staatsanwalt Gaspen Payne stimmt manchmal hämisch in den Gesang ein – zum Schießen! Das humoristische Drumherum wird diesmal deutlich aufwändiger präsentiert als früher: Wenn Pees’lubn, Albhi und Co. ihre exzentrische Show abziehen, wird das in natürlich flüssigen Animationen und hübschen Kameraschwenks in Szene gesetzt. Die Kronprinzessin führt vor der Verhandlung sogar einen aufwändig choreographierten rituellen Tanz auf, bei dem sie filigran und butterweich die Arme durch die Luft schwingt. Die offensichtlich mit Motion-Capturing aufgezeichneten Szenen wurden erstklassig in die Comicwelt übertragen.

Ein besonderer Tanz

Noch schöner als die Aufführung an sich ist allerdings, dass sie auch im Kontext des Falls und der Rätsel eine ganz besondere Bedeutung erhält. Ich will nicht zu viel verraten, aber ihr solltet beim Zuschauen und -hören gut aufpassen und euch nicht nur berieseln lassen. Allgemein kann es nicht schaden, die zahlreichen Dialoge aufmerksam zu studieren, weil sich daraus hilfreiche Hinweise ergeben. Manchmal ist das aber gar nicht so einfach, weil sich die Figuren wortwörtlich den Mund fusselig reden. Alle Themen, Indizien, Bedenken und Smalltalk-Gespräche werden in beachtlicher Länge ausgewalzt.

Noch ein Wortspiel gefällig?
Dank fähiger Autoren ist der Lese-Marathon meist unterhaltsam und lebendig formuliert und sorgt für eine üppige Gesamtspielzeit von rund 25 bis 30 Stunden. Es gibt aber Momente, in denen es die Entwickler ein wenig übertrieben, die Handlung unnötig in die Länge ziehen und man am liebsten auf A hämmern würde – was man natürlich nicht darf, da man schließlich wichtige Informationen verpassen könnte. Ein weiterer Störfaktor sind die übersinnlichen Seancen, die durch ihre esoterische Umsetzung oft zu vage bleiben, um logische Schlussfolgerungen ziehen zu können. Sie funktionieren in den Grundzügen ähnlich wie ein Verhör. Statt bloßer kurzer Statements sieht man allerdings eine leicht verschwommene Videosequenz der Vision, in der Empfindungen wie Schmerz, bestimmte Gerüche oder Sinneseindrücke wie plötzliche Dunkelheit bei einem Stromausfall zu sehen sind.

Esoterisches Verhör toter Zeugen

Es dauert eine Weile, bis man ein Gefühl für die automatisch weiterlaufenden Eindrücke bekommt: Wann man sie stoppen sollte, wie nun die Eindrücke dem Tathergang widersprechen könnten und welche gesammelten Beweisstücke man aus der Gerichtsakte zum Anzweifeln präsentieren sollte. Der Schmerz vorm Tod z.B. tritt im Gegensatz zur Version der Anklage erst ein, nachdem es in der Videosequenz dunkel wird. Im Prinzip logisch, im Laufe der Videosequenz mitunter aber etwas verwirrend dargestellt. Deutlich überzeugender wirken wieder die klassischeren Schlussfolgerungen des jungen Apollo Justice und seiner liebenswert aufgedrehten Anwaltspartnerin Athena. Sie müssen Phoenix‘ Adoptivtochter, die Magierin Trucy Wright, in einem Mordfall verteidigen. Nachdem dem Magier Mr. Reus (nicht verwandt mit Fußballstar Marco) auf der Bühne ein echtes Schwert statt einer Requisite in die Seite gerammt wurde, wird Trucy nicht nur des Todschlags, sondern des Mordes bezichtigt.

Wie wird die Prinzessin auf den Verlust ihrer Unfehlbarkeit reagieren?
Auch das junge Duo in der Heimat muss sich mit einem Ankläger aus Khura’in herumschlagen: Nahyuta Sahdmadhi hat sich dank seiner übersinnlichen Fähigkeiten bereits Trucys Schuld in den Kopf gesetzt und tritt dementsprechend stur und arrogant auf. Immer wieder streut er nonchalant ein, welche Existenz als niederes Kriechtier die Sünder auf der Verteidigerbank erwartet. Sogar der Richter lässt sich von seinem meditativen Fokus verwirren, was zu absurden Sätzen wie „Nun denn, Herr Mistkäf…. ich meine Herr Justice“ führt. Im heimischen Rechtssystem geht es aber trotzdem klassischer zu. Verhöre werden Satz für Satz durchgeklickt, mit Gegenfragen überprüft und den gesammelten Indizien verglichen.

Fast wie früher?

Mit bloßem Ausprobieren kommt man hier nur selten weiter, meist muss man mit wachem Geist bei der Sache sein, um kleine Unstimmigkeiten zu entdecken. Wie kann z.B. die häschenhafte Assistentin Bonny de Famme das Geschehen unter der Bühne mitbekommen haben, wenn sie die ganze Vorstellung über für das Publikum sichtbar war? Apollo und Athena verlassen sich auf ihre Menschenkenntnis und ihre besondere Auffassungsgabe: Apollo kann feinste Gemütsänderungen an verräterischer Mimik wie leichtem Zittern oder Zwinkern erkennen, während Athena kleinste Unregelmäßigkeiten beim Sprechen registriert, etwa eine zitternde Stimme.

Die Animationen wirken diesmal nicht nur herrlich albern, sondern auch schön flüssig und natürlich.
Zwischen den Verhandlungen geht es zur Pixeljagd an den Tatort. Ähnlich wie in einem klassischen Adventure werden hier Zeugen ausgequetscht, Objekte nach Hinweisen abgesucht oder z.B. in Minispielen mit Touchscreen-Einsatz Fingerabdrücke genommen. Letzteres ist eine nette Abwechslung, die Navigation in den Menüs und am Tatort gestaltet sich mitunter aber etwas umständlich. Beispiel gefällig? Um z.B. unter die Bühne zu gelangen, muss man per Menü „Move“ anwählen und an den allgemeinen Schauplatz wechseln. Das Drehen und Wenden des Bühnen-Tatorts wurde visuell zwar hübsch und sauber umgesetzt, erlaubt aber nur zwei Perspektiven, die ausgerechnet nicht die wichtige Leiter nach unten zeigen. Erst wenn man aus der frontalen Ansicht auf einen Bretterstapel im Hintergrund tippt, gelangt man in die nötige Ansicht, um die Leitern zu benutzen, die zur Maschinerie hinter den Tricks führen. Hinter den Kulissen des Theaters finden sich allerhand Hinweise auf Zwistigkeiten innerhalb eines alten Magier-Ensembles. Für Apollo und Athena steht ebenfalls viel auf dem Spiel, da sie nebenbei von einem Fernsehproduzenten mit einem dubiosen Vertrag erpresst werden.

Etwas umständliches Herumschnüffeln

Noch lässt Athena es locker angehen.
Auch die Rahmenhandlung um das tyrannische Königreich Khura’in schafft immer mehr Verknüpfungspunkte mit dem Rest der Geschichte. Bereits zum Ende des ersten Kapitels wird klar, dass Kräfte aus dem Hintergrund eine Revolution planen könnten. Schade, dass nur eine englische Sprachfassung erhältlich ist. Den Großteil der Geschichte versteht man auch mit mäßigen Englischkenntnissen, aber für wichtige Begriffe während der Verhandlungen kann es nicht schaden, auf dem Smartphone ein Übersetzungs-Tool bereitzuhalten. Während einer Rückblende des ersten Falls wusste ich z.B. nicht auf Anhieb, dass „incense“ Räucherwerk bedeutet – und tappte unterwegs mangels Netzempfang im Zug eine ganze Weile lang im Dunkeln.

Fazit

Respekt an Capcom: Statt nur zum x-ten Mal ein Standard-Programm abzuspulen, haben sich fast alle Teile des Teams noch einmal richtig ins Zeug gelegt: Derart zauberhaft inszenierte Zwischensequenzen, Schwenks und Animationen hätte ich der Serie gar nicht zugetraut! Schön, dass sie nicht bloßes Eye-Candy bleiben, sondern in die angenehm kniffligen Gerichtsverfahren und Ermittlungen eingebunden wurden. Auch die Geschichte rund um das esoterische Königreich und diverse andere Rätsel hat immer wieder meine Neugier geweckt, zumal sie oft vom gewohnt bizarren Humor aufgelockert wird. Ab und zu übertreiben es die Dialogschreiber mit dem Auswalzen von Details, was im Gegenzug aber zu einer üppigen Spielzeit von rund 25 bis 30 Stunden führt. Außerdem ging mir mitunter die Beweissuche in den übersinnlichen Visonen auf die Nerven, weil sie im Vergleich zum klassischen Verhör oft zu vage und verwirrend bleibt. Die meiste Zeit über hat mich Phoenix Wrights aktuelles Abenteuer mit seinen knackigen Rätseln und viel Humor aber gut unterhalten.

Pro

spannende Verhandlungen mit zahlreichen Wendungen
knifflige Rätsel erfordern eine wache Kombinationsgabe
albern designte Figuren mit viel Persönlichkeit
aufwändig inszenierte und toll in die Fälle eingebundene Zeichentrick-Sequenzen
viele überdrehte Gags und Wortspiele
üppiger Umfang mit rund 25 - 30 Stunden Spielzeit
magisches Königreich eröffnet neue Perspektive auf Rechtssysteme

Kontra

übersinnliche Untersuchung von Rückblenden oft verwirrend und ungenau
zahlreiche Dialoge ziehen manche Verfahren und Untersuchungen ermüdend in die Länge
Steuerung und Menüführung mitunter umständlich
nur englische Sprachfassung erhältlich

Wertung

3DS

Gelungene und aufwändig produzierte Ausgabe des albernen Gerichtsabenteuers mit kleinen Macken bei Dialogen und den übersinnlichen Ermittlungsmethoden.

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