Boiling Point: Road to Hell08.06.2005, Marcel Kleffmann
Boiling Point: Road to Hell

Im Test:

Boiling Point ist eine ambitionierte Mixtur aus Far Cry, GTA und The Elder Scrolls 3: Morrowind. Mit einer großen, frei begehbaren Welt startet das Spiel einen Frontalangriff auf das zeitlose Projekt S.T.A.L.K.E.R. Warum bei Boiling Point allerdings der Schuss nach hinten losgeht und die hoch gesteckten Ziele nicht erreicht werden, verrät unser prüfender Blick auf die verbuggte Verkaufsversion.

Wer ist eigentlich Saul?

Saul Myers war zehn Jahre beim Militär und diese Berufserfahrung braucht er jetzt dringend, denn seine Tochter Lisa ist bei der Berichterstattung über den Bürgerkrieg im fiktiven südamerikanischen Land Realia entführt worden. Tja, und was macht

Auf der Suche nach Lisa…
das Antlitz der Mumie (das Gesicht von Arnold Vosloo ziert Saul Myers) nun? Richtig - Saul begibt sich alleine auf die verhängnisvolle Suche und gerät mitten in den Konflikt zwischen sieben konkurrierende Parteien, die alle ein bisschen über das Verschwinden von Lisa wissen, es aber nur gegen bar verraten...

Partei ergreifen

In der 18 mal 25 Kilometer großen Welt gibt es viel zu entdecken, aber um voran zu kommen, müsst ihr ein Vertrauensverhältnis zu einer Partei aufbauen. Zur Auswahl stehen: Guerillas, CIA, Indigos, Einwohner, Mafiosi, Banditen und die Regierung - wobei alle gleich korrupt sind und die benötigten Informationen nur gegen Bezahlung oder Dienstleistung preisgeben. Wollt ihr zum Beispiel der CIA helfen, müsst ihr u.a. die Mafia bekämpfen und über erledigte Gangster freuen sich die Zivilisten. Während sich also euer Ruf bei gewissen Parteien verbessert, werden andere Gruppierungen sofort das Feuer eröffnen, sobald sie euch sehen.

Knackpunkt: Missionen

Diese Aufträge bekommt der gute Saul im direkten Gespräch mit diversen NPCs. Diese laufen entweder in der Gegend herum oder sitzen friedlich zusammen in der Bar. In solchen Etablissements findet ihr Vertreter von allen Parteien, die dort gemeinsam auf irgendwelche herumstreunenden Touristen warten. Auf welche Seite ihr euch schlagen möchtet, liegt somit in eurer Hand: Wollt ihr böse sein, dann erledigt ihr halt Aufträge für Mafiosi oder Banditen. Oder ihr werdet zum barmherzigen Samariter und schlagt euch auf die Seite der Regierung.

So abwechslungsreich dieses Fraktionsmodell auch ist, so schwach sind die Missionen. Meist müsst ihr einfach zu einem Ort rennen und dort alle Feinde erledigen. Andere Quests hingegen sind in eine nette Hintergrundgeschichte verstrickt, entpuppen sich später aber ebenfalls als Run&Gun-Missionen. Echte Abwechslung ist fast immer Fehlanzeige, da hilft auch

Keine Lust auf lange Fußmärsche oder Fahrten? Dann ab ins Taxi!
nicht, dass ihr manche Personen bespitzeln oder erst überreden (manchmal gar mit Alkohol) müsst, um an die Infos zu kommen. Solche "Highlights" sind jedoch selten. Viel häufiger kommt es hingegen vor, dass die getriggerten Ereignisse innerhalb der Aufträge nicht funktionieren - so kann es sein, dass geplante Übergriffe ausbleiben oder bestimmte Personen gelegentlich verschwinden.

Null Intelligenz und viele Bugs

Über die KI der Gegner lässt sich streiten. Alle Feinde haben einen angeborenen Röntgenblick und erkennen euch bereits durch die dickste Wand. Trotzdem bleibt des Öfteren eine Reaktion der Feinde auf eure offensichtliche Anwesenheit aus, während in manch anderen Situationen die Feinde einfach nur ziellos und wild ballernd durch die Areale laufen - von Gruppen-Taktik oder Suche nach Deckung keine Spur. Hinzu gesellen sich entnervende Bugs und anfallsartig auftretende Abstürze. Daher kann es schon mal vorkommen, dass weggelegte Gegenstände spurlos verschwinden oder NPCs nicht angesprochen werden können.

          

Lohn & Fahrzeuge

Als Lohn für den erledigten Auftrag bekommt ihr nicht nur Ansehen bei der Fraktion, sondern heiß begehrte Knete. Das meist blutig verdiente Geld könnt ihr gegen Informationen oder Ausrüstung eintauschen. Alle Gegenstände verwaltet ihr in

Mit dem Panzer schindet ihr in Realia mächtig Eindruck.
einem übersichtlichen Inventar - egal ob es Waffen, Rüstungen, Messer, Munition, Granaten, Obst oder medizinisches Equipment sind. Aber ab einem gewissen Rucksack-Gewicht ist Schluss.

Da die Laufwege in Realia mitunter ziemlich lang sind, kann Saul glücklicherweise auf einen 24 Vehikel großen Fahrzeugpark zurückgreifen. Anfangen bei rostigen Schrottlauben-Autos, bis hin zu schnelleren PKWs. Panzer-Touren, Flüge mit Flugzeugen oder Helikoptern und Bootsfahrten erfordern hingegen eine kleine Prüfung, bevor ihr sie benutzen könnt. Allerdings solltet ihr immer genügend Sprit im Tank haben, sonst könnt ihr mit den schwammig steuerbaren Kutschen in der Wildnis liegen bleiben. Tja, danach hilft nur noch ein Fußmarsch oder ihr klaut halt einen anderen Wagen.

Charakter-Bildung im Shooter

Die Charakter-Fähigkeiten von Saul verbessern sich automatisch; basierend auf eurem Verhalten. Lauft ihr also viel durch den Dschungel, erhöht sich prompt die Körperkraft und je mehr ihr mit Scharfschützengewehren schießt, umso stärker steigt der Skill an. Dieses oberflächliche System ist zwar ganz nett, aber der Charakter-Ausbau dauert viel zu lange, um auch nur den Hauch eines Einflusses im Gameplay zu bemerken. Für solch ein langwieriges System bietet die Welt von Boiling Point zu wenig - wer hat schon Lust stundenlang durch den Dschungel zu spurten, nur um die Kraft ein bisschen zu verbessern? Bevor ihr die ersten echten Auswirkungen spürt, habt ihr die durchaus nette Story nach weniger als 20 Stunden schon durch.

Ein weiterer Charakter-Wert ist übrigens die Müdigkeit: Euer Alter Ego wird nach einiger Zeit schlapp und muss sich hinlegen. Im Schlaf heilen sogar die tiefsten Wunden und so kann der Held am nächsten Tag wieder mit frischer Energie loslegen.

Spielwelt

Die Schwächen von Boiling Point liegen im langweiligen Mission-Design, den nervtötenden Bugs und der miesen Künstlichen Intelligenz - dafür protzt das Spiel mit einer lebendigen Welt. Der Dschungel in Realia ist dicht mit Pflanzen aller Art bewachsen und überzeugt mit einer düsteren, bedrohlichen Atmosphäre sowie einer simulierten Tierwelt inklusive Schlangen & Co. Auch das Design der Hauptstadt ist gelungen und wenn Helikopter der Guerillas über eure Köpfe hinwegdonnern oder Regierungstruppen sich Feuergefechte liefern, kommt ordentlich Stimmung auf.

Der dichte Dschungel und so manch ein Hubschrauber im malerischen Sonnenaufgang fördern die südamerikanische Stimmung.

Für die nötige Abwechslung sorgen hübsche Berge und malerische Strände. Eingebettet in einen fließenden Tag- und Nachtwechsel macht es Spaß, hier und da herumzuschauen, aber irgendwie wird man das Gefühl nicht los, eine Baukasten-Siedlung, insbesondere bei den Auftragszielen, zu betreten. Seltsam ist außerdem, dass ihr trotz der großen Spielwelt nahezu alle wichtigen Orte in weniger als 20 Stunden gesehen habt.

Während die Umgebung zu überzeugen weiß, schwächeln die Charakter-Modelle, insbesondere bei der virtuellen Gestaltung des Gesichtes. Auch die Fahrzeuge könnten mehr Polygone vertragen. Recht schwach präsentiert sich auch die musikalische Untermalung, die zwar zur Thematik passt, aber irgendwie preiswert wirkt. Sämtliche Dialoge sind übrigens in englischer Sprache und wurden mit deutschen Untertiteln übersetzt.

Der erste Patch

Mittlerweile haben die Entwickler den ersten Patch veröffentlicht, der einige Absturz-Ursachen, Grafik- sowie Kamera-Fehler und Quest-Bugs beheben soll. Dieses Update ist ein guter Anfang, aber im Prinzip nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn auf der Baustelle "Boiling Point" gibt es immer noch viele Schlaglöcher zu stopfen.

        

Fazit

Chance vertan: Drei oder vier Monate mehr Entwicklungs-Zeit hätten Boiling Point richtig gut getan. Der jetzige Zustand wird dem ambitionierten Ego-Shooter nicht gerecht. Die schöne Spielwelt, die große Freiheit im Gameplay und das RPG-System werden dank der extrem schwachen KI und dem bugverseuchten Programmcode ordentlich durch den Kakao gezogen. Da helfen selbst die launigen Touren mit den Fahrzeugen oder die vielen Fraktionen nicht. Viel Potenzial haben die Entwickler auch beim Design der Missionen verschenkt - hier wäre mehr Abwechslung angebracht gewesen. Auffallend ist auch, dass man nahezu alle wichtigen Bereiche in Realia zu schnell gesehen hat. Boiling Point bleibt hinter den eigens gesetzten Zielen zurück und bietet eine große, frei begehbare, aber auch bugverseuchte Spielwelt mit grottenschlechter KI. Schade: Das Spiel hätte viel besser sein können…

Pro

große, lebendige Spielwelt
enormer Freiraum
sieben Fraktionen
RPG-System
nette Entführungs-Story
24 steuerbare Fahrzeuge
recht viel Ausrüstung
verbesserbare Waffen
Aufträge ohne Ende
hohe Sichtweite
schöne Dschungel-Darstellung
keine Ladezeiten im Spiel

Kontra

zu schnell ist alles gesehen
schlechte KI
wenig Abwechslung bei den Aufträgen
RPG-System bringt spielerisch wenig
schwammige Fahrzeug-Steuerung
nicht überzeugender Soundtrack
Bugs, Abstürze und logische Unstimmigkeiten
Tonwiederholungen und Aussetzer
lange Ladephase am Start
schwache Grafik der Gesichter
frisst viel Speicher (Platte & RAM)

Wertung

PC

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