Die Gilde 223.09.2006, Bodo Naser
Die Gilde 2

Im Test:

Früher erfreuten uns Spiele wie Hanse, Patrizier oder Fugger mit Handel, Wandel und Intrigen im Mittelalter fast täglich. Doch solche Spiele sind rar geworden, was schade ist. Um so mehr freut es uns, dass 4HEAD der Gilde neues Leben einhauchten. Der zweite Teil, der jetzt bei JoWooD erschien, will mehr sein als eine bloße Wirtschaftssimulation. Ob das hinhaut, könnt ihr im Test nachlesen.

Pater familias

Der Mensch des Mittelalters war ein Familienmensch, wobei der Begriff im weiteren Sinne zu sehen ist, da oft auch Gesinde dazu gehörte. In unsicheren Zeiten bot die Kernfamilie Halt, deren Regeln

Auf dem Marktplatz verdient ihr nicht nur das erste Geld, ihr wandelt dort auch öfters auf Freiersfüßen.
allerdings gestreng waren. Eine Art Familie im übergeordneten Sinne war weiter die Zunft, die die organisierten Handwerker mit eisernen Regeln zusammenhielt und verhindern sollte, dass jemand aus der Reihe tanzte. Kein Wunder also, dass die Kaufmannsgilden schnell zu mächtigen Vereinigungen innerhalb der wachsenden Städte aufstiegen, die auch vor Korruption nicht zurückschreckten.

Der Werdegang in Die Gilde 2 (ab 4,48€ bei kaufen) ist vorgezeichnet: Als unfreier Niemand ohne Habseligkeiten, nur mit ein paar Talern im Säckel und neu in der Stadt ist euer erstes Ziel, eine eigene Familie zu gründen. Finanziert wird das aus eurem ersten kleinen Betrieb. Schritt für Schritt werdet ihr so zu einem angesehenen Bewohner des Ortes, der auch als Schöffe bei Gericht beisitzt. Dann folgt euer Eintritt in die Welt der Politik, indem ihr euch um ein Amt bewerbt. Irgendwann kommt der Ritterschlag, wenn ihr genug Geld habt, um einen teuren Adelstitel zu erwerben. Alles läuft im in Jahreszeiten eingeteilten Vierjahresrhythmus ab.

Aufstieg im Zeitraffer

Wie ihr euer großes Ziel anstrebt, bleibt dabei euch überlassen, wobei selten Langeweile aufkommt. Vier Berufsgruppen stehen zur Auswahl: Patron, Handwerker, Gelehrter oder Gauner, aus denen ihr frei wählen könnt. Zunächst werdet ihr es vielleicht als einfacher Bauer, Schmied oder Kräuterweiser versuchen, der noch selbst im Laden mitwerkelt. Später dann als Wirt, Fabrikant oder Zauberer verfügt über viele Angestellte sowie Lokale und könnt das Managen auf Wunsch dem Computer überlassen. Ihr konzentriert euch ganz aufs politische Geschäft, das Ausspionieren der Konkurrenz und den Zusammenhalt eurer Dynastie.

Keimzelle der eigenen Linie ist der eigene Charakter, den ihr euch noch vor Beginn bequem erschaffen könnt, wie ihr das vielleicht vom Rollenspiel her kennt. Auch Äußerlichkeiten wie Aussehen, Haartracht oder Kopfschmuck lassen sich wie bei den Sims festlegen. Ihr solltet euer Herz jedoch nicht zu sehr an ihm festmachen, denn in der turbulenten Welt kommt der Sensenmann oft schneller als gedacht. Dann ist es gut, wenn ihr früh für Nachwuchs gesorgt habt, der in eure Fußstapfen tritt. Oder eure lustige Witwe macht weiter, die allerdings selten lange allein bleibt.

In jedem ein Meister

Für gelungene Aktionen wie einen gewonnen Prozess erhält euer Charakter Erfahrungspunkte, die ihr auf Fähigkeiten wie Konstitution, Geschicklichkeit, Rhetorik, Empathie oder Geheimwissen verteilen

Jedem seine Visage. Ihr könnt euch ein bisschen wie bei den Sims den Wunschavatar basteln.
könnt. Das ist auch durchdacht, denn je nach Berufsgruppe unterscheiden sich die Kosten für den Aufstieg. So lernt ein Räuber natürlich schneller besser kämpfen als etwa ein Pfaffe, der wiederum ein guter Redner ist. Der Aufstieg ermöglicht, eure Gebäude zu erweitern, neue Leute einzustellen und nützliche Spezialfähigkeiten zu erlernen, um eure Mitarbeiter zu Höchstleistungen anzutreiben.

Zum Glück seid ihr beruftechnisch nicht so festgelegt, da ihr die Tätigkeit eurer Nachkommen bestimmen könnt. Ihr schickt sie in die Lehre bei einem fremden Unternehmen, das ihr frei auswählen könnt. Obwohl ihr immer nur die Gebäude eures Berufstandes erwerben könnt, kann also auch ein Räuberhauptmann seinen Sprössling beim Schneider in die Lehre schicken. Besonders Gelehrige dürfen dann noch auf die Universität, die im Mittelalter etwas Neues war. Vorausgesetzt euer Kaff verfügt über eine solche. Auch durch die richtige Wahl eures Ehepartners könnt ihr neue Geschäftsfelder erschließen.

                               

Bedienung

Die Steuerung ist grundsätzlich durchdacht, da ihr stets mit einem Blick euren Charakter, eure Häuser und Karren anwählen könnt. Meist gibt es sogar mehrere Möglichkeiten, um ans Ziel zu

Die Bedienung ist nicht gerade leichtgängig, wie sich auch immer wieder beim Wegschicken der Waren zeigt.
gelangen. So könnt ihr einen Karren umständlich per Hand direkt auf den Markt schicken, oder aber ihr klickt das Ganze auf der Minikarte an, wofür ihr richtig fest drücken müsst. Der erste Patch fügt eine automatische Abladefunktion hinzu - immer vorausgesetzt ihr habt den Karren richtig angewählt.

Bisweilen artet die Steuerung aber in echte Fummelei aus, wie sich besonders am Beispiel der Interaktion mit anderen Charakteren zeigt. Wandelt ihr auf Freiersfüßen, um euch eine schmucke Braut zu suchen, ist das oft umständlich. Schon das Anwählen einer bestimmten Frau im Durcheinander eines mittelalterlichen Treibens wird trotz einstellbarer Geschwindigkeit zur Qual, da ihr keine Befehle in der Pause geben könnt. So kommt es schon mal vor, dass ihr der falschen Braut Geschenke macht, was unweigerlich zum Zerwürfnis mit der eigentlich Auserwählten führt.

Braut, die sich nicht traut

Die NPCs verhalten sich oft äußerst seltsam, was häufig Anlass für unfreiwillige Heiterkeit ist. Ein gutes Beispiel ist wiederum die Brautschau, die nach vielen, hoffentlich gezielten Umarmungen, Komplimenten, Küsschen und Geschenken irgendwann zur großen Liebe führt. Wer sich nun schon auf die Hochzeitsnacht freut, hat bisweilen das Nachsehen, da die Braut noch in der Kirche die Flucht ergreift. Sie scheint voll auf Schlafen gepolt zu sein. Na, so hässlich habt ihr euren Charakter nun auch wieder nicht ausstaffiert, oder?

Es kann aber auch vorkommen, dass die Braut sich auch gar nicht mehr aus ihrem Domizil heraus traut. So passiert nach einer feigen Attacke auf eine Angebtete durch einen fiesen Dritten, der das Liebesglück letztlich verhinderte. Dafür soll er auf ewiglich in der Hölle schmoren! Die Braut legte sich daraufhin nämlich in einen Jahrhunderte dauernden Dornröschenschlaf, aus dem sie nie mehr erwachte. Das Verlöbnis musste verständlicherweise gelöst werden, was zum Glück problemlos funktioniert.

Handel und Kampf

In Sachen Geschäfte spielt sich Die Gilde 2 fast unverändert gegenüber dem ersten Teil. Ihr verarbeitet immer noch größtenteils Rohstoffe zu kostbaren Fertigwaren, die ihr wiederum auf dem

Die Zweikämpfe sehen zwar spektakulär aus, sind im Grunde aber stinklangweilig.
Markt oder im eigenen Laden verkauft. Das ist nicht sonderlich anspruchsvoll, da die Preise stabil sind und so immer Gewinn herausspringt. Viele Erweiterungen und Ausbauten sorgen dafür, dass eure Arbeiter neue Waren herstellen können, die noch mehr Taler einbringen. Auf jeder Karte gibt es mehrere wachsende Ortschaften, auf deren Marktplätzen ihr ebenfalls verkaufen könnt. Der Transport dahin ist allerdings lang und gefährlich.

Ein Kampf bleibt daher selten aus, der insgesamt nicht sonderlich gelungen ist. Einzig mögliche Einflussnahme auf das recht maue Kampfgeschehen ist das Ausstaffieren des Charakters mit zeitgenössischen Waffen wie Dolch, Schwert oder Axt, Kettenhemd und Helm sowie das Training im eigenen Bürgerhaus. Ansonsten läuft die Metzelei automatisch ab, wenn ihr jemand angreift oder unvermutet attackiert werdet. Öfters als gedacht holt euch der Knochenmann, der allgegenwärtig zu sein scheint. Viele Gegner haben eben einiges an Kampfkunst drauf.

No more Mr. Niceguy

Wem die ewige Tretmühle aus Produzieren, Wegkarren und Verkloppen irgendwann zu blöd ist, der kann natürlich auch als Gauner seine Brötchen verdienen. Das hat den großen Vorteil, dass ihr nichts

Immer schön cool bleiben, auch wenn euch jemand zum Duell auffordert.
herstellen müsst, um Kohle zu scheffeln. Eure Räuber sind dennoch nicht unproduktiv und sorgen dafür, dass ein stetiger Strom von Talern fließt, indem sie die z.B. Leute ausplündern. Oder ihr schickt sie los, um Schutzgeld zu erpressen, was je nach Opfer äußerst lukrativ ist. Auch Diebeszüge, Einbrüche und Bedrohungen sind möglich.

Der gute Ruf eines Bürgers war im Mittelalter das A und O, nicht umsonst sprechen wir heute noch vom Leumund. Das ist das Problem am Halunkendasein: Sogar das Ansehen von Fahrenden, Badern, Vogelfreien oder Henkern ist höher als eures. Ihr werdet ständig vor den Kadi gezerrt, oder einfach so ohne Prozess eingebuchtet. Es empfiehlt sich also, die Diebesschuhe irgendwann an den Nagel zu hängen und seriös zu werden. Hierfür ist ein Generationswechsel besonders geeignet. Schließlich wird auch jeder Mafioso irgendwann zum Lämmchen, investiert sein Geld in Aktien und baut Krankenhäuser und Schulen für die Armen.

                

Spaß im Gerichtssaal

Ein witziges Element sind noch die Gerichtsprozesse, zu denen ihr mit schöner Regelmäßigkeit her zitiert werdet.

Auch wenn ihr vor Gericht intrigieren und bestechen könnt, solltet ihr hübsch bei der Wahrheit bleiben...
Die NPCs lieben es, euch auch für kleinste Verfehlungen beim Rat anzuzeigen. Dort solltet ihr auch unbedingt hingehen, weil ihr sonst Gefahr lauft, für vogelfrei erklärt zu werden. Versteckt ihr euch nicht richtig, kann das dazu führen, dass euer Charakter niedergestreckt und getötet wird. Ihr könnt euch rächen, indem ihr auch jemand anzeigt.

Ein solcher Prozess hat einen festen Ablauf, der stets damit beginnt, dass ihr der Anklage lauscht. Das Ganze läuft in der 3D-Nahansicht ab. Hier ergeben sich erst Hinweise, ob das Gericht den oft lächerlich klingenden Aussagen des Anklägers überhaupt glaubt. Erst gibt es eine Anzeige, die zeigt, wozu die Richter neigen. Dann müsst ihr eure Unschuld beteuern oder nicht. Steht die Verfehlung fest, ist es besser, das Mundwerk zu halten. Vor dem Urteil gibt es ein Phase, in der ihr das Gericht beeinflussen könnt. Von Anmachen bis Bestechung ist alles drin. Die Ratssitzungen laufen übrigens ganz ähnlich ab.

Verkorkster Multiplayer

Natürlich ist ein solches Spiel, bei dem es darum geht, seine Konkurrenten richtig in die Pfanne zu hauen, geradezu prädestiniert für mehrere Spieler. Intrigen, Bestechung und Mordanschläge machen gleich noch einmal so viel Spaß, wenn man damit menschliche Kontrahenten foppen kann. Daher will Die Gilde 2 prinzipiell auch im Multiplayer per LAN oder Internet spielbar sein. Allerdings gibt es erhebliche Probleme, die auch der erste Patch nur teilweise beseitigt. Was nützt der schönste Multiplayer, wenn ihr euch wegen unerfindlicher Fehler im System dafür nicht anmelden könnt.

Einige Bugs

Nach einigen wütenden Fanprotesten im Internet, hatte ich schon die Befürchtung, dass Die Gilde 2 vielleicht gar nicht laufen würde. Das ist allerdings zum Glück nicht der Fall, es ist spielbar. Das Spiel als bugfrei zu bezeichnen, wäre trotzdem ein gewagte Lüge, denn neben dem nicht funktionierenden Multiplayer sind es kleinere Sachen wie Logikfehler, die öfters mal den Spielspaß dämpfen. Was sucht etwa ein Räuber als Beisitzer bei Gericht? Nicht zu oft kommt es auch zu unerklärlichen Abstürzen. Dazu gehört leider auch, dass die Performance mit steigender Spieldauer immer mehr in die Knie geht, das kommt wohl daher dass immer mehr Leute umherstreifen. Der erste Patch beseitigt gröbste Schnitzer.

Mittelalterliches Äußeres

Rein äußerlich betrachtet, hinterlässt Die Gilde 2 einen guten Eindruck, obwohl bisweilen alles etwas

Auch von innen sehen die Gebäude je nach Größe schön aus.
mehr Licht vertragen könnte. Für eine Wirtschaftssimulation ist die Darstellung sogar fast überragend, auch wenn sie hier keine so große Rolle spielt wie in einem Actionspiel. Blickt ihr auf das Treiben in der Stadt bleibt tatsächlich der Eindruck einer lebendigen Ortschaft. Es gibt Tag- und Nachtwechsel, Regen und Schnee je nach Jahreszeit. Auch die dynamischen Schatten und das Wasser gehen in Ordnung. Viele kleine Details sorgen für Authentizität, was auch die Nahansicht relativ überzeugend macht, obwohl aus der Nähe alles etwas kantig und steif aussieht. Dennoch sind auch das Innere der Häuser und die Videos in Spielgrafik ansehnlich.

Die 3D-Spielwelten sind allerdings relativ klein, was aber nicht wirklich stört, da ihr ohnehin nicht umherstreift, weil es kaum etwas zu entdecken gibt. Kleine Quests oder Schätze hätten hier für mehr Entdeckerdrang gesorgt.

Sound

Bleibt noch die deutsche Sprachausgabe zu erwähnen, die professionell aufgenommen wurde, was leider noch nicht selbstverständlich ist. Auch einige bekannte Sprecher haben sich darunter gemischt, so der Ansager aus dem Vorgänger. Beachtenswert ist, dass fast jedes Gespräch vertont wurde. Der Inhalt der Gespräche ist nebensächlich, denn was gesprochen wird, ist wie in den Prozessen oft lächerlich. Überflüssiges Gequatsche im Stil von "Na dann kommen wir mal gleich zur Anklage..." hätte man sich sparen können. Musikalisch geht das Spiel in Ordnung, da ansprechende Klänge geboten werden, die aber häufig nur verbergen, dass es kaum Geräusche gibt.

           

Fazit

Eigentlich hätte Die Gilde 2 das Zeug zum großen Spiel, denn prinzipiell würde es richtig Spaß machen. Die Mischung aus Wirtschaftssim, Rollenspiel und Lebenssim stimmt, auch wenn die Wirtschaft noch etwas dynamischer sein und es noch mehr persönliche Aspekte geben könnte. Auch optisch und akustisch gibt es bis auf eine gewisse Geräuscharmut wenig auszusetzen, denn es wird der Eindruck einer mittelalterlichen Stadt erweckt, der Leben eingehaucht wurde. Die Sprachausgabe wurde professionell aufgenommen, auch wenn das Gesagte bisweilen überflüssig ist wie ein Kropf. Wohl gemerkt "könnte", denn in Wahrheit sind es die hakelige Bedienung, die seltsam agierende KI und die mehr als schwachen Kämpfe, die den Spielspaß letztlich unter 80 Prozent drücken. Auch der nicht funktionierende Multiplayer ist ein großes Ärgernis, das nicht sein dürfte, denn schließlich wurde er versprochen. Hinzu kommen kleine und große Bugs, die mehr oder minder nervig sind wie etwa die Ruckler, wenn die Performance mal wieder mit steigender Spieldauer in die Binsen geht. Nichts davon verhindert, dass die Simulation spielbar bleibt. Die Gilde 2 hätte also mit ein paar Monaten mehr Entwicklungszeit ohne weiteres einen Award verdient. Wie sie sich derzeit präsentiert, bekommt sie allenfalls eine verrostete Maurerkelle spendiert, die sinnbildlich für die noch zu schließenden Baustellen steht, die es noch zu vollenden gilt. Die nächsten Patches machen hoffentlich ein richtig fertiges Spiel draus.

Pro

mittelalterliches Feeling
freies Gameplay
eigene Familie gründen
spannende Prozesse
durchdachte Steuerung
gute Grafik
deutsche Sprachausgabe
informatives Tutorial

Kontra

oft seltsame KI
fummelige Bedienung
schwache Kämpfe
Probleme beim Multiplayer
Performance-Ruckler
unerklärliche Abstürze
teils lächerliche Dialoge
3D-Welt lädt nicht zur Entdeckung ein
wenig Geräusche

Wertung

PC

Eigentlich eine gelungene Mischung, die an einigen Schwächen leidet.

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