Special: Sauron gegen die freien Völker
Das Schicksal der freien Völker
Die Karte ist blutrot gefüllt, das Ende nah. Überall belagern Orks und Uruk-hai, Südländer und Ostlinge die Länder der freien Völker. Die letzten blau gefärbten Truppen haben sich in Festungen zurückgezogen, um so lange wie möglich mit dem Verteidigungsbonus auszuharren – dort muss Sauron bei einem Angriffswurf immerhin Sechsen für einen Treffer würfeln. Wenn er noch eine Festung erobert, hat er die zehn militärischen Siegpunkte erreicht. An Entsatz ist angesichts der verheerenden Verluste nicht mehr zu denken. Das Böse hat mal wieder die Oberhand gewonnen...
Packendes Finale am Schicksalsberg
Bevor es zu diesem packenden Finale kam, haben beide Seiten viele Entscheidungen treffen müssen. Und es ist eine große Stärke dieses epischen Spiels, dass es nicht nur viele relevante Begebenheiten und Charaktere des Tolkien’schen Romans zitiert, sondern dass es von Anfang an die innere und äußere Bedrohung durch Sauron spürbar abbildet. Er ist von Beginn an in der stärkeren Position. Man hat nicht nur das Gefühl, dass man wichtige Ereignisse dieses Fantasy-Konfliktes nacherleben und beeinflussen kann, sondern dass sich alles unheimlich zuspitzt.
Obwohl eine Partie zwischen zwei und vier Stunden dauern kann, vergeht die Zeit wie im Fluge. Das liegt auch daran, dass man die komplexe Spielmechanik trotz eines 47-seitigen Regelwerks recht schnell verinnerlicht hat. Es gibt genug illustrierte Beispiele für Bewegung, Kämpfe und Politik, die man im ersten Spiel immer wieder zu Rate ziehen muss. Aber gerade diese zweite Edition läuft ab der zweiten Schlacht flotter. Zwar kann man auch zu dritt oder viert loslegen, aber der Spaß bzw. die Möglichkeiten nehmen damit nicht wie bei anderen Titeln zu - das ist ein klassisches Duellspiel.
Was ist eigentlich anders in der 2. Edition? Es geht um wichtige Regeländerungen hinsichtlich der Charakterfähigkeiten, Ereignisse, Kämpfe und Würfel, die das Spielerlebnis intuitiver gestalten und gleichzeitig besser balancieren. Wer dafür nicht 70 Euro investieren will, kann seine erste Edition von 2004 auch über ein Upgrade-Kit mit 110 neuen Karten für knapp 20 Euro aufrüsten.
Authentische politische Lage
Ich kenne nur wenige Brettspiele, die eine derartige militärische und erzählerische Dramaturgie über Aktionen und Ereignisse inszenieren können. Das liegt zum einen daran, dass es hier nicht nur um Krieg à la Risiko geht: Die politische Ausgangssituation lässt z.B. gar nicht zu, dass Sauron oder die freien Völker umgehend rekrutieren und attackieren. Sie müssen sich erst im Krieg befinden, bevor sie ihre Landesgrenzen verlassen oder Verstärkung rekrutieren dürfen.
Lediglich die Elben sind bereits aktiviert und in Bruchtal startet auch die Gemeinschaft des Rings. In welchem politischen Zustand sich die acht Nationen befinden, wird durch eine Leiste mit ihren Plättchen symbolisiert.
Zwei Ebenen: Charakterabenteuer und Militärpolitik
Schon ab dem ersten Zug kann man auf zwei Ebenen taktieren. Zum einen politisch sowie militärisch, indem man Armeen innerhalb der Nationengrenzen bewegt, entsprechende Ereignisse spielt sowie Völker überzeugt, in den Krieg einzutreten. Wem gelingt quasi die Mobilisierung am schnellsten? Wer kann wo als Erster angreifen oder verstärken?
Es gehört auch eine Portion geostrategisches Poker dazu - man kann bis zu einem gewissen Grad bluffen. Zum anderen kann man auf der persönlichen sowie abenteuerlichen Ebene taktieren, indem man seine Gefährten bzw. Schergen oder Ringgeister bewegt.
Aber wie viel Energie investiert man als Sauron, um die Gemeinschaft des Rings zu finden? Wie viele Würfel opfert man quasi, um sie zu jagen? Von Anfang an haben beide Spieler eine bestimmte Zahl an Würfeln zur Verfügung, mit denen sie gut haushalten müssen. Denn für jedes geworfene Ergebnis können sie die entsprechende militärische oder individuelle Aktion ausführen.
Hier haben die freien Völker zwar den Nachteil, weniger Aktionen durchführen zu können, aber dafür können sie über einen gewürfelten Joker auch öfter beliebige ausführen.
Die Macht Saurons – ein Balanceproblem?
Ist die Spielbalance damit gefährdet? Nein, denn Sauron ist schlagbar – auch wenn er übermächtig scheint. Man darf auch nicht vergessen, dass seine anfängliche Dominanz die Situation des Romans wunderbar abbildet. Man hat als Spieler der freien Völker immer das Gefühl, dass sich der Himmel weiter verdunkelt und die Lage aussichtsloser wird. Aber genau das bringt diesem Strategiespiel den nötigen Rollenspielkick, genau das macht es zu einem Erlebnis.
Die Joker der freien Völker
Ähnlich wie im Klassiker Scotland Yard müssen sich die Hobbits irgendwann zeigen, wenn sie irgendwo rasten oder befreundete Völker überzeugen - erst dann wird ihre Figur auf das betreffende Land gestellt. Hinzu kommt, dass man als Spieler der freien Völker nur vier Punkte für den militärischen Sieg braucht. Und gerade im Norden hat man das Potenzial, die dafür nötigen zwei Festungen zu erobern: Der Gundabadberg ist weit weg von Mordor, Moria und Dol Guldur lassen sich schnell erreichen.
Oder wagt man den Ausfall nach Orthanc, um Saruman zu vernichten? Alles möglich! Denn schließlich sind die Ereigniskarten so gestaltet, dass sich immer wieder eine Chance für die freien Völker bietet, auch militärisch: Wer Gandalf in den Fangorn reisen lässt, kann dort z.B. zwei mächtige Schläge mit den Ents gegen Isengart führen. Die Frage ist natürlich, ob man die betreffenden Karten auf der Hand hat.
Ihre Auswirkungen sorgen jedenfalls für etwas Licht am strategischen Horizont. Natürlich hat auch Sauron einige Ereignisse wie Schlangenzunge parat: Wer ihn einsetzt, erschwert die Aktivierung von Rohan. Noch fieser ist der Piratenangriff auf Gondor: Plötzlich landet eine Armee aus Umbar an der Küste von Dol Amroth…
Kampfkarten & Konter
Gerade diese Ereignisse sorgen immer wieder für einen erzählerischen Schub und strategische Dynamik. Es ist immer etwas los und irgendwann wird natürlich auch heftig gekämpft. Das System ist angenehm einfach, aber berücksichtigt genug defensive und offensive Modifikationen. Man kann Armeen teilen und eine Nachhut bilden, man kann
Da die Kampfkarten gleichzeitig Ereigniskarten sind, gerät man jedoch immer ins Grübeln, ob man sie tatsächlich spielt. Will man den Großangriff der Ents auf Isengart opfern, um in einer kleinen Schlacht zu gewinnen? Allerdings kann der Sieg natürlich wertvolle Punkte auf der militärischen Leiste bringen. Wie auch immer: Jeder darf nur eine vor dem Gefecht verdeckt ausspielen, wobei alle einen Initiativwert besitzen – die niedrige Zahl wirkt dann zuerst; so kann man auch mal einen Präventivkonter spielen, der die Kampfkarte des Gegners nichtig macht. Einfach, überschaubar, gut!
Anführer & Elitetruppen
Bei der Verteilung des Schadens darf man nämlich aus elitären auch reguläre Einheiten machen, anstatt eine reguläre zu vernichten – so kann man seine Kampfkraft bewahren. Allerdings werden viele Kartenboni nur gewährt, wenn man auch Elitetruppen dabei hat. Hinzu kommen graue Anführer bzw. Ringgeister: Sie zählen nicht zur Gesamtstärke der Armee, aber mit ihnen kann man Würfe wiederholen - eine sehr wertvolle Bonusfunktion. Denn im Klartext heißt das: Fünf Anführer bringen fünf neue Chancen beim Würfeln! Auch die Gefährten wie Gandalf, Boromir, Legolas oder Gimli erhöhen die Kampfkraft schwächerer Armeen um einen Punkt. Es lohnt sich also, sie in die Truppe zu integrieren, auch wenn eine Niederlage ihren Tod bedeutet. Manchmal hängt das Schicksal Mittelerdes an einem Wurf.
Ausblick
Ich liebe edle Karten, Miniaturen und natürlich Tolkiens Epos. Das Artdesign und die Ausstattung dieses Spiels lassen keine Wünsche offen. Das Regelwerk ist komplex, aber wunderbar illustriert und verständlich; das Kampfsystem ist einfach, aber bietet genug taktische Modifikationen. Für mich ist es deshalb so stark, weil es neben all den authentischen Ereignissen und bekannten Figuren des Romans auch die politische Situation zwischen freien Völkern und Sauron hervorragend abbildet. Dieser Ringkrieg ist eines der wenigen epischen Brettspiele, die man angesichts der stetig zunehmenden Spannung über mehrere Tage genießen kann – in diesem Fall am besten Pfeife schmauchend und Tee trinkend. Ich habe mich dabei ertappt, wie ich nachts über die Karte gebeugt über meine nächsten Züge gegrübelt habe. Man hat immer die Qual der Wahl zwischen der militärischen Strategie und dem Abenteuer der Charaktere: Soll ich den Angriff auf Isengart riskieren oder die Hobbits weiter bewegen? Aber über welche Route? Soll ich mehr Zwerge rekrutieren und sie in einer Zange mit den Elben auf Dol Guldur marschieren lassen? Ja, Sauron ist in einer dominanteren Position, aber die Spielbalance wird dadurch nicht gefährdet. Als Rollenspieler finde ich es sogar richtig gut, dass man von der ersten Minute an die Macht des dunklen Herrschers spürt. Wichtig ist: Man kann ihn vernichten. Und noch wichtiger: Das macht verdammt viel Spaß!
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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