StateShift26.03.2009, Benjamin Schmädig
StateShift

Im Test:

Retro-Trips sind ja was Feines! Nicht umsonst lärmt mich der rostige P200 unter meinem Schreibtisch alle paar Monate zurück in die Spiele-Steinzeit. Da stemmt der MMX-Prozessor dann Perlen wie WipEout 2097, anschließend erinnert mich Rollcage 2 daran, wie sehr ich mir eine Fortsetzung wünsche und abschließend hetze ich mal wieder mit DethKarz durch die Zukunft. Speed, Action und Beats - das war die Hochzeit der Sci-Fi-Racer! Das war genau wie im neuen StateShift (ab 16,98€ bei kaufen) - nur, dass ich für StateShift nicht mal einen alten Rechner brauche!

Feuchte Träume

Herrlich - es ist wie in einem feuchten Traum. Denn während mich die Wogen eines sanften Ozeans behutsam in ein Paradies tragen, schweift mein Blick in die Ferne, wo sich ein weinroter Schleier sanft auf den Horizont bettet. Weit entfernt schimmert das verwaschene Abendrot, wie eine Ode an die Vergangenheit erzählt es von...

Anarchie!

Rumms - mein Hinterrad kracht gegen die Begrenzungsmauer, ein, zwei Konkurrenten ziehen vorbei. Nicht, dass mein Wagen Schaden nehmen würde; der bleibt so lange hundertprozentig schadenfrei, bis ich ihn frontal in eine Mauer ramme. Erst dann zersetzt sich das Ding in einer 16Bit-kompatiblen  Gelblosion in fünf handliche Teile (Räder + Karosserie). SO retro! Na, jedenfalls: Nicht mit mir! Vehikel ist ja noch heil, also brenne ich eine Sekunde später die Pneus unter dem Dröhnen eines Boosts in den Boden. Zehn Sekunden später gehören die zwei verlorenen Positionen (die einfältigen Gegner fahren meist im Doppelpack) dann wieder mir. Jetzt hab'

Der Blick in die Zukunft mit StateShift.
ich wieder Luft zum Atmen. Wo war ich?

Richtig, beim Abendrot der Vergangenheit. Bei der verklärten Erinnerung. Dabei, dass die ollen Kamellen von vor zehn Jahren in Gedanken schöner aussehen als sie tatsächlich sind. Wobei, manchmal... sehen sie sogar noch mieser aus. Nein, ehrlich, StateShift, z.B.: Atmosphäre und "Story" (knappe Rohstoffe - industrielle Anarchie - illegale Straßenrennen - ...) erinnern irgendwie an das geniale POD - nur, dass das zwölf Jahre alte Museumsstück heute noch besser aussieht als StateShift. DAS nenn' ich Retro! Langsam dämmert mir ja übrigens, dass mein Meer der nostalgischen Glückseligkeit gar kein feuchter Traum war, sondern die Widerspiegelung dieses niedrig aufgelösten, völlig unscharfen und deshalb absolut nichts sagenden Bitmaps im Hintergrund. Herrlich!

Aus Klein mach Groß

Mal davon abgesehen, dass so manches alte Tastatur-"Lenkrad" heute gar nicht mehr geht. Und da hält sich eine Retro-Perle wie StateShift natürlich dran. Seltsamerweise darf ich ja mein ultramodernes 360-Pad anstöpseln - analoges Gas geben und Bremsen gibt's dann aber Gott sei Dank nicht. Wäre doch vermessen, wenn die PC-Umsetzung eines zwei Jahre alten PSP-Spiels mehr könnte als am Handheld! Außerdem werden die Stateshifts so komfortabel ausgelöst wie es mit dem "Doppelklick" der dafür vorgesehenen Tasten eben geht. Retro Sport: krampfig, pfriemelig, gut!              

Apropos PSP: StateShift hält sich dermaßen sklavisch an das Flair der schlecht gealterten Vorlage, dass es ein gestauchtes 4:3-Fenster zeigt, anstatt den ursprünglichen Bildausschnitt dem Monitorformat anzupassen. Sogar auf 16:9-Geräten wird das Bild noch gestaucht! Wenn ich mein neumodisches Projektionsgerät also nicht gerade so Bild verzerrend einstelle, dass es den Widescreen erzwingt, beharrt das Spiel selbst bei aktivierter 16:9-Option auf dem Retro-Kasten. Ich darf ja nicht mal die niedrige Auflösung ändern - Old-School at its best! Gilt übrigens auch für den Musikmatsch, der mir hier aufs Trommelfell hackt. 20 Videospiel-Jahre musste ich auf SO einen Geschmack vernichtenden Techno-Trash warten! Dieser wahr gewordene Traum, dieses grandiose Retro Real, das den Äther ebenso gleichförmig wie ausdauernd

Eine müde Schlange? Ein Spielzeugwagon? Ein Eisenbahnwagen mit Solid Snakes Tarnanzug?
mit einem gleichwohl undefinierbaren und deutungsoffenen Dröhnen flutet... Da ist es nur logisch, dass StateShift die Rempeleien zwischen den tonnenschweren Vehikeln akustisch unterdrückt. In manchen Augenblicken dann schließlich der entscheidende Kunstgriff: Die wenigen restlichen Klänge fehlen plötzlich. Das setzt nicht nur barocke Nuancen, es spart auch Rechenpower. StateShift würde immerhin selbst mein P200 noch packen. So sieht es zumindest aus. Retro eben!

Groteske Gestaltenwandler

Und was sind nun diese Stateshifts? So heißt das Vehikel-Verwandeln nach erwähntem Tastendoppeldruck. So lange man dann eine dieser Tasten gedrückt hält, boostet man, wird zum unverwundbaren Rammbock, genießt die Erscheinungsform eines buchstäblichen Geisterfahrers oder schlägt der Fahrphysik ein Schnäppchen, indem man selbst enge Schikanen mit Vollgas nimmt. Wofür ich im Übrigen endlos dankbar bin! Die StateShift-Kolosse lenken sich nämlich schlechter als voll beladene Güterzüge. Klar - immerhin sind das hier die Formel 1-Boliden der Zukunft! ... Wobei: Spricht man eigentlich von Fahr"physik", wenn sich ein Vehikel träge nach links und rechts bewegen und irgendwo anstoßen kann, aber ansonsten kaum auf die Umgebung reagiert? Tja, so war das damals eben, bei Pole Position z.B. - dem ersten, wohl gemerkt. Wo ist mein schwarz/weiß karierter Retro-Wimpel?

Hat man übrigens mal nicht genug blaue... Punkte für den Stateshift aufgesammelt, gibt's so eine Art Erste Hilfe-Drift. Runter vom Gas, kurz auf die Bremse, zurück aufs Gas - und schon dreht sich die Karre in augenverdrehender Art und Weise auf der Stelle, während sie wie eine Schnecke um die Kurve schleimt. Aber ich bin besser! Ich fahre den Wagen einfach im richtigen Winkel in die Bande und eiere als Leitplankenchaot richtig flott um die Biegung. Lässiges Dauerdriften wie im coolen Powerslide? Pfff. SO sieht ein AAA-Blockbuster* aus!

Baller, man!

Und was darf in fast keinem Sci-Fi-Retro-Racer fehlen? Na, Waffen natürlich! StateShift geht das dabei ungemein clever an: Am Anfang darf ich weder ballern noch großartig stateshiften - erst nach ein paar Siegen schaltet mir das Spiel mehr Auto-Verwandlungen und Waffen frei. Grandios, wie dann plötzlich, ich

Handliche fünf Teile: Es "kracht" im Splitscreen.
glaube es sollen Raketen sein, durch (!) die Wände fliegen und zweifarbige Riesenmurmeln (Bomben, wie ich vermute) über die Piste purzeln. Ich müsste Jahrzehnte zurückdenken, um mich an ein Feuerwerk zu erinnern, das seinen eigenen Knalleffekt dermaßen gerissen unterwandert. Hier knallt, hier rummst, hier donnert - GAR nichts. Retrotastisch!

Genial: Noch subversiver ist die Karriere selbst. Offene Welt? Mehrere Rennen zur Auswahl? Verschiedene Typen von Rennen? Das ist doch genau der Mist, mit dem mir die Moderne den klassischen Fahrspaß kaputt macht! Hier wird noch schön der Reihe nach ein Rennen nach dem nächsten abgespult, wobei ich die einfältige Konkurrenz  nach meinem einsamen Start stets häppchenweise aufrolle. Mehr als zwei Fahrzeuge gleichzeitig im Bild, wenigstens am Start? Um Himmels willen - das kann man einem Zuse-Computer doch nicht zumuten! Vermutlich aus dem gleichen Grund sehen die Vehikel alle gleich aus. Nein, wirklich: es gibt genau EIN Wagenmodell für sämtliche Fahrzeuge - köstlich! Genau so wenig gibt es eine Anzeige für die Anzahl der verbleibenden Runden, und Online-Rennen gibt es ja - konsequent ausgetüftelt! - in der Zeitrechnung von StateShift erst in der fernen Zukunft. Kleines Eingeständnis: Ich könnte einen Kumpel zum Duell auf dem geteilten Bildschirm überreden. Das heißt... falls der nicht schon beim Zugucken im Retro-Delirium ersoffen ist.

* Antiker-Als-Annodazumal        

Fazit

Vergesst POD, vergesst KillerLoop, vergesst Extreme-G! Vergesst Ballistics, Hi-Octane, WipEout, Powerslide und wie die Opas alle heißen - StateShift ist der Retro-König! Wenn sich die ganzen Oldtimer mit locker mehr als einer Dekade auf den Stoßdämpfern besser fahren als die Neuentwicklung, dann sind die ollen Kamellen in Sachen Old School einfach abgemeldet. StateShift ist der feuchte Traum ewiger Zurückblicker: Es ist trister, langweiliger, liebloser und ohrenbetäubender als jeder Oldie im heutigen (!) Direktvergleich. Es ist ein etwa zehn Euro billiges Kunstwerk der Retrospektive - eine hohle Plastikstele mit der Inschrift: "Früher war alles besser!" Retro as retro can - aber StateShift kann nicht. ICH kann nicht mehr. Ich kann vor allem gar nicht alt genug sein, um DIESE Kunst wertzuschätzen. Nur eins ist mir dennoch klar geworden: Retro ist geil!
Aber StateShift ist geiler!

Pro

Früher war WIRKLICH alles besser!

Kontra

klobige, hässliche, einfarbige Kulissen
es existiert genau ein Wagenmodell
extrem verwaschene Hintergründe
keine Rundenanzeige
unnötig kompliziertes Auslösen der StateShifts
uninspiriertes Techno-Geschredder
kein Einstellen der Auflösung
nicht vorhandene Gegner-Intelligenz
ausgesprochen monotoner Rennverlauf
langweilige Waffen
kein Schadensmodell 
Vehikel zerplatzen einfach bei starkem Wandkontakt

Wertung

PC

Früher war alles besser? In der Tat: Zehn Jahre alte Klassiker machen heute noch mehr Spaß als StateShift!

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