Red Orchestra: Ostfront 41-4529.06.2006, Paul Kautz
Red Orchestra: Ostfront 41-45

Im Test:

WW2-Shooter gibt es mittlerweile wie Patronenhülsen in Omaha Beach, multiplayerfähige fast genauso viele. Doch die meisten sind reine Deathmatch-Kracher, ballerfreudige Arcade-Games, die sich einen Dreck um Projektilphysik oder Teamwork scheren. Red Orchestra, das seinen Anfang als Mod für UT 2004 nahm, hat sich dagegen eine große Portion Realismus auf die Fahne geschrieben. Macht das auch Spaß?

Blinde Kuh an der Front

Der Zweite Weltkrieg dürfte wohl eines der am meisten ausgeschlachteten Szenarien der Spielebranche sein – kaum eine Plattform, die nicht durch mindestens drei Battlefield: Call of Honor o.ä. beglückt wurde. Eine gewisse Resignation ob üblich verdächtiger Stichworte wie »Stalingrad« oder »Normandie« ist daher kaum zu vermeiden, zumal der Strom an Stahlhelmsoftware kaum abzureißen scheint – Medal of Honor: Airborne und Call of Duty 3,

Ich will hier raus: Als Panzerführer bekommt ihr glaubwürdigerweise nicht viel zu sehen.
um nur mal zwei zu nennen, stehen bereits in den Startlöchern.  Das Problem mit diesen Spielen ist zumeist, dass sie, ob im Einzel- oder Mehrspielermodus, alle irgendwie ähnlich sind: Teamplay ist nur selten gefordert, Arcade-Ballerspaß hat Priorität. Und so rattern Panzer wie Go-Karts durch die Gegend, Pistolen schießen auf Kilometer punktgenau, wer einen Treffer kassiert, verliert etwas Energie – die sich mit Medipacks wieder auffüllen lässt.

Auftritt Red Orchestra: Dieses Spiel bietet nichts dergleichen! Wer einen Panzer fährt, der fährt ihn – wer ballern will, muss auf den zweiten Sitz rutschen! Übersicht? Ein kleiner Sehschlitz erlaubt einen minimalen Blick nach draußen, am MG bekommt ihr, dem hohen Schutzpanzer sei Dank, kaum viel mehr zu sehen. Das Kanonenrohr rödelt quälend langsam hin und her, der darauf folgende Schuss sollte besser sitzen – denn das Nachladen dauert nun mal seine Zeit! Seid ihr zu Fuß unterwegs, könnt ihr nur kurz sprinten, danach schnauft der Soldat wie Ottfried Fischer nach dem Erklimmen der spanischen Treppe. Dauerfeuer mit dem Gewehr? Ha, Patronen müssen teils manuell aus dem Lauf befördert werden! Das MG funktioniert nur brauchbar, wenn es, wie vom Erbauer gedacht, mittels Zweibein auf dem Boden postiert wurde – ansonsten entlaubt man zwar zuverlässig alle Bäume in der Gegend, verfehlt den Gegner aber mit peinlicher Sicherheit. Nur in seltenen Ausnahmefällen (für Scharfschützen z.B.) gibt es eine Art Fadenkreuz, im Normalfall muss man entweder nach Gefühl oder über Kimme und Korn zielen. Und nicht zuletzt ist hier die Deckung so wichtig wie in kaum einem anderen Spiel: ein Treffer bedeutet normalerweise einen Punkt für den Gegner – wenn man viel Glück hat, wird einem nur die Waffe aus der Hand geschossen. Die Projektilphysik berechnet die Flugbahn als Bogen, und nicht als gerade Linie – selbst der Einschlagwinkel spielt,

Optisch reißt RO keine Bäume aus, dafür bietet es viele interessante Ideen - das gut umgesetzte Zielen über Kimme und Korn etwa.
speziell bei den Panzern, eine große Rolle beim Treffer. Wie viel oder wenig realistisch das Ganze nun wirklich ist, kann wohl kaum einer von uns einschätzen - das Endergebnis ist in erster Linie sehr schwer und anspruchsvoll. Ihr seht schon, das ist definitiv kein Shooter für die Call of Duty- bzw. Counter Strike-Zielgruppe – und das ist gut so.

Harte Hunde unter sich

Unabhängig davon, ob ihr Red Orchestra über Steam gekauft oder euch die verpackte Version von Frogster Interactive im Laden geholt habt, es muss auf jeden Fall über Steam aktiviert werden – und bei der Gelegenheit wird direkt nach der Installation ein dicker Patch nachgetragen, was sich aufgrund der nicht eben bemerkenswerten Steam-Geschwindigkeit in die Länge zieht. Die Laden-Fassung hat nicht nur den Vorteil einer schmucken Hülle, sondern bietet auch etwas Bonuskram: Eine DVD mit Datenblättern zu den Panzern, Kartenbeschreibungen, Leveleditor, Trailer und Wallpaper – die beiden Erstgenannten finden sich außerdem nochmals in gedruckter Form in der Packung wieder.        

Läuft das Spiel endlich, könnt ihr entweder gleich zur Mehrspielerfront marschieren oder zuerst einige Solo-Runden gegen Bots in verschiedenen Schwierigkeitsstufen drehen. Das ist allerdings genauso viel oder weniger sinnvoll wie bei den Battlefields dieser Welt, 

Die 13 Maps (hier Stalingrad) sind abwechslungsreich designt.
schließlich dreht sich hier alles um Teamplay, und davon haben die KI-Kameraden nicht den geringsten Schimmer. Also auf zum Multiplayermodus: Bis zu 32 harte Kerle dürfen sich auf 13 Karten austoben, die dem Untertitel »Ostfront 41-45« entsprechend nach dem Russlandfeldzug der Deutschen designt sind. Meine Nackenhaare haben zwar nach wie vor ein Problem mit Stalingrad und Co, aber immerhin verlässt sich Red Orchestra nicht nur auf die üblichen Szenarien, sondern schickt euch auch nach Odessa oder in den grünhügeligen Kaukasus.

Wie in jedem guten Teamshooter gilt es, spezielle Punkte zu erobern und zu halten – wer am Ende alle hat, hat gewonnen. Ihr spielt entweder für die Wehrmacht oder die Rote Armee, wobei jede Fraktion unterschiedlich viele Truppenklassen zur Verfügung stellt. Diese Wahl wirkt sich nicht nur auf die möglichen Waffen aus, sondern auch auf die nutzbaren Fahrzeuge – ohne Panzerführerschein geht’s in keinen Panzer rein! Im Gegensatz zur Projektil- ist die Fahrzeugphysik fragwürdig, jedenfalls leisten kleine Zäune einem dicken Tank unerwarteten Widerstand.

Alt, und glücklich dabei!

Wie bereits betont, legt Red Orchestra größten Wert auf gutes Teamwork – nach vorne drückende Rambos sind bessere Moorhühner. Hier müssen die Sniper von hinten sichern, MG-Schützen für Deckung sorgen, muss die Infanterie den Schutz von Panzern und der Umgebung nutzen. Diese ganze Koordination geht am besten über ein Headset, weswegen VoIP-Kommunikation gleich eingebaut ist. 

Teamplay, Teamplay über alles - Einzelgänger haben hier keine Chance!
Die Stimmen eurer Mitstreiter sind auch das, was ihr am meisten zu hören bekommt: Musik gibt’s kaum, die würde nur ablenken. Stattdessen dröhnen mächtige Soundeffekte aus den Boxen, von denen ihr idealerweise mehr als zwei haben solltet – die 3D-Abmischung ist wirklich vorbildlich!

Die Technik ist die schwächste Seite von Red Orchestra: Zwar basiert das Spiel auf neuer Unreal-Technologie und bietet viele beeindruckend klingende Optionen (HDR Bloom, Dynamic Lighting, Detail Textures etc.), aber das Endergebnis ist trotzdem kaum berauschend – keinesfalls schlecht, aber kein Vergleich zu Battlefield 2. Das Ganze bewegt sich eher in den Regionen eines Call of Duty: mäßige Texturen, mäßige Animationen, nicht viele Details und sehr hässliches Wasser. Immerhin sind die Waffenmodelle und Fahrzeugcockpits sehr gelungen, auch hat das Spiel geringe Hardwareanforderungen – mit Ausnahme von RAM! Davon kann man seit BF2 ja sowieso nie genug haben, und so schreit auch Red Orchestra gierig danach. Zum Abschluss noch ein Hinweis an Freunde von abgetrennten Körperteilen: Die werdet ihr hier nicht finden, denn die deutsche Version ist optisch leicht geschnitten.    

Fazit

Ihr sucht schnelle Action? Ein bisschen mit dem Panzer rumballernd durch die Pampa gurken? Ihr wollt mit dem Jeep herumrasen, ins Flugzeug springen, mit dem Fallschirm aussteigen? Ihr seid einsame Wölfe, die ein Team nur behindert? Dann meidet Red Orchestra! Ihr werdet hier nicht glücklich! Wirklich nicht! Call of Duty ist euer Freund, ehrlich! Für alle, denen das Genannte zu flach ist, ist die Ostfront dagegen der Teamshooterhimmel auf Erden: Erfolge gibt es nur in der abgestimmten Gruppe, eine gute Kommunikation und klare Rollenaufteilung sind überlebenswichtig! Hinzu kommen realistische Waffenhandhabung und ein authentisches Spielgefühl, unter der unscheinbaren Oberfläche schlummert eine Kampferfahrung, die ihr in anderen Shootern nicht zu sehen bekommt. Ein anspruchsvoller Nicht-Arcade-Shooter für alle, die kein »LOL!!11« mehr sehen können.

Mit dem roten Orchester kann ich irgendwie nicht richtig warm werden! Ist es deswegen schlecht? Nein! Aber erstens hängt mir das Szenario zum Halse raus und zweitens ist es für meine Verhältnisse zu realistisch. Die ehemalige UT-Modifikation ist so dermaßen auf echt wirkende Gefechte ausgelegt, dass es weh tut - und zwar wortwörtlich. Die lange Einstiegsphase ist geprägt von demotivierenden Fehlschlägen, auf die euch die Bots im Singleplayer-Training keinesfalls vorbereiten. Selbst Day of Defeat: Source ist ein Kindergarten gegen Red Orchestra. Beißt ihr euch allerdings durch, werdet ihr mit packenden Teamkämpfen belohnt, die dank der gutherzigen Community auch ohne eingespielte Stammgruppe zum Sieg führen können. Sucht ihr also anspruchsvolle Gefechte mit einem hohen Maß an Realismus und unumgänglichen Teamplay-Fokus, dann ist Red Orchestra ein Geheimtipp.

Pro

anspruchsvolles Spielprinzip
gut ausgewogene, abwechslungsreiche Spielerklassen
sehr gutes Teamplay
integriertes VoIP
spannend-klaustrophobische Panzergefechte
sehr gute 3D-Soundkulisse
größtenteils gut designte Maps
umfangreicher Fuhrpark
stabiler Netzcode

Kontra

mäßige Optik
keinesfalls für Einsteiger geeignet
unbrauchbarer Einzelspielermodus
reichlich ausgelutschtes Szenario
lange Ladezeiten
gelegentliche Kollisionsabfragen-Probleme

Wertung

PC

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