Die Legenden von Andor31.01.2013, Jörg Luibl
Die Legenden von Andor

Special: Stimmungsvolles Fantasy-Abenteuer

Gors, Skrale, Wardraks - so heißen die Kreaturen, die zwei bis vier Helden das Leben schwer machen. Spätestens wenn man noch Drachen aufzählt, weiß man, wohin die Reise geht: In ein bedrohtes Fantasyreich. Vor Weihnachten sind parallel zur Hobbit-Verfilmung einige Brettspiele für Würfelhelden erschienen, darunter auch das offizielle Lizenzspiel. Warum wir euch lieber „Die Legenden von Andor“ empfehlen, klärt der Test.

Königreich in Gefahr

Erstmals werden wieder Skrale gesichtet, Bauern fliehen vor Angst von ihren Höfen und man munkelt von noch größeren Gefahren – irgendetwas Düsteres lauert im Fantasyreich Andor. Das ahnt auch König Brandur, also ruft er

"Die Legenden von Andor" ist ein kooperatives Fantasy-Abenteuer für zwei bis vier Spieler. Es ist bei Kosmos komplett auf Deutsch erschienen und kostet knapp 30 Euro.
Helden auf, die im gemeinsamen Kampf das  Reich schützen und das Böse vertreiben: Ein Krieger, ein Zwerg, ein Zauberer und ein Bogenschütze können losziehen. So weit, so klassisch und unspektakulär. Aber schon beim ersten Aufbau entfaltet das Spiel seinen Charme, denn es wurde unheimlich liebevoll illustriert.

Die riesige Karte mit der Rietburg links oben, dem düsteren Wald sowie kleinen Ruinen, Brücken und Minen sorgt umgehend für märchenhaftes Fantasyflair. Man erkennt das Königreich Andor, das in kleine Regionen unterteilt ist, durch die man während des Abenteuers zieht.

Schöne Überraschung: Die Karte ist beidseitig bedruckt und zeigt beim Umdrehen noch eine halb unterirdische Variante mit sanften Übergängen von einer Waldlichtung zu einer düsteren Festung voller Kavernen. Dass hier jemand mit sehr viel Hingabe gezeichnet hat, wird auch beim Stöbern zwischen Heldentafeln und Legendenkarten, Ausrüstungs- und Kreaturenplättchen deutlich.

Vier Helden in kooperativer Mission

Der einzige Wermutstropfen: Es gibt leider keine Miniaturen, sondern lediglich bunt bedruckte Pappfiguren, die man in Plastikhalter steckt – auch die Helden. Zwar hat man nur vier Charaktere in weiblicher oder männlicher Variante zur Wahl, die im Gegensatz zu

Sehr ansenhlich, sehr groß und beidseitig einsetzbar: Die wunderschön illustrierte Karte von Andor.
Sehr groß und beidseitig einsetzbar: Die wunderschön illustrierte Karte von Andor. Das Spiel ist auch zu zweit unterhaltsam, entfaltet zu viert natürlich noch mehr Kommunikation und Planungstaktik.
komplexeren Rollenspielen kaum Attribute haben und auch nicht aufsteigen, aber sie unterscheiden sich ein wenig hinsichtlich der Sonderfähigkeiten, der Würfelmechanik sowie der Stärke.

Außerdem kann man sie vor allem mit neuer Ausrüstung wie etwa Schild, Bogen oder Helm verbessern, die man direkt auf die Heldentafel legt. Hier beschränkt sich das Spiel auf das Wesentliche - es ist also nichts für Waffenkammerwühler.

Der Bogenschütze kann z.B. aus der Distanz eines Kartenfeldes angreifen und wirft jeden Würfel einzeln hintereinander, bis er Stopp sagt und aufhört – fällt sofort die 6, dann liegt der Pfeil quasi schon perfekt in der Luft. Der Krieger ist natürlich sehr effektiv im Nahkampf mit bis zu vier gleichzeitigen Würfen; außerdem regeneriert er sich besser an Brunnen. Der Zwerg schlägt auch kräftig zu und kann in den Minen günstig seine Stärke erhöhen. Der Zauberer darf seinen einzigen Würfel in jeder Runde einmal komplett drehen und aus einer mageren 1 eine fette 6 machen. Erfahrene Rollenspieler wird stören, dass er keine arkanen Sprüche zur Auswahl hat.

Sechs Kapitel, ein Abenteuer

Noch wichtiger als die edle Präsentation ist, dass das Spiel eine durchdachte Struktur und einen erzählerischen Schwerpunkt hat: Man spielt keine Module, sondern erlebt ein zusammen hängendes Abenteuer in fünf bzw. sechs

Egal ob Helden oder Monster: Es gibt keine Miniaturen, sondern Pappfiguren.
Kapiteln mit kleinen Anekdoten und Wendungen – von der Ankunft der Helden bis zu einem mehr oder weniger offenen Finale. Nicht etwa, weil es schwammig wäre, sondern weil man danach weiter an der Spielwelt mitwirken kann, indem man die Story fortsetzt. Dass diese trotz vieler Klischees in Fahrt kommt liegt auch daran, dass man sie in Etappen mit Ereignissen von Wetterkapriolen bis hin zu Überfällen sowie erzählerischen Wendungen erlebt; es ist also immer etwas los.

Rollenspielflair entsteht nicht nur aufgrund der vielen kursiven Texte, die man laut vorliest. Auch wenn älteren Fantasyfans vieles bekannt und einiges vielleicht kitschig vorkommen mag, versprüht Andor eine gefahrvoll-gemütliche Stimmung, die ein wenig an die Legenden von Shannara erinnert.  Hinzu kommt eine zweigleisige Struktur, die neben einem Hauptziel auch Nebenziele anbietet, die teils verpflichtend sind. Ganz wichtig ist, dass die Rietburg währendessen nicht von Monstern überrannt wird, also muss man sich abstimmen und sie aufhalten. Gleichzeitig gilt es dann vielleicht, ein Pergament oder eine Hexe, einen bestimmten Ort oder ein Artefakt zu finden. Wie koordiniert man das alles? Der Schwierigkeitsgrad steigt sanft, aber spürbar mit jedem Kapitel an, zumal der Erzählstein und damit die Story nach jedem erfolgreichen Kampf weiter zieht: Hat man bis dahin schon die richtige Route eingeschlagen?

Stimmungsvolles Erlebnis

Vier Helden sind spielbar: Krieger, Bogenschütze, Zauberer, Zwerg.
Vier Helden sind spielbar: Krieger, Bogenschütze, Zauberer, Zwerg. Jeder hat zwanzig Willens- bzw. Lebenspunkte, die sich direkt auf die Stärke auswirken.
Man kann zwar bemängeln, dass im Laufe der Geschichte zu wenig markante Charaktere eingeführt werden, aber dafür begegnet man zumindest einigen wie etwa Prinz Thorald, der auch taktisch von der Gruppe bewegt werden muss, so dass man von seiner Stärke profitiert. Hinzu kommt ein Spannungsbogen: Man merkt im Laufe der Zeit, dass sich die Bedrohung zuspitzt – und das sorgt natürlich auch für Teamgeist. Es geht hier also nicht um Hack&Slay gegen viele Monster oder Dungeon-Crawling für die fette Beute, sondern eher um ein stimmungsvolles Erlebnis, das sich vor allen an Familien und jüngere oder eben jung gebliebene Helden richtet.

Man wird vorbildlich in die Spielmechanik eingeführt, die von der fortschreitenden Erzählung lebt: Zunächst werden die grundsätzlichen Elemente im ersten Abenteuer erläutert, bevor behutsam weitere Möglichkeiten integriert werden. Im Vergleich zum komplexen Mage Knight, das sich an Vielspieler, kompetitive Taktiker und Eroberer richtet, ist das Regelwerk hier zwar wesentlich einfacher zu verstehen. Aber "Die Legenden von Andor" ist kein Kinderspiel; der Schwierigkeitsgrad kann recht knackig sein.

Meist beginnt ein Tag mit einer Ereigniskarte, dann werden alle Monster Richtung Burg bewegt, die Brunnen zur Heilung aktiviert und es geht auf der alphabetisch sortierten Legendenleiste mit der weißen Erzählerfigur vorwärts. Je nachdem, wo sie sich zwischen A und G befindet, werden andere Legendenkarten laut vorgelesen.

Team ist Trumpf

Für Ungewissheit sorgen neben Ereignissen auch verdeckte Nebelplättchen, die man erst bei Kontakt aufdeckt – darunter können sich Schätze oder Feinde verbergen. Hat jemand das Fernrohr? Dann darf man zumindest

Das Spielerlebnis wird vom durchdachten erzählerischen Rahmen in mehreren Kapiteln bzw. Legenden geprägt: Man fühlt sich als Teil einer zusammen hängenden Story.
benachbarten Nebel auflösen. Die Routenplanung und die Aufgabenverteilung spielt also auch eine Rolle: Wer eignet sich am besten, um weit nach Osten in den Wald zu ziehen? Zauberer oder Zwerg? Wichtig ist gutes Zeitmanagement, denn jede Aktion wie das Kämpfen oder Bewegen kostet eine gewisse Anzahl an Stunden, was auf einer Tagesleiste mit maximal zehn Stundenfeldern vermerkt wird. Lediglich das Auffrischen, Einsammeln und Kaufen ist gratis.

Die Helden müssen sich also gut überlegen, wer was wo macht und ob man Ausrüstung tauscht (z.B. über den Falken einmal pro Tag)– das sorgt für Kommunikation am Tisch. Einerseits muss man an seine Gesundheit denken, andererseits an all die Quests. Und wer Überstunden macht, also mehr als sieben Stunden investiert, verliert pro Stunde zwei Willenspunkte.

Kampf gehen Kreaturen

Gegenstände und Ausrüstung kann man direkt auf die Heldentafel legen.
Gegenstände und Ausrüstung kann man auch direkt auf die Heldentafel legen.
Nicht nur hinsichtlich der Zeit, auch im Gefecht sollte man zusammen arbeiten, denn dann addieren sich die Werte. Wie läuft ein Kampf ab? Wer auf einem Feld mit Monster steht oder mit einem Bogen ein Feld davon entfernt, kann angreifen. Dazu würfelt man einfach mit der Anzahl an W6, die auf der Heldentafel entsprechend des Willens angezeigt werden; zum höchsten Wurf wird jetzt die Stärke hinzu gerechnet. Je nachdem welche Ausrüstung man besitzt, kann dieser Kampfwert noch modifiziert werden: Wer einen Helm trägt, darf z.B. nicht nur den höchsten, sondern zwei gleiche Ergebnisse addieren.

Danach wird auf ähnliche Art für die Monster gewürfelt und die Differenz wird bei den Willenspunkten des Gegners abgezogen – das geht so weit, bis diese null erreichen und das Monster besiegt bzw. der Held bewusstlos ist, was keine Folgen hat. Der Willen ist hier also gleichzusetzen mit Lebenspunkten, wobei er in drei Stufen  direkten Einfluss auf die Stärke hat: Je verletzter man ist, desto weniger Kampfwürfel hat man also zur Verfügung. Lediglich der Zauberer hat selbst kurz vor der Bewusstlosigkeit dieselbe Stärke. Für Vielspieler mit taktischen Ansprüchen im Kampf ist das System zu oberflächlich, denen sei eher Descent ans Herz gelegt, aber innerhalb dieses Abenteuers sorgt es für einen zügigen Ablauf, bei dem die Strategie eher auf der Karte entsteht, wenn es darum geht, welchen

Bis zum Drachen ist es ein weiter Weg - mit einigen Rückschlägen, wenn das Teamplay nicht passt.
Bis zum Drachen ist es ein weiter Weg - mit einigen Rückschlägen, wenn das Teamplay nicht passt.
Helden man welcher Gefahr aussetzt und wen man evtl. unterstützt.

Ausblick

Die Legenden von Andor ist ein wunderschön illustriertes, überaus stimmungsvolles Abenteuer, in dem Teamgeist und Story im Vordergrund stehen. Hier muss man gemeinsam entscheiden, wie man am besten die äußere Bedrohung durch Monster abwehrt und gleichzeitig kleine Quests meistert. Dabei entsteht ein sehr klassisches, fast märchenhaftes Rollenspielflair, das von der erstklassigen Präsentation, einer zusammen hängend erzählten Kampagne, vorgelesenen Texten sowie plötzlichen Ereignissen lebt. Es gibt zwar nur eine oberflächliche Charakterentwicklung und recht simple Kämpfe, aber man brütet gemeinsam über der riesigen Karte, wenn sich Skrale und Wardraks nähern und es darum geht, wer was wo macht - denn optimales Zeitmanagement und clevere Routenplanung sind ganz wichtig. Der Schwierigkeitsgrad kann je nach Ereignissen und Fortschritten recht knackig sein. Wer ein episches Erlebnis für die ganze Familie sucht und nebenbei vielleicht jüngere Spieler auf den Fantasygeschmack bringen möchte, wird hier bestens unterhalten.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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