Brettspiel-Test: Agricola (Worker Placement (Arbeitersetzspiel))

von Jörg Luibl



Release:
13.06.2013
13.06.2013
kein Termin
kein Termin
13.04.2020
Q2 2007
Spielinfo Bilder Videos
Fülle an Ausbildung und Anschaffungen

Das sieht schon besser aus: Drei Familienmitglieder (jedes gibt am Ende drei Punkte), zwei Tierarten und sogar Getreide und Gemüse. 
Agricola wird je nach Spielerzahl (eins bis fünf; auch eine gelungene Solo-Variante ist möglich) immer gleich aufgebaut, es werden immer die gleichen vierzehn Rundenkarten und doch spielt es sich immer anders. Das liegt nicht nur daran, dass man seine Taktik an das Marktplatzverhalten der anderen Bauern anpassen muss - und natürlich wird es kniffliger und spannender, je mehr Bauern um die Rüben kämpfen. Es liegt aber vor allem daran, dass man vor jedem Spiel immer zufällig sieben von 169 (!) Ausbildungs- und 139 (!) kleinen Anschafffungskarten zieht. Und in der Fülle der Zusatzaktionen auf diesen Karten liegt eine weitere große Stärke des Spiels, die es langfristig weitaus motiverender und anspruchsvoller macht als etwa ein Die Siedler von Catan. Wie durchdacht diese Karten sind, zeigt sich auch daran, dass die Stapelzusammensetzung bei zwei, drei, vier oder fünf Teilnehmern angepasst wird - es gibt also spezielle 3-Spieler-Anschaffungen.

Da diese Karten ganz unterschiedliche Boni oder gar Siegpunkte bringen, muss man seine Baustrategie daran anpassen. Ein Beispiel: Man hat zu Beginn die Ausbildung "Emporkömmling", die dem ersten Spieler, der sein Haus renoviert pro Raum drei Steine bringt. Also sollte man so schnell wie möglich aus seiner Holz- eine Lehmhütte machen, indem man seinen Bauern auf dem Markt genau diesen Rohstoff holen lässt - da man seine Ausbildung offen auslegt, kann ein anderer Spieler das theoretisch boykottieren. Natürlich kann dieser einzige Zufallsaspekt von Agricola dafür sorgen, dass man denkbar ungünstige Startbedingungen hat und andere in einem Bereich im Vorteil sind. Aber das lässt sich meist über eine andere Strategie ausgleichen, zumal jeder unter seinen vierzehn Karten etwas Nützliches finden sollte.

Spachtel, Metzger, Häuptling

Zwar hat dieser zeugungswillige Bauer nur Lehm- und keine Steinhäuser, aber dafür fast den gesamten Hof erblühen lassen - das gibt reichlich Punkte.
Andere Beispiele: Wer "Metzger" ist, kann jederzeit Tiere in Nährwerte umwandeln - eigentlich muss man dafür erst in eine Kochstelle investieren. Und wer "Liebhaber" ist, bekommt sofort Familienzuwachs, selbst wenn er keinen Platz hat. Es gibt sogar Karten, mit denen man auf andere reagieren kann: Wer "Häuptlingstochter" besitzt, kann diese ausspielen, sobald ein anderer Bauer "Häuptling" auslegt, um am Spielende drei Sonderpunkte für Steinhäuser zu bekommen. Interessant sind auch die Karten mit Perspektive: Wer "Holzlieferant" ist, darf auf kommende Rundenfelder Holz legen und dieses dann abernten.

Das waren alles Ausbildungen, aber es gibt auch Anschaffungen: Die großen liegen für alle sichtbar und kaufbar zu Beginn des Spiels aus - da darf jeder zuschlagen, um Steinöfen oder Brunnen zu errichten. Zusätzlich erhält man sieben zufällige kleine Nützlichkeiten wie eine "Kornschaufel", die einem ein Getreide zusätzlich einbringt oder einen "Spachtel", mit dem man ohne Aktion renovieren kann. Schön und für die Spielbalance wichtig ist, dass die effektiven Anschaffungen erst dann ausgespielt werden können, wenn man eine bestimmte Anzahl an Ausbildungen vorzuweisen hat: Erst wer drei davon hat, kann sich z.B. den mächtigen "Furchenflug" anschaffen, um zwei mal drei Äcker auf einmal zu pflügen - dafür braucht man ansonsten drei Jahre bzw. Runden.

Fazit

Als ich Agricola noch nicht kannte, schwebte es immer als komplexes Spiel für Experten in der Ferne. Auf meiner Liste der Brettspielwünsche stand es weit unten. Es sah einfach langweilig aus und das Thema Landwirtschaft sorgte im Gegensatz zu den vielen Auszeichnungen nicht gerade für Neugier. Mittlerweile bereue ich, dass ich so lange gewartet habe. Denn dieses Spiel rund um Felder, Wachstum und Ernte serviert ausgezeichnete Aufbaustrategie mit hohem Suchtfaktor - wir kommen kaum noch davon los. Es gibt anspruchsvolle Brettspiele, die irgendwann im Schrank verstauben, weil der Spaß vom Regelwerk aufgefressen wird. Hier frisst der Spaß das Zeitgefühl, denn in einer Stunde kann man aus zwei Hütten eine florierende Hofwirtschaft samt Großfamilie zaubern. Aber reicht das für den Sieg? Die Endabrechnung sorgt aufgrund der vielen relevanten Punkte für Spannung pur! Das Besondere an Agricola ist dieses komprimierte, überaus taktische und dabei angenehm offene Spielgefühl: Man muss innerhalb der relativ kurzen Spieldauer das Beste aus seinem Hof und seinen Karten rausholen, man muss flexibel auf Ereignisse oder Konkurrenten reagieren und als Bauer knallhart kalkulieren. Dabei ist das Spiel unheimlich logisch, fast schon selbsterklärend aufgebaut und dennoch weitaus facettenreicher in seinen Entwicklungsmöglichkeiten als ein Siedler von Catan. Uwe Rosenberg hat damit einen zeitlosen Klassiker geschaffen, der den Begriff German Board Game noch lange adeln wird. Hut ab, vor diesem genialen Spieldesign!

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

Weitere Brettspieltests im Archiv: Galaxy Trucker , StarCraft - Das Brettspiel

Kommentare

SpookyNooky schrieb am
Heute auch für Freundin und mich gekauft, um die Park-Besuche im Sommer etwas aufzupeppen. :D Das Material sollte auf den Teppich passen. Ich fand nur den Preis von ca. 40 Euro (+ Versand) etwas happig. Bin gespannt, die Kaufentscheidung rührt auch komplett vom Brettspiel"test" hier auf 4players her(genau wie damals Galaxy Truckers und Civilization - Das Brettspiel). Weiter so.
gracjanski schrieb am
Die Moorbauern Erweiterung lohnt sich auf jeden Fall. Ergänzt sich bestens in der Spielmechanik, ich freue mich schon auf die nächste Runde, aber vorher kommt noch Caylus und ich schätze Caylus wird dann verkauft, wenn sie sich zu ähnlich sind.
Jörg Luibl schrieb am
Viel Spaß, Agricola gehört in meine All-Time-Top-3! :wink:
Kleiner Tipp: Setz frühzeitig auf Schafe, Rinder und sonstige Tiere - die vermehren sich ohne Zusatzkosten, sobald man mind. zwei auf einer Weide hat!
BloodyJoe schrieb am
Jörg dein Test hat mich auch hier wieder überzeugt! Heute Abend ist unsere erste Runde Agricola. Man bin ich gespannt!
Fankman schrieb am
Mindflare hat geschrieben:
Null. hat geschrieben: Ich habe mir dieses fantastische Spiel nur auf der Spielemesse 2008 (?) in Essen gekauft, einzig und allein aufgrund des Sonderpreises Komplexes Spiel in Verbindung mit einem so vermeintlich simplen Thema.
Kommt hin, da ist es auch Spiel des Jahres geworden!
Hat jemand schon Erfahrungen mit der Moorbauern Erweiterung? Es gibt wohl Wälder brandroden und Torf stechen als neue aktionen. Dann muss das Haus auch noch geheizt werden. Dazu gibt es noch Pferde als neues Getier.
Ja die Moorbauern-Erweiterung ist ganz geil.
Das Spiel wird dadurch noch taktischer, da man zusätzlich noch Gratisaktionen hat, die man ohne Einsatz einer Person brauchen kann. Diese sind aber nicht so mächtig wie die regulären Aktionen, so muss man immer abwägen ob man die Gratisaktion zuerst nehmen will und dadurch in Kauf nimmt dass einem die guten Aktionen weggeschnappt werden oder ob man mit den Gratis-Aktionen warten will und dann vielleicht leer ausgeht :evil:
schrieb am