Android: Netrunner29.07.2013, Jörg Luibl
Android: Netrunner

Special: Hacker-Tricks gegen Konzern-Barrieren

Hacker oder Konzerne – wer hat im Cyberkrieg die Nase vorn?  In Android: Netrunner dreht sich alles um einen futuristischen Konflikt innerhalb eines weltweiten Netzwerks. Zwei Spieler kämpfen dabei mit sehr unterschiedlichen Mitteln gegeneinander. Warum die Kartentaktik von Richard Garfield (Magic: The Gathering) aus dem großen Angebot an „Living Card Games“ heraussticht, klärt der Test.

Man kann nie genug ICE haben

Android: Netrunner ist ein Kartenspiel für zwei Personen, das komplett auf Deutsch für knapp 30 Euro erschienen ist.
Android: Netrunner ist ein Kartenspiel für zwei Personen, das komplett auf Deutsch beim Heidelberger Spielverlag für knapp 30 Euro erschienen ist. Es basiert thematisch auf der futuristischen Welt des konspirativen Brettspiels "Android" von 2008. Das Konzept stammt schon aus dem Jahr 1996, als Richard Garfield das Sammelkartenspiel "Netrunner" veröffentlichte.
Mist, ich bin viel zu angreifbar! Dabei führe ich den Megakonzern Haas-Bioroid an, habe schon drei Siegpunkte, noch dreizehn Credits und fünf ausgelagerte Systeme inklusive einiger Upgrades installiert. Meine Seite des Tisches ist jedenfalls reichlich mit offenen und verdeckten Karten bestückt – und genau das ist das Problem, diese verdammt breite Front. Selbst mein Ablage- und Nachziehstapel können theoretisch attackiert werden. Oder mach ich mir zu viel Sorgen? Nein, ich habe vor all diesen Systemen einfach zu wenig Schutzprogramme (Intrusion Countermeasures, kurz: ICE) ausliegen. Und gleich ist der hinterhältige Hacker am Zug…

…das Gute ist: Er weiß noch nicht, hinter welcher der drei verdeckten Systemkarten sich die wertvolle Agenda befindet. Und um ihn noch weiter zu verwirren, baue ich eine Falle auf: Ich entwickle ein Abwehrprogramm „Aggressiver Assistent“ so als wäre es eine Agenda – dazu lege ich Marker auf die verdeckte Karte. Aber anstatt dem Hacker Siegpunkte zu bringen, würde ich damit seine Programme zerstören. Die Frage ist nur, ob er in den Köder beißt! Um die Wichtigkeit des Systems zu unterstreichen, lege ich ein weiteres ICE davor aus und schau besonders besorgt darauf. Das müsste ihn doch neugierig machen! Diese kleinen Bluffs mit umgedrehten Karten können vor allem dem Konzernspieler helfen.

Auf die Plätze, fertig, run!

Neben der 35-seitigen Anleitung sowie knapp hundert Pappmarkern sind sieben Kartendecks enthalten: Vier Fraktionen für Konzerne, drei für Runner sowie neutrale Karten.
Neben der 35-seitigen Anleitung sowie knapp hundert Pappmarkern sind sieben Kartendecks enthalten: Vier Fraktionen für Konzerne, drei für Runner sowie neutrale Karten. Bald sind auch auf Deutsch Erweiterungen wie "Kontrolle und Schöpfung" (20 Euro) oder "Zweifel" (9 Euro) mit weiteren Karten erhältlich.
Ansonsten muss man sich die Abwehrtaktik wie eine mehrstufige Firewall vorstellen: Ich kann meine Systeme mit mehreren ICE schützen, die ich zunächst quer und verdeckt, also ungeladen, davor auslege – so viele, wie ich bezahlen kann. Sie reichen von kleinen Wächtern wie „Jäger“ bis hin zu mächtigen Barrieren wie „Heimdall“. Der Hacker muss an jedem einzeln vorbei kommen, indem er nach dem Aufdecken zum einen dieselbe Stärke erreicht und zum anderen die damit verbundenen Subroutinen umgeht oder deren Auswirkungen erträgt - das können Markierungen, Geldverluste oder Schäden sein. Je mehr und je stärkeres ICE ausliegt, desto schwieriger und teurer wird die Aktivierung für mich, aber der so genannte „Run“ auch für ihn. Also überlegt er sich meist gut, wo er wann angreift. Ich hoffe natürlich auf meine Fake-Agenda, die hinter drei ICE wartet!

Leider geht mein Plan so richtig schief. Der Hacker rennt nicht einfach blind los, sondern spielt das Ereignis „Infiltration“. Damit darf er eine meiner Karten enthüllen – er entscheidet sich natürlich für meine Falle, die damit überflüssig geworden ist. Während er breit grinst und viel Geld spart, schwant mir Böses, denn das war nur die erste von seinen vier verfügbaren Aktionen. Die zweite besteht darin, dass er mein schwach geschütztes Hauptquartier angreift – das eine ICE davor umgeht er mühelos und darf eine Karte aus meiner Hand ziehen. Was er zieht? Eine verdammte Agenda im Wert von drei Punkten – Mist! Wieso hab ich die nicht abgeworfen? Das Spiel simuliert die Angreifbarkeit eines Megakonzerns sehr gut, denn auch der Nachziehstapel, hier Forschung & Entwicklung genannt, und selbst Karten auf dem Ablagestapel, hier Archiv genannt, kann der Hacker attackieren. Und das bis zu viermal pro Zug!

Auf der Jagd nach Datenschätzen

Ein Blick auf die Spielfläche des Konzerns: Hinten die Systeme, wobei auch Ablage- und Nachziehstapel als auch Konzernkarte als Archiv, Forschung & Entwicklung sowie Hauptquartier dazu zählen. Vorne die installierten Barrieren (ICE), die nur teilweise aktiviert sind.
Ein Blick auf die Spielfläche des Konzerns: Hinten die fünf Systeme, wobei auch Ablage- und Nachziehstapel als auch Konzernkarte dazu zählen. Vorne die quer liegenden installierten Barrieren (ICE), die nur teilweise aktiviert sind.
Ziel ist es, als erster Spieler sieben Punkte für so genannte „Agendas“ zu ergattern, die wichtige Daten symbolisieren. Während man diese als Hacker (Runner) stehlen muss, sollte man sie als Konzern (Kon) verteidigen – auf jeden Fall besser als ich. Man bekämpft sich also nicht wie in Magic: The Gathering auf dieselbe Art bis zum letzten Lebenspunkt, sondern muss je nach Rolle entweder offensiv agieren und eindringen oder defensiv denken und abwehren. Deshalb unterscheiden sich auch die Spielzonen mit den ausliegenden Karten stark voneinander.

Während der Runner quasi einen Rucksack mit Programmen, Hardware und Ressourcen füllt und vier Aktionen (Klicks) in seinem Zug zur Verfügung hat, installiert der Kon nebeneinander Hauptquartier, Archiv, Forschung sowie ausgelagerte Systeme, hat nur drei freie Aktionen zur Verfügung und muss immer eine Karte ziehen. Schön ist, dass man elementare Aktionen wie „Credits nehmen“ oder „Karte ziehen“ auch mehrmals hintereinander ausführen darf, so dass selten Engpässe entstehen, was eigene Handlungsmöglichkeiten angeht. Außerdem wird die Macht des Hackers etwas aufgefangen, denn er muss sich beim Auslegen der mächtigen Programme wie ICE-Brecher an ein Speicherlimit halten.

Die Macht der Credits

Heimdall ist ein größeres ICE: Links oben seine Stärke. rechts oben seine Aktivierungskosten, auf der Karte die drei Subroutinen.
Heimdall ist ein größeres ICE: Links oben seine Stärke sechs, rechts oben seine Aktivierungskosten von acht, auf der Karte die drei Subroutinen und Fähigkeiten.
Trotz aller Unterschiedlichkeit gilt für beide Spieler: Ohne Moos nix los! Die wirtschaftliche Komponente ist sehr wichtig, ähnlich wie das Mana in Magic. Denn nur wer ausreichend Geld (Credits) zur Verfügung hat, kann sich teure Ausrüstung oder Software leisten, kann seine Infiltrationswerkzeuge oder seine Abwehr stärken bzw. im Konflikt aktivieren. Während eines Runs können beide Seiten über Credits ihre Schlagkraft empfindlich erhöhen, so dass es zu einem regelrechten Wettrüsten kommen kann.

Man muss quasi für den richtigen Moment sparen und damit Stärke symbolisieren, denn weil die Credits offen ausliegen, kann jede Seite ungefähr abschätzen, welche Taktiken sich der Gegner überhaupt leisten kann. Wie kommt man an Geld? Beide können es als einfache Aktion bekommen, der Runner kann Credits aber auch perfide stibitzen oder über erfolgreiche Attacken generieren. Der Konzern kann z.B. Werbung schalten oder Minen installieren, die der Runner wiederum zerstören kann – und beide können lukrative Ereignisse spielen.

Viren, Markierungen und Hirnschaden

Ein Blick auf eine der drei Hacker-Fraktionen: Es gibt Anarchos, Kriminelle und Gestalter mit unterschiedlichen Decks.
Ein Blick auf eine der drei Runner
Im Gegensatz zum Konzern muss der Runner vor allem offensiv agieren und Agendas stehlen.
Im Gegensatz zum Konzern muss der Runner vor allem offensiv agieren und Agendas stehlen.
-Fraktionen: Es gibt Anarchos, Kriminelle und Gestalter mit unterschiedlichen Decks.
Obwohl die Rollen zunächst klar verteilt sind, gibt es für beide Seiten noch zusätzliche taktische Möglichkeiten: Auch der Konzern kann in die Offensive übergehen und die Programme des Runners zerstören, ihn nach einem Abgleich mit seiner Verbindungsstärke aufspüren oder ihm aktiv Körper-, Netz- oder Hirn-Schaden zufügen, der sogar zum Tod führen kann. Dazu muss es ihm jedoch gelingen, den Hacker zu markieren und so sichtbar zu machen – meist funktioniert das über Subroutinen oder die Wirkung von Upgrades. Allerdings kann der Runner seine Klicks nutzen, um die lästigen Markierungen zu entfernen. Man muss seine Aktionen immer gut in der Reihenfolge timen.

Auch der Runner kann sich also verteidigen oder defensiv vorgehen, indem er seine Karten gezielt stärkt. Das Programm „Medium“ spendiert ihm z.B. nach jedem erfolgreichen Run auf den Nachziehstapel des Konzerns einen Virusmarker, wobei er pro weiterem Marker eine Karte mehr ziehen darf. Hat er vier Marker dort liegen, darf er nach einem erfolgreichen Run satte drei Karten vom Konzern ziehen! Und wenn Agendas darunter sind, bedeutet das direkte Siegpunkte. Als Hacker kann man also von den offenen Stellen der Konzernfront profitieren und muss sich nicht immer kostspielig durch mehrfach geschützte Systeme mit ICE kämpfen.

Was gibt es zu meckern?

Der Konzern muss Agendas schützen, der Runner muss sie stehlen. Dazu stehen ihm diverse Programme und Ausrüstung zur Verfügung.
Der Konzern muss Agendas schützen, der Runner muss sie stehlen. Dazu stehen ihm diverse Programme und Ausrüstung zur Verfügung.
Auf Seiten der Präsentation und Spielregeln gibt es wenig zu meckern: Das futuristische Artdesign erinnert an eine Mischung aus Tron und Shadowrun. Die knapp 250 Karten erreichen über weite Strecken eine ansehnliche, nur gelegentlich schwankende Qualität, was die Zeichnungen angeht; die knapp hundert Marker sind massiv und solide illustriert. Man braucht zu Beginn allerdings etwas mehr Zeit als in anderen Living Card Games, bis man die in der 35-seitigen Anleitung beschriebenen Mechanismen verinnerlicht hat - es ist sehr wichtig, dass sich jeder an die Regeln hält; vor allem was die Runs und das Bezahlen angeht, denn mit jedem verfügbaren Credit verändert sich die Balance. Auf Seiten der Spielmechanik hätten die offensiven Aktionen des Konzerns, was Markierungen und anschließenden Schaden angeht, vielleicht etwas spürbarer als direkte Aktion integriert werden können - manchmal bekommt man überhaupt nicht die Möglichkeit, den verflixten Runner zu markieren.

Fazit

Was ist ein "Living Card Game"?

Eigentlich dasselbe wie ein "Trading Card Game" à la Magic: the Gathering mit anderem Vertriebsmodell: In einer Grundbox findet man bereits viele Karten vor und braucht später keine Booster oder gar einzelne Karten kaufen, sondern Themendecks, die das Spiel bzw. eigene Deck "lebendig" halten - und man weiß immer genau, was drin ist. Mittlerweile sind zu Android auch auf Deutsch einige Erweiterungen erschienen; siehe Seite 1.

Das ist das interessanteste Living Card Game, das ich bisher gespielt habe. Auf der einen Seite der offensive Hacker mit seinen subversiven Fähigkeiten und Angriffen, auf der anderen Seite der Konzern mit seinen mächtigen Verteidigungslinien und der breiten Front: Agilität gegen Stabilität, Viren gegen Markierungen, Runs gegen ICE – und mittendrin die Macht der Credits, fiese Ereignisse und die Spannung von Bluffs mit verdeckten Karten.  Zwar habe ich auf Seiten der Konzerne meist viel Lehrgeld zahlen müssen, aber mittlerweile habe ich mit Haas-Bioroid eine gute Taktik ausklamüsert. Außerdem werde mich weiter mit dem Cyborg Gabriel Santiago als Hacker versuchen. Das Schöne an Android: Netrunner ist, dass sich die Spielweisen der beiden Parteien so stark unterscheiden und dass es immer wieder zu kleinen Psychospielen am Tisch kommt. Wer Science-Fiction mag und Lust auf ein taktisches Duell-Kartenspiel hat, wird hier sehr gut unterhalten.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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