Inoffizielles GTA-Add-On?
Nachdem der Vorgänger sich bereits in einigen Punkten an den letzten Teilen von Rockstars GTA-Serie orientierte, aber in keinem Bereich eine wirkliche Annäherung geschafft hat, fühlt sich dieses San Francisco noch stärker so an, als ob es ein inoffizielles Add-On für Grand Theft Auto 5 sein könnte. Und das meine ich in diesem Falle durchweg positiv. Die Farbgebung ist ähnlich, die Spielwelt mit ihren unterschiedlichen Stadtgebieten und den verschiedenen Bevölkerungsschichten abwechslungsreich. Selbst das Fahrverhalten der zahlreichen nicht lizenzierten, aber echten Autos nachgebildeten Boliden schlägt in die gleiche Kerbe wie das Abenteuer von Michael, Franklin und Trevor in Los Santos: Arcadig, aber letztlich abhängig vom Vehikel gut zu kontrollieren. Doch so ansehnlich die Kulisse mit ihrem dynamischen Wetter, dem Tag-Nachtwechsel und den schicken Lichteffekten auch ist, läuft sie auf Konsolen leider nicht immer rund. Immer wieder kommt es zu Tearing und zu allem Überfluss finden sich auch gelegentlich Situationen, in denen die Bildrate deutlich sichtbar absinkt - auf der Xbox One tritt dieses Phänomen geringfügig häufiger in Erscheinung. Nichts davon ist wirklich kritisch oder Spiel beeinflussend, stört aber in den jeweiligen Momenten dennoch.
Die Golden Gate Bridge darf im San Francisco von Watch Dogs 2 natürlich nicht fehlen.
Und in einem Punkt schafft es Ubisoft Montreal tatsächlich, am Open-World-Primus vorbeizuziehen: dem Figurenverhalten. Zwar könnte die Metropole San Francisco sowohl auf den Straßen als auch den Bügersteigen belebter sein - man findet keine Staus oder selbst an Tourismus-Punkten größere Menschenmassen. Doch wenn man sich hier entweder zu Fuß durchschlägt, das Cablecar-System nutzt oder auch auf vier Rädern unterwegs ist und aussteigt, um die Bevölkerung zu beobachten, entsteht ein sehr authentisches Bild. Sicher: nach zig Stunden stellt man sich wiederholende Verhaltensmuster fest. Doch bis zu diesem Punkt wurde ich immer wieder von Skripten, Events und Aktionen bzw. Reaktionen überrascht. Ein Flashmob, der sich zu einer Tanzgruppe formiert. Schwule Pärchen (San Francisco!), die sich in den Armen halten und küssen, bevor sich einer umdreht und fragt, was es zu glotzen gibt. Passanten, die einen bei Selfies "photobomben". Touristen, die einen beschimpfen. Kleingangster, die ein Auto klauen wollen - dumm, dass es eines war, das ich mir ausgesucht hatte und ich daher meinen Tazer zum Einsatz bringen musste. Je nach Auswahl der zahlreichen Emotionen wie Jubel, Begrüßen, Flirten, Beschimpfen usw. kommt es zu spannenden Begegnungen. Ganz besonderes Lob möchte ich den Designern für die Darstellung der LGBT-Community San Fransiscos geben. Vollkommen ohne Vorurteile, ohne mahnenden Zeigefinger und bar jeglicher Hemmungen wird auch dieser wichtige Bestandteil der Bevölkerung Friscos zu einem selbstverständlichen Teil der Spielwelt.
Hacken, Schleichen, Ballern
Der Nahkampf ist simpel und zu mächtig - vor allem im Zusammenspiel mit den Ablenkungen per Mobilhack.
Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, dass diese Spielwelt nur den lebendigen Hintergrund für die Action innerhalb der insgesamt über 35 Haupt- und Nebenmissionen abgibt. Und wer will, kann diese Welt sogar weitgehend ausblenden und sich nur auf die Kerngeschichte konzentrieren. Soll heißen, dass man sich z.B. bis auf Ausnahmefälle nicht einmal großartig durch den Verkehr wühlen oder seine Einflussmöglichkeiten bei Ampelschaltung, kurzzeitiger Fernsteuerung anderer Fahrzeuge (wenngleich sehr häufig sehr witzig, wenn man einen leicht morbiden Sinn für Humor hat) oder explodierenden Gulli-Deckeln nutzen muss, um zum nächsten Missionsmarker zu kommen. Der Clou: Man kann sich zu Geschäften etc. per Kurzreise "teleportieren". Und von dort ist es im Normalfall nur ein kurzer Fußmarsch oder eine nicht einmal 30 Sekunden dauernde Fahrt, bis die nächste Etappe der Mission beginnt. Beim Design der Aufgaben, die sich natürlich hauptsächlich um Infiltration, Hacken sowie der Beschaffung sensibler Daten drehen, lässt sich Ubi auf Dauer zwar zu wenig einfallen, sondern variiert meist nur Schauplatz sowie Anzahl und Aufmerksamkeit der Gegner. Doch durch die drei prinzipiellen Methoden, wie man diese Missionen in Angriff nehmen kann, und die man je nach Situation auch mischen oder anpassen sollte, kommt dennoch immer wieder punktuell Spannung auf. Und es gibt auch die gelegentlich eingestreute Etappe, in der man etwas Neues einbaut, was aber meist nicht wieder aufgegriffen wird. Das reicht zwar nicht, um das generelle Missionsdesign massiv aufzuwerten, das nur durch neu erlernte Hacker-Möglichkeiten variiert wird, birgt aber ein gewisses Überraschungsmoment. Und welche Auswirkung das auf die Motivation und die Laune haben kann, zeigten vor allem die letzten Schritte auf dem Weg zum Finale, bei dem Ubisoft auch kreativ wird und mir in mehr als einem Moment ein seliges Lächeln aufs Gesicht zauberte, auf die ich aber aus Spoiler-Gründen nicht weiter eingehen möchte. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle allerdings die neuen Hacker-Puzzles, die auf dem Schalter-System des Vorgängers fußen, dieses aber in die dritte Dimension hebeln und man mitunter Pfaden an Häuserfassaden folgen muss.
Man kann auch mit dem Jumper versuchen, Gebiete zu infiltrieren, ist dann aber anfälliger dafür, entdeckt zu werden.
In den Standardmissionen kann man z.B. versuchen, mit Hilfe der simplen Schleichmechanik ungesehen an sein Ziel zu kommen: Sobald Marcus in einen gesperrten Bereich eindringt, geht er automatisch in den "Stealth-Modus", bewegt sich nur kauernd und lässt sich per Knopfdruck hinter einer Deckung nieder. Auch der Wechsel von Deckung zu Deckung oder um Ecken herum ist mit dem gleichen Knopf zu erreichen. Eine Möglichkeit, Gegner anzulocken gibt es hier übrigens ebenso wenig wie die Option, betäubte oder getötete Feinde zu verstecken, was angesichts der Splinter-Cell-Nähe des Studios leicht enttäuscht. Da die KI mit Ausnahme der aufmerksamen Entdeckung aber auch nicht immer zufriedenstellend arbeitet, ist mir dieser Weg immer noch lieber als in Mafia 3, wo man hinter einem Vorsprung alle Feinde in der Umgebung zu sich locken und ausschalten konnte. Dafür jedoch kann man mit seinem Mobiltelefon als Allzweck-Hackwaffe nicht nur die Feinde ablenken, indem man sie anruft oder sie mit einem Pfeifton kurzzeitig außer Gefecht setzt. Man kann auch bestimmte Objekte in der Umgebung nutzen, um sie dorthin zu locken und ggf. durch eine Explosion aus dem Verkehr zu ziehen. Und wenn alle Stricke reißen, kann man sich auch auf seine Waffe verlassen (eine Kordel mit einer Billardkugel), mit der man auch den stärksten Gegner im Handumdrehen ausknockt. Im Duell eins-gegen-eins ist diese Methode zu mächtig, da man den Gegner erst durch ein Telefonat ablenken und dann umgehend ausschalten kann. Sieht man sich mehreren Feinden gegenüber, sollte man jedoch die Flucht ergreifen und sich einen sicheren Platz suchen, wo man entweder die Gesundheit wieder regenerieren kann oder sich per Hack in die Kamerasysteme einschleust und von dort ferngesteuert versucht, die Feinde zu überlisten.