Familienkonflikt auf zwei Ebenen
Zum anderen interpretiert die Story die nordische Mythologie angenehm kreativ. Man nutzt die Geschichten der Edda nicht einfach als Aufhänger für eine Welt, Namen und Antagonisten, sondern erschafft auf Grundlage der bekannten Überlieferungen eine neue Sicht, so dass man selbst als Kenner der Materie interessiert zuhört. Ähnlich wie beim Artdesign haben sich die Entwickler intensiv mit den Quellen beschäftigt. Dabei geht es vor allem um die Konflikte zwischen Asen und Wanen, Riesen und Göttern - also um die kriegerischen Ursprünge eines etablierten Pantheons, an dessen Spitze eigentlich Odin steht, der Allvater, der ähnlich wie Zeus die größte Macht besitzt.
Das intuitive, aber gefahrlose Klettern erinnert an Uncharted.
Wie kam er eigentlich dazu? Genau hier beginnt die kreative Interpretation, die für ein paar Schatten sorgt. Das wird vielleicht nicht alle Anhänger von Odin oder Thor freuen, aber dass man gerade diese beiden populären Stars aus Asgard etwas kritischer betrachtet, und die Rolle des oftmals unterschätzten Tyr etwas anreichert, sorgt für frische Impulse - und entspricht ganz nebenbei einer Theorie in der altnordischen Forschung, die davon ausgeht, dass dieser Kriegs- und Rechtsgott Tyr (Tiwaz), der noch in unserem Dienstag (Tirsdag auf Norwegisch) steckt, lange Zeit der wichtigste germanische Gott war, bis er von Odin (Wodan) verdrängt wurde.
Von Hrungnir bis Freyja
Ich war zudem überrascht, wie viele originale Eddalieder und Sagen integriert wurden, so dass man nebenbei auch noch etwas über diese verlorenen Schätze lernen kann, über Ymir und Hrungnir, Njörd und Freyja. Falls ihr euch dafür interessiert, haben wir eine kleine
Einführung in die germanische Mythologie vorbereitet. Noch viel wichtiger: Man spiegelt gleichzeitig den
Es gibt viele mittelgroße Feinde und Minibosse.
familiären Konflikt zwischen Kratos und Atreus in diesem nordischen Götterszenario, in dem es ja auch um Macht und Verrat in der Familie geht. Hier nimmt sich Studio Santa Monica zwar große Freiheiten zugunsten der Dramaturgie des Spiels, aber genau so funktioniert Unterhaltung - zumal es keine "richtige" und "falsche" Sicht auf die alten Götter gibt, sondern letztlich nur Interpretationen verschiedener akademischer Schulen.
Abseits von heroischem Pathos geht es also auch um emotional Alltägliches, mit dem man sich identifizieren kann. So ergeben sich auf der Reise ganz normale Konflikte, zumal sich Vater und Sohn auch noch mit der Erkenntnis entwickeln. Sprich: Es bleibt nicht bei knallharter Vater befiehlt und demütiger Sohn folgt - auch das Rebellieren wird spürbar, wenn Atreus die Moral des Vaters mit den eigenen Argumenten entblößt. Stopp mal: Ist allen Beteiligten an dieser Stelle noch klar, dass wir über ein fucking Hack'n'Slay reden als wäre es eine Wagner-Oper? Wobei ich God of War übrigens vorziehen würde. Aber was nutzen einem diese beiden Eckpfeiler der Neugier, wenn all das nicht spannend erzählt, sondern wie so häufig in Textfragmenten archiviert oder Audiologs abgespult wird? Okay, Letztere sind - den Göttern sei dank - aufgrund der technologischen Defizite in Midgard nicht dabei. Aber jetzt komme ich zur größten Leistung dieses Spiels: zur Erzählweise.