Arcania: Gothic 413.10.2010, Jörg Luibl
Arcania: Gothic 4

Im Test:

Auferstanden aus Ruinen? Nachdem JoWooD und Piranha Bytes eine gotische Kathedrale zum Einsturz brachten, sollte die bis dato imposanteste Rollenspielwelt aus deutscher Entwicklung von zwei Teams wieder aufgebaut werden -schließlich ist die Marke eine starke. Während sich die Väter von Diego & Co mit Risen bereits das Siegel unterhaltsamer Routine sicherten, darf jetzt Spellbound zeigen, wie man sich ein Abenteuer auf dem Fundament des großen Namens vorstellt. Ist man mutiger und kreativer als die Konkurrenz aus dem Ruhrgebiet? Kann man der Welt vielleicht eine neue Facette abgewinnen?

Drei Prüfungen für die Liebe

Arcania macht schon im Einstieg auf der Tutorialinsel viele Fehler: Zwangsehe ohne Wahl, Dialoge ohne Esprit und stupide Quests.
Was macht man, wenn man drei Prüfungen für eine Heirat bestehen soll, aber die versprochene Lady gar nicht kennt? Kauft man da nicht die Zicke im Sack? Dabei heißt sie Ivy, was durchaus die üppige Fantasie anregt, sie sieht bis auf ihre seltsame Haltung sowie die grenzdebile Gestik sogar ganz nett aus und fragt mich keck und direkt in den ersten Spielminuten: "Krieg ich einen Kuss?". Es könnte schlimmere Aussichten geben, wenn man gerade aus einem Alptraum erwacht, der mich im Einstieg gegen Untote kämpfen lässt. Aber irgendwie braucht man etwas mehr emotionale Anbindung, um sich für den Schwiegervater wie ein kampfbereiter Hahn in drei erste Quests zu stürzen.

Man fragt sich als frisch geschlüpfter Held nicht in erster Linie, ob das stupide Weghauen von Maulwurfsratten oder das lineare Holen und Bringen irgendwann aufgelockert wird, sondern was das wohl für eine Frau ist und wartet geduldig ab - schließlich ist das ja nur die Tutorialinsel, auf der man mit Ivy und dem Dorf erstmal warm werden sowie die Steuerung lernen soll. Man ist noch geduldig, zumal das Dorf mit seinen gemütlichen Häusern, den beschaulichen Feldern und dem Ausblick auf die Küste mit ihrer Brandung sehr idyllisch wirkt. Man hofft, dass die Story noch die Kapitel aufschlagen wird, die der Liebe ein erzählerisches Fundament geben: Etwa über kommende Dialoge oder Rückblenden, in denen man mehr über sich und seine Beziehung erfährt. Aber da kommt nichts mehr. Man wird einfach weiter in hübscher Kulisse herum gescheucht. Man kann nicht einmal vernünftig mit Ivy reden.

Die idiotische Zwangsehe

Dabei ist die Landschaft so schön - jedenfalls auf dem Rechner, denn auf der Xbox 360 bekommt man aufgrund des Flimmerns, Ruckelns und verwaschener Texturen keine Urlaubsgefühle.
Es gibt auch keine Gespräche oder Szenen, die seltsame Äußerungen des Schwiegervaters wie "Was treibst du hinter meinem Rücken?" erklären würden. Man wird ins kalte "Heirate-Ivy-Wasser" geworfen. Wieso weiß ich z.B. nichts über ihre Schwangerschaft? Wieso ist ein Typ so eifersüchtig, dass er in viel zu modern anmutender Polemik "Du Arschloch, ich mach dich fertig!" ruft? Immerhin freut man sich hier endlich mal über einen Hauch von Emotion. Aber man stiefelt für eine Liebe, die man nicht versteht, wie ein Handlanger um das Dorf herum und wird wie ein dummer Junge von A nach B gescheucht: Los, töte sechs Molerats! Los, geh Goblins jagen! Los, geh Hirsche erlegen! Und warum zückt der Held am Schleifstein ein Schwert, obwohl er noch gar keines im Inventar hat? Warum gibt es nach dieser Animation kein Feedback wie: "Du hast ein noch nicht vorhandenes Schwert schärfer gemacht - es gewinnt +1 Angriffskraft!"

Und wenn man etwas erledigt, dann steht Ivy da, wiederholt ihre hölzerne Gestik und lobt einen mit schnippischen Sätzen wie "Du hast ein paar Goblins getötet? Echt?", während ihr Vater mit Weisheiten wie "Zu meiner Zeit mussten wir Wildschweine mit blutigen Fäusten erlegen!" auftrumpft. Noch besser: Man bekommt tatsächlich neben seinem Hirtenstab

In den Dialogen hat man viel zu selten eine Wahl, wird oft mit stupiden Einzeilern abgespeist. Da ist man froh, wenn Gespräche vorbei sind...
einen "morschen Knüppel" - da freut man sich als junger Mann! Weniger amüsant ist, dass einem kein Schwein hilft, dass es noch nicht einmal einen Kommentar oder das Zücken von Waffen gibt, wenn sich eine Meute Goblins dem Dorf nähert. Die Feinde werden einfach ignoriert, während sie um Ivy herum tanzen, bis sie sich verziehen. War sie nicht Jägerin? Könnte sie den Bogen nicht benutzen?

Obwohl die Entwickler von Spellbound mit einem "Creating Emotions" als Motto werben, versagen sie bei der emotionalen Dramaturgie und vor allem der Gesprächskultur des Einstiegs so deutlich, dass man sich im Zeitalter von The Witcher , Dragon Age & Co fast für das infantile Drehbuch um einen charakterlosen Schönling fremdschämen muss - von den Sprung- und Laufanimationen aus der Sharewaretonne ganz zu schweigen. Aber wichtiger als steifes Gehüpfe ist in einem Rollenspiel die Kommunikation: Ich habe selten so gestelzte, so unnatürlich und steif wirkende Dialoge geführt, die mit all den schrecklichen Einzeilern kaum eine Auswahl an Antworten lassen. Ich konnte zu Beginn keinen Charakter erstellen, ich kann auch später nichts selbst entscheiden oder beeinflussen, ich muss einfach das machen, was man verlangt - gerettet wird dieser schreckliche Einstieg nur von der Landschaft und Diego, der als gut designter Charakter wenigstens etwas Flair und Reife verbreiten kann. Er macht regelrecht Hoffnung auf eine qualitative Entwicklung.

                          

Hurra, Ivy ist tot!

Ab durch die Höhle: Der ganze Kontinent ist quasi unterkellert - leider passiert in den Dungeons immer dasselbe - Monster plätten, Kisten öffnen.
Der erste Todesstoß für die Dramaturgie fällt laut und deutlich am Ende des ersten "Kapitels": Die Insel wird von den Schiffen des König Rhobar III. angegriffen und das gesamte Dorf inklusive Ivy fällt dem Kanonenbeschuss zum Opfer. Als sie im Staub liegt, habe ich gejubelt: Hurra - sie ist tot! Ich kannte sie nicht, ich wollte sie nicht, sie bedeutete mir nichts! Wenn ein Rollenspiel mit Identifikation beginnt, ist das ein verdammt schlechter Start. Es sei denn, man lässt mich einen chaotisch bösen und chronisch psychopathischen Attentäter spielen, der für Beliar zur Schlachtbank ruft. Aber die Grundmotivation für den frischen Witwer ist natürlich eine Rache, deren Feuer die Entwickler von Spellbound bei mir allerdings nicht schüren können. So scheint nicht nur die erste Insel, sondern auch die Hoffnung auf ein episches Rollenspiel für Erwachsene unterzugehen. Nach dieser Insel hat man das Gefühl, dass man sich an Zehnjährige ohne Fantasyvorbildung wenden will.

Kann das Abenteuer auf dem Kontinent Argaan zulegen? Immerhin hat es die erwähnten Stärken auf technischer Seite, wenn man Animationen und Gestik mal ignoriert: Die Landschaft sieht auf dem PC wirklich sehr gut aus, weil sie keinen künstlichen, sondern einen angenehmen natürlichen Charakter zeigt - inklusive enger Schluchten und weiter Felder, dichter Wälder und versteckter Höhlen. Man freut sich über plastische Texturen an steinernen Mauern und Stimmungswechsel in anderen Regionen. Nicht nur, dass Flora und Fauna dank Wind umtoster Bäume und Wiesen sowie zahlreicher Kräuter lebendig wirken, auch die liebevoll arrangierte Architektur kann sich sehen lassen. Die Dörfer locken mit Reed gedeckten Häusern, schiefen Zäunen und blühenden Feldern, es gibt idyllische Brücken an Wasserfällen vorbei und vor allem der weite Blick auf wuchtige Festungen, weckt die Neugier. Man darf allerdings weder schwimmen noch tauchen, außerdem sollte man nicht auf die Idee kommen, zu klettern: Wer sich über die schlecht animierten Sprünge von Felsen in Gipfelhöhen katapultiert, läuft schon mal 50 Meter über dem Boden durch Argaan.

Die schlechteste Darstellung des Hexentyps in der jüngeren Rollenspielgeschichte - Lyrca bewegt sich exakt so wie Ivy wie Ilvie wie jede andere Frau.
Auf der Xbox 360 serviert Spellbound zwar auf den ersten Blick dieselbe Kulisse, aber schon auf den zweiten wird man von technischen Unzulänglichkeiten überrollt: Die Weitsicht ist ein Witz, man erkennt entfernte Festungen erst gar nicht, es flimmert und ruckelt, Wege und Felsen abseits der Hauptwege sind übel verwaschen, es gibt schreckliche Kantenbildungen selbst auf zwei Metern Entfernung, man überzieht Hintergründe bei Gesprächen fast mit monochromen Relieftexturen -die idyllische Faszination geht auf der schlecht portierten Konsolenversion schon nach wenigen Minuten zusammen mit der Bildrate in die Knie. Das Einzige, was sie besser macht: Man hat direkte Waffenvergleichswerte aufgrund leicht angepasster Menüstrukturen. Also zurück auf den Rechner, wo das Abenteuer technisch zwei Klassen besser aussieht, aber ebenfalls mit der Performance zu kämpfen hat: Selbst wenn man die Details runterschraubt, kommt es zu Problemen mit der Bildrate.

Festungen mit Geschichte

Wenn man die Burgen endlich selbst erkunden kann, staunt man nach dem Trab über die Zugbrücke nicht nur angesichts der verschachtelten Gänge und kleinen Türme: Man entdeckt in ihnen sogar Mauerreste, die außerhalb des Wehrgangs von alten Zeiten künden - all das sorgt vor allem für architektonische Authentizität und einen symbolischen Hauch von Geschichte. Hier hat sich Spellbound sehr viel Mühe gemacht, aber nicht konsequent genug: Denn man bekommt keine

Schön ist Arcania nur, wenn man nicht redet und nicht kämpft: Einfach die Aussicht genießen.
Questansätze, um sich mit älteren Kulturen zu beschäftigen. Und unter der Oberfläche entdeckt man nichts Mysteriöses in steinernen Gewölben, nicht mal eine Inschrift oder ein vergessenes Grab - da sehen die Gruften alle gleich aus; Oblivion nutzt Landschaft und Ruinen wesentlich besser, um mich nicht nur neugierig auf die Geschichte des Landes zu machen, sondern auch Missionen einzuleiten.

Im grafischen Bereich ist Arcania aber deshalb gut, weil die Engine weite Einblicke in das Land inklusive ansehnlich rauschender Brandung ernöglicht - gerade das wogende Meer, das auf der Xbox 360 allerdings nur wie blaue Plastikfolie aussieht, sorgt auf dem PC fast für Urlaubsaussichten. Hinzu kommen plötzliche Wetterwechsel, die sich über graue Wolken ankündigen, sowie je nach Licht ein anderer Charakter in der weiten Hügellandschaft. Ich betone das alles bewusst, denn der äußere Rahmen kann sich sehen lassen und durchaus Lust auf die Erkundung machen. Schade nur, dass man dieses Fundament nicht nutzt, um ein episches Abenteuer für anspruchsvolle Rollenspieler zu inszenieren - man nutzt sie, um sich dem anspruchslosen Mainstream anzubiedern.    

Das schwere Erbe

Privatbesitz gibt es nicht: NPCs lassen sich vor ihren Augen um ihr Hab und Gut bringen - es gibt keine Reaktion.
Gothic ist natürlich ein schweres Erbe. Ich erwarte von einem neuen Team nicht dasselbe Flair, dieselben Quests, die Piranha Bytes inszenierte. Ich erwarte auch nicht dasselbe Spielgefühl. Aber nicht nur die Story um König Rhobar, auch das Auftauchen von Diego & Co zwingen geradezu eine kreative Weiterführung gewisser Elemente auf - erzählerisch und inhaltlich. Das leistet Spellbound hinsichtlich der machtpolitischen Hintergründe und auch was den Aufbau der Welt angeht; man merkt dem Spiel und der Story an, dass es sich als Fortsetzung versteht - schließlich heißt es Gothic 4. Aber man macht nicht den kreativen Schritt nach vorne, was die Qualität der Quests, die Lebendigkeit der Spielwelt, die Reaktionen von NPCs, das Kampfsystem, die Dialoge, die Karriere oder die Entscheidungen angeht.

Im Gegenteil: Unter der hübschen Landschaft ist nichts, rein gar nichts, was mit aktueller Rollenspielqualität mithalten könnte - von einem Moralsystem oder Entscheidungen mit Konsequenzen à la BioWare will ich gar nicht erst anfangen, denn man spielt einen Dümmling, der in einer Quest vielleicht mal über Prügel oder Nicht-Prügel entscheiden darf. Spellbound versagt nicht nur bei den Dialogen und der Implementierung eigener Ideen, man kastriert auch noch viele der Stärken, die ein "Gothic" im Namen zwingend verlangt: Ich kann mit gezückter Klinge überall auftauchen, ohne dass man mich zurechtweist - selbst bei Wachen oder in Privaträumen! Soll das der Atmosphäre etwa Glaubwürdigkeit verliehen? Ich kann Horden von Feinden in Lager, ja hin zu Soldaten locken, und niemand reagiert mit einem aktiven Kampf auf sie - sie werden einfach ignoriert. Natürlich kommt es so nicht zu der Katastrophe, die Gothic 3 heimsuchte, wenn man mit einer Rotte Wildschweine im Nacken ganze Banditenlager platt machte. Aber ehrlich gesagt ist das wesentlich authentischer und mutiger als diese komplette Ignoranz von Zivilisten und Militär gegenüber Feinden.

Das kastrierte Rollenspiel

Selbst wenn man als Fremder vor einer Stadtwache das Schwert zieht, gibt es keine Reaktion. Aber dafür sehen die Festungen klasse aus.
Auch das Thema Diebstahl wird hier auf primitivstem Niveau behandelt. Ich kann alle privaten Truhen und Kisten vor den Augen der Besitzer plündern, ja selbst geschlossene mit dem Dietrich knacken, ohne dass es jemanden stört. Deshalb musste ich nicht einmal ernsthaft zu einem Händler oder Schmied, weil ich mit dem reinen Klauen und Sammeln immer bestens ausgestattet war; von Rezepten über Runen bis hin zu Tränken, Waffen oder magischen Schilden. Apropos Dietrich: man hat ihn, er bricht nie und es gibt tatsächlich ein Schlossknackminispiel - ich will nicht zu viel verraten, aber anspruchsloser als in dieser Klicklotterie geht's nicht mehr.

Wenn die Spielwelt nichts anderes als ein Selbstbedienungsladen ist, dann kann sie noch so hübsch aussehen, dann wirkt vieles in ihr einfach nur billig. Ich muss mich nicht bemühen, um an Geld zu kommen. Ich muss mich nicht in meine Rolle hinein versetzen und Gesetze oder Tabus achten. Ich kann einfach überall hin und machen, was ich will, denn es gibt ja kein Moralsystem. Und wer die Rune mit dem Geschwindigkeitsschub bekommt, kann auch einfach tief in eine "gefährliche" Goblinhöhle, um in einer Quest eine Standarte zu sichern: Man rennt einfach rein, lässt die Goblins im Mob hinter sich her rennen und holt die Fahne raus. Was soll das sein? Ein DHL-Service? Ein Rollenspiel für komplett Anspruchslose?  

Inkonsequentes Weltdesign

Atmosphärekiller: Man kommt in eine Taverne und alle Gäste heißen "Reisender", haben nichts zu erzählen.
Wenn ich in einem der Dörfer oder in einer der imposanten Burgen unterwegs bin, zeigt auch das Weltdesign sein beschränktes Gesicht: Zum einen gibt es fast kein Leben in den Gemäuern - ja, da stehen Wachen rum und ab und zu läuft einem jemand über den Weg. Und bei Regen gehen die Leute tatsächlich rein; sehr schön. Aber wie viele Klonfiguren muss man auf seiner Reise ertragen? Egal ob Grengar, Herwar oder Garv - zu viele Männer und Frauen sehen identisch aus, obwohl es nicht mal viele NPCs gibt! Dass die Gestik aus der Mottenkiste kommt, kann man noch ertragen. Dass der Held in Dialoganfängen immer seinen Helm verliert, kann man verschmerzen. Aber dass neue Charaktere wie alte aussehen, dass die Frau des Barons wie die Schmiedin nebenan aussieht, ist eine Zumutung.

Und warum muss die erste große Taverne "Zur gespaltenen Jungfrau" so ein erbärmliches Bild hinterlassen: Da öffnet sich das Spiel gerade mit weiteren Aufgaben, man freut sich darüber, dass die Wirtin mit und an ihrer Theke mal etwas anders aussieht als die ewig gleichen Frauenfiguren mit ihrer hüftsteifen Brust-raus-Haltung. Und dann? Dann kann man dort nicht mal mit den Gästen sprechen, die auch keine Namen tragen, sondern einfach "Reisende" sind. Dass die Entwickler nicht gerade kreativ bei der Namensfindung sind, weiß man spätestens, wenn man in einem Stollen einem Mann mit Spitzhacke begegnet, der "Digger" heißt. Okay, geschenkt, aber kann man nicht wenigstens in einer Taverne für mehr Charaktere sorgen? Selbst wenn sie nur sagen würden, woher sie kommen! Das würde der Spielwelt wenigstens weitere örtliche Ankerpunkte verleihen. Wieso kann man im Jahr 2010 nicht mehr Leben, nicht mehr Reize für Dialoge in diese sterile Botkaschemme bringen? Erinnert sich noch jemand an das Konzert von InExtremo in Gothic? Das waren noch Zeiten. Eine Taverne lebt vom Reiz der Unbekannten! Lasst wenigstens einen Barden spielen oder einen Narren auftreten, aber baut doch nicht einfach einen Raum mit Bots!

Atmosphärische Rudimente

Nur ganz wenig Charaktere wurden so individuell gestaltet: Man begegnet zig Klonfiguren, egal ob männlich oder weiblich.
Hinzu kommen viele kleine Inkonsequenzen, die an der Atmosphäre nagen: Warum hat die Taverne in der viel größeren Stadt Stewark eigentlich keinen Namen? Warum sieht der einzige Gast dort genauso aus wie der Wirt? Warum sieht der Bäcker aus wie zwanzig, aber spricht wie ein Greis? Warum brät da ein fettes Schwein über dem Spieß in der Stadt, aber niemand sitzt dort und isst? Auch hier zeigt sich die Oberflächlichkeit der Story: Immerhin soll es gerade eine Hungersnot (!) geben, über die man sich ein paar Meter weiter beschwert! Warum reißen sich die Armen nicht um das Fleisch? Und wenn ich an diesen Spieß gehe, kann ich ihn drehen - ohne dass etwas passiert. Ich bekomme weder Fleisch noch werde ich angesprochen. Das ist alles ein Armutszeugnis der Dramaturgie.

Von diesen Pseudo-Aktivitäten, die wie typologische Rudimente aus Gothiczeiten wirken, gibt es noch mehr: Man kann sein Schwert schleifen, sieht die Animation, aber nichts passiert - nicht mal eine Statistikänderung. Man kann an ein Lesepult gehen, sieht die Animation, aber nichts passiert. Es gibt zwar viele Regale, aber überhaupt keine Bücher, in denen man mal à la Oblivion stöbern könnte, um sich über die Geschichte des Landes oder Mythen und Gebräuche zu informieren. Sprich: Man wird für seine Neugier einfach nicht belohnt; selbst wenn man sich in den Krieg und die Machtlage hinein steigern will, kann man das nicht tun - es gibt keine Lektüre dafür. Gerade Einsteiger werden mit den wenigen Informationen des Intros sowie den kargen Dialogen kaum mit der Welt und ihrer Historie vertraut gemacht. Warum kann man nicht mal Flugblätter oder Notizen finden, die die Machtlage oder Parteien veranschaulichen? Warum kann man nicht mal ein Buch über Innos finden, in dem sein Kult erläutert wird? Erst ein Krämer informiert in einem der wenigen guten, weil endlich mal etwas längeren und religionshistorisch interessanteren Gespräche über die Hauptgötter eines Reiches.

 

Keine Fraktionen, keine Kommunikation

Da es weder Fraktionen noch Trainer, weder Gilden noch ein Moralsystem gibt, kann man seine Rolle am besten beim Ausblick interpretieren.
Apropos Machtlage: Man hat im Grunde nur einen Feind - König Rhobar III, der ja die eigene Frau auf dem Gewissen hat. Dann kommt aufgrund der eigenen Waisenvita sowie der mysteriösen Suche der Königspaladine nach einem Tempel noch eine weitere Motivation hinzu, das eigene Abenteuer wirklich durchzustehen, aber man hat auf dem Weg zum Ziel keinerlei politische Wahl. Es gibt zwar Königstreue, Rebellen, Kultisten und Waldläufer, aber keine Fraktionen, die man gezielt aufsuchen könnte, um sich ihnen über Aufgaben anzuschließen. Wieso kann ich nicht wenigstens in einfachen Multiple-Choice-Dialogen bei Jilvie mehr über die Waldläufer erfahren? Vertrauen aufbauen? Das geht hier nach einer stupiden Quest oder nach einem blöden Satz. Es gibt keine kommunikativen oder konspirativen Talente, sondern beim Aufstieg lediglich die Wahl, ob man eher Nah-, Fernkampf oder eine der drei Magietypen einsetzen will. Man kann sich also einen Krieger, eine Mischung oder einen reinen Magier erstellen, indem man nach dem Aufstieg seine Fertigkeitspunkte in einem sterilen Menü auf acht Fähigkeiten von Disziplin bis Dominanz verteilt.

Man muss weder clever reden, geschickt überzeugen oder sich Vertrauen verschaffen. Man arbeitet stur eine Questlinie ab, die alles vorgibt - und das teilweise so hanebüchen, dass man lachen muss. Die Geschichte mit der Audienz beim Baron und der anschließenden Rebellion von Lord Hertan wird so selten schlecht erzählt und inszeniert, dass man nur den Kopf schütteln kann: Man latscht an geheime Orte, ist in einer Sekunde noch der Unbekannte, der gleich getötet wird, dann der große Retter, dem man vertraut.

Bei jedem Aufstieg verteilt man Punkte auf diese Fähigkeiten. Allerdings braucht man sich nicht um eine Spezialisierung bemühen - man kann spätestens ab Level 5 alles.
Es geht alles zu schnell, zu oberflächlich vonstatten. Man fühlt sich wie auf der Einbahnstraße eines machtpolitischen Speedruns, wenn man von A nach B nach C nach D geschickt wird. Und weil man nach einem Levelaufstieg alles kann, egal ob Bogenschuss, Zweihandhieb oder Feuerball, ohne mal Trainer oder eine Gilde bemüht zu haben, fühlt man sich auch noch wie in einem All inclusive-Rollenspiel.

Man hat aber gar keine Zeit für das laute Lachen, zumal einem die Quests jede Heiterkeit austreiben. Denn man wird in einer Endlosschleife von billigen Hol- und Bringdiensten durch das ganze Land gescheucht, fühlt sich wie ein idiotischer Handlanger - hier mal etwas überspitzt: Hat man gerade Goblins getötet und eine Kiste gefunden, fehlt der Schlüssel, den es in einer Höhle gibt, wo erst eine Wand zum Einsturz gebracht werden soll, für die man eine Zutat braucht, die es im Wald bei den Goblins gibt, die man erst töten muss. Man läuft und läuft und freut sich nur noch über die Teleporter, die sich beim Vorbeilaufen aktivieren. Und darüber, dass man wenigstens alle optischen Hilfen wie die Anzeige von Zielorten oder Lebenspunkteleisten abschalten kann.

Sag mir, wo die Quest sind?

Gute Quests? Mangelware! Im Vergleich zu Oblivion sind gerade die Nebenaufgaben eine Zumutung - selbst World of WarCraft hat spannendere Missionen. Auch, weil man die weitläufigen Katakomben nicht für Fallen, Rätsel oder Ähnliches nutzt: Man

Handel? Gute Schmiede suchen? Nicht nötig, man findet oder raubt sich früh genug so mächtig, dass man alles an Gegnern weghauen kann.
trabt durch immer gleiche Höhlenschläuche, ohne dass man das Gefühl hat, gleich Geheimnisse zu finden - zwar rieselt es ansehnlich von der Decke, aber es passiert nichts Mysteriöses, nichts Spannendes. Das Höchste der Questgefühle: Der Schlüssel bei einer Leiche öffnet den Ausgang des Dungeons ein paar Meter weiter nördlich - toll! Mal soll man eine verschollene Kiste finden oder ein unheimliches Haus besuchen, aber alles, was im Ansatz interessant wirkt, kann in der Ausführung nicht mehr überzeugen. Ansonsten gilt es immer nur, eine bestimmte Zahl an Monstern für irgendjemanden zu töten: Und das vom Einstieg bis zum Finale nach etwa 15 bis 20 Stunden - je nachdem, auf wie viele sinnlose Aufgaben man zwischendurh pfeift.

Im Tagebuch finden sich dann sehr schnell überaus motivierende Aufgaben wie: Altertümliche Relikte (0/30), Beliarartfekate (0/30), Innosstatuetten (0/30). Es kommen übrigens noch mehr dieser epischen Sammelreize hinzu. Hallo? Was ist denn überhaupt ein Beliarartefakt könnte sich jemand fragen, der Gothic noch nicht so gut kennt? Vielleicht hätte die Hexe im "Dunkelwald" da etwas mehr Auskunft geben können, die zu den schlimmsten Darstellungen dieses Archetyps gehört, die ich je in einem Videospiel gesehen habe. Erstens zeigt "Lyrca" exakt dieselbe Haltung wie Ivy und viele andere Frauen, zweitens verströmt sie so viel Furcht wie eine faule Kartoffel. Erinnert ihr euch noch an Morrigans Mutter aus Dragon Age? Auch sie triefte vor Klischee, aber sie verdient als Interpretaion von Hexe einen Oskar, wenn man dieses Polygongerippe vor sich sieht.  

Knietief in Langeweileleichen

Die Stadt soll kurz vor einer Hungersnot stehen? Und dann gibt es ein Schwein am Spieß, ohne einen Interessenten? 
Was macht man, wenn das Rollenspiel nicht in die Gänge kommt? Ich kloppe. Ich haue und steche. Ich schieße, brutzle und fuchtle. Aber egal ob da die Leichen von Scavengern, Blutfliegen oder Goblins meinen Weg pflastern, egal ob ich Schwert, Bogen oder Feuer einsetze: Es ist nicht die Spannung, die mich zum nächsten Ziel begleitet, sondern die Langeweile - und die lastet auch in den Kämpfen schwer auf dem Abenteuer. Arcania ist selbst als Action-Rollenspiel oder Hack'n Slay nicht unterhaltsam. Denn ich klicke in diesen angeblich "taktischen Kämpfen" alles stupide weg, was sich mir in den Weg stellt. Dabei ist es egal, ob es sich um einen einfachen Wegelagerer oder einen Schamanen oder gar einen Fürsten der Skelette handelt. Und weil meine wilden Rundumhiebe meist drei, vier Feinde gleichzeitig zurückwerfen, kann ich frohen Mutes auch mal in ein Goblinlager rennen - schon im ersten Drittel kippt die Balance, wenn man mächtige Waffen findet.

Nur ganz selten muss man blocken oder ausweichen, wenn sich die Feinde mal clever unterstützen und ihre Magie oder Pfeile nicht in Felsen jagen - was leider viel zu oft vorkommt. Manchmal rennt man einfach hinter einen Schutthaufen und hört den Schamanen eifrig Blitze in ihn schleudern - einen, zwei, drei, vier oder fünf. Dann rennt man herum und muss das armselige Schauspiel unterbrechen. Aber selbst wenn man sich offen stellt und selbst bei angedeuteten "Bossen" ist das Kampfsystem im Zeitalter von Fable  II, Demon's Souls  & Co so primitiv, dass man sich als einigermaßen erfahrener Spieler fast veralbert vorkommt: Feinde können mit einem schweren Hieb den aktiven Block durchbrechen - das ist an sich eine gute Sache. Aber der Hieb wird quasi immer durch eine Aufladephase angezeigt, so dass man immer rechtzeitig ausweichen kann. Es werden weder Gewicht noch Rüstung oder gar Schild beim Wegrollen berücksichtigt - man rollt immer wie ein flinker Leichtathlet zur Seite. Apropos Rüstungen: Immerhin gibt es in der Mitte des Abenteuers endlich

Hauen, wegrollen, hauen. Oder: Hauen, hauen, hauen, hauen. Das Kampfsystem ist ebenso primitiv wie die Dialoge.
mal neue, die man bis dato verzweifelt bei Händlern oder Schmieden gesucht hat. Wer die Rebellion anzettelt, darf sich danach beim Baron für einen schweren Paladinplattenpanzer, eine leichte Lederrüstung oder eine Magierrobe entscheiden, die jeweils andere Boni einbringen.

Dummes Haudrauf

Wenn es mal dazu kommt, dass sich Feinde einigeln und kurzfristig immun gehen Attacken sind, muss man sie kurz mit einem Zauber kitzeln: Der Kampf gegen die Königin der Schaben gehört zu den langweiligsten meiner Rollenspielgeschichte - man stellt sich direkt vor das Ungeziefer, haut drauf, sie verschwindet im Panzer, man zaubert, sie taucht auf, man haut drauf, sie verschwindet im Panzer, man zaubert, sie taucht auf. Obwohl man von allen Seiten als Jungspund und Greenhorn

Arcania kann als Rollenspiel nur in einem Bereich punkten: Landschaft und Architektur.
bezeichnet wird, bekommt man in keinem Kampf mal eine Lektion, die zur Verbesserung der Taktik oder Skills animieren würde. Selbst den hünenhaften Hauptmann der Stadtwachen von Stewark kann man mal eben so ohne eine Parade oder Riposte seinerseits verprügeln, indem man ihn einfach mit Mausklicks gegen die Wand klatscht. Und danach? Plündert man seine Kisten.

Was außerdem nervt: Sobald man in die Blockposition geht, kann man seine Haltung nicht mehr ausrichten. Man kann auch keinen Feind fixieren, um die Sicht auf ihn zu konzentrieren, so dass es teilweise zu hektischen Richtungswechseln kommt. Auch Kleinigkeiten stören das chaotische Mausklickmashing: Sobald ein schwerer Schlag den eigenen Schild trifft, zerbirst er nicht etwa, sondern es gibt einfach ein paar Blutspritzer dahinter - Waffen und Rüstungen nutzen sich nicht ab, bleiben immer so neu wie am Tag der ersten Beute. Und wer seine Angriffe mit einem Bogen vorbereitet, kann Lager noch einfacher ausheben: Einen von vier Goblins anschießen, der dann trotz Sichtkontakt alleine (!) auf einen zu joggt, dann die Sehne immer wieder beim gleichzeitigen Zurücklaufen voll ausziehen und den Pfeil losjagen - zwei, drei reichen für die nächste Leiche.    

Fazit

Das ist ein Schlag ins Gesicht für jeden, der leidenschaftlich gerne in Rollenspiele abtaucht! Ich habe selten so viel Langeweile, so viel grausame Dialoge und so viel Unglaubwürdigkeit ertragen müssen. Was soll das bitte sein, Spellbound? Ein Deutschland-sucht-den-dümmsten-Helden-Wettbewerb? Oder Wie-portiere-ich-richtig-schlecht-auf-360? Die grenzdebile Verbeugung vor dem anspruchslosen Mainstream, der sich in einer Taverne gerne mit Klon-Reisenden unterhält? Ich habe nicht erwartet, dass man mit einem neuen Team genau das markante Spielgefühl anbietet, das Piranha Bytes mal ausgezeichnet hat. Ich habe allerdings erwartet, dass man mit "Gothic 4" als Untertitel nicht nur Markenhengste anlocken, sondern eine ehemals faszinierende Spielwelt mit eigenen Ideen kreativ bereichern will. Das klappt nur an der Oberfläche der urigen Festungen und der idyllischen Landschaft. Aber darunter ist nichts als die Kastration auf primitivstes Rollenspielniveau ohne Entscheidungen, ohne Fraktionen, ohne Entwicklungen, ohne glaubwürdige Reaktionen. Spiele wie Dragon Age, Fable II, Oblivion oder The Witcher sind als voll entwickelte Planeten Lichtjahre entfernt von diesem Dramaturgieschrottkometen! Man muss sich mit einem Vollidioten von Schönling durch Dialoge quälen, die nicht mal Bastei-Lübbe für 50 Cent abdrucken würde. Es kann gerade aufgrund der turbulenten Geschichte dieser einst so großartigen Spielwelt keine Gnade für dieses dilettantische Abenteuer mit Einbahnstraßenquests und banalem Kampfsystem geben, das nicht mal an die Spannung eines World of WarCraft heran kommt. Es katapultiert ahnungslose Käufer vor hübscher Postkartenkulisse in die Steinzeit dieses an sich so faszinierenden Genres. Selbst Gothic 3 hat mir mit Bugs weitaus mehr Spaß gemacht als diese animierte Impotenz von Rollenspiel. Ach ja, noch eine Bitte an JoWooD: Könnt ihr die PS3-Version bitte zurückrufen oder ganz einstampfen? Und vielleicht nie mehr dieses Genre anfassen? Danke.

Pro

noch keine PS3-Version spielbar
hübsche Landschaft
ansehnliche Burgen und Dörfer
stimmungsvolle Wetterwechsel
Diego, Lester & Co

Kontra

unheimlich schwacher Einstieg
infantiler Schönling als Held
banales Kampfsystem
langweilige Katakomben
streng lineare Struktur
Dramaturgie ohne Emotionen
Diebstahl ohne Folgen - NPCs reagieren wie sterile Bots
unglaubwürdige Spielweltsituationen
schrecklich banale Dialoge
kaum ernst zu nehmende Feinde
keine Entscheidungsfreiheiten- hölzerne, fast alberne Gestik
keine Fraktionen als konkurrierende Mächte
Karriere ohne Spezialisierungen
belanglose Hol
& Bring-Quests
viel zu viele Figurenklone
Pseudo-Rollenspielaktionen (Lesen, schleifen etc.)
eintönige Hintergrundmusik
Probleme mit der Kollisionsabfrage
Flimmern, Ruckler, schwache Technik (360)
Bildratenprobleme (PC)

Wertung

360

Finger weg von dieser Flimmer- und Ruckelorgie - eine ganz schlechte Konsolenumsetzung!

PC

Gothic im Namen, totale Langeweile im Spiel: Spellbound bietet Einbahnstraßenquests mit grenzdebilen Dialogen und primitivem Kampfsystem.

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