Merchant of Venus13.02.2014, Jörg Luibl
Merchant of Venus

Special: Epischer Weltraumhandel

Ihr kennt Merchant of Venus nicht? Kein Wunder, denn das Brettspiel von Richard Hamblen wurde seit seinem Erscheinen im Jahr 1988 zunächst nicht aus dem Englischen übersetzt. Außerdem war das Abenteuer rund um galaktischen Handel lange Zeit vergriffen. Aber jetzt könnt ihr alleine oder mit bis zu vier außerirdischen Kaufleuten feilschen: Der Heidelberger Spielverlag hat den Klassiker überarbeitet und als zweite Edition in einer üppigen Box auf Deutsch veröffentlicht. Sie kostet knapp 50 Euro und ist für einen bis vier Spieler ausgelegt. Und es sind gleich zwei Spiele drin!

Angebot und Nachfrage

Mein Frachter ist rappelvoll mit "Melf-Fell". Fünf Plätze sind belegt! Ich habe 400 Credits investiert und muss den Kram jetzt möglichst lukrativ verscherbeln. Aber nicht jedes der vierzehn Völker steht auf die haarigen Skalps. Lediglich die Yxklyx, Eeepeeeps, Zums und Whynoms sind als potenzielle Kunden auf dem Marker gekennzeichnet. Wo leben sie? Wurden ihre Kulturen schon  entdeckt? Ja, sie sind alle aufgedeckt und auf Planeten verteilt. Ein Blick auf die hübsch illustrierte Galaxiekarte verrät mir, dass die Nachfrage in der Wüstenwelt der insektenartigen Zums gerade besonders hoch ist - wenn ich die Felle dort verkaufe, bekomme ich nicht nur den Verkaufspreis von 750 Credits, sondern plus 100 Credits. Das wäre ein satter Gewinn von 450 Credits! Allerdings hat ein Gegenspieler dort einen Raumhafen und würde zehn Prozent Kommission vom kompletten Umsatz einsacken.

Doch ich habe drei andere Probleme: Erstens befinde ich mich quasi am anderen Ende der Karte - es ist ein weiter Weg zur Wüstenwelt. Zweitens hat mein bulliger Frachter nur eine Geschwindigkeit von 2. Das heißt, dass ich nur zwei Sechserwürfel benutzen darf. Und drittens liegt ein anderer Händler mit 1700 Credits vorne, so dass ihm nur 300 bis zum Spielsieg fehlen. Was tun? Vielleicht komme ich ja über eine andere Route mit anderen Waren schneller zu Geld? Ich könnte z.B. ein Melf-Fell von Bord werfen und den Delikatessen-Händler im galaktischen Zentrum aufgabeln, um ihn gegen eine Taxigebühr von 300 Credits an sein Ziel zu bringen (die anderen ahnen hoffentlich nicht, dass er in dieser Variante gar nicht dabei sein dürfte - aber dazu später mehr). Auf dem Weg dorthin könnte ich auch "Lebendiges  Spielzeug" einkaufen, zumal ich in dem System sogar eine Fabrik habe und den Kram für die Hälfte bekomme...

Monopoly im Weltraum

Vier Plastik-Raumschiffe auf der Suche nach der richtigen Route. Wer findet die besten Angebote, wer sichert sich fette Gewinne?
In Merchant of Venus geht es nicht um Kampf und Eroberung, sondern vor allem um den Handel, um das Ausnutzen von Angebot und Nachfrage sowie die optimale Routenwahl. Bis zu vier Spieler suchen sich ein Volk aus und starten mit einem einfachen Raumschiff der Scout-Klasse, das lediglich zwei Waren bzw. Passagiere transportieren kann und keine fortschrittlichen Technologien besitzt. Aber schon bald kann man nicht nur einen besseren Antrieb einbauen, um gelbe oder rote Felder auf der Karte zu überspringen, sondern auch einen Schild,  damit man nicht auf Gefahrenfeldern stoppen und Credits zahlen muss. Schließlich kann man auch vom Scout zu einem der anderen Schiffstypen Klipper, Transporter oder Frachter wechseln - je nachdem, ob man eher mit Tempo viel Kleinkram oder mit Geduld große Warenpaletten an den Mann bringen will.

Das Spiel erinnert zwischendurch an ein futuristisches Monopoly: Wer als Erster bestimmte Völker entdeckt, bekommt einen Bonus und man kann quasi seine Claims auf der Karte abstecken, indem man Fabriken baut oder Raumhäfen kauft - so profitiert man vom Besuch oder Umsatz der Kontrahenten. Zwar gibt es keine Gefechte, aber etwas Spannung kommt durch die zu Beginn verdeckten Begegnungsfelder auf, unter denen sich Gefahren, nützliche technologische Relikte oder Teleportale befinden können. Letztere gewinnen im Laufe der Spielzeit immer mehr an Bedeutung, denn sie sind natürlich der schnellste Weg von A nach B. Aufgrund einer Besonderheit darf man nämlich nicht einfach so über die Karte düsen: Man muss auf die braunen Navigationsfelder achten, die quasi Austritte aus oder in Umlaufbahnen simulieren - dort kann man nur mit einem

Riesige Karte, hunderte Plättchen: Man braucht viel Platz für dieses Spiel - und Zeit!
bestimmten Würfelwert in eine Richtung weiter reisen. Manchmal hat man einfach Pech und muss eine Extrarunde drehen.

Dann lohnt sich ein Blick auf die witzigen Zeichnungen der Außerirdischen  oder auf die vielen skurrilen Waren von "reinrassigen Schrauben" bis "unsterbliches Schmierfett", die sich auf der linken Seite der Karte stapeln. Man bekommt nicht nur viel Masse an Plättchen, sondern auch Klasse hinsichtlich des Artdesigns. Außerdem kommt der Humor in den Texten nicht zur kurz. So werden z.B. die Yxklyx beschrieben:

"Diese asozialen, krabbenartigen Kreaturen sind brillante Chemiker, die (...) dazu neigen, andere Rassen als mögliche Testobjekte zu betrachten."

Gerade wenn man sich zu Beginn, wenn die Sternenkarte noch unerforscht ist, etwas Zeit lässt und beim Erstkontakt die Beschreibungen der Völker laut vorliest, entsteht ein angenehm süffisantes Flair am Tisch.

Zwei Spiele in einer Box

Bisher habe ich die für Einsteiger empfehlenswerte Variante "Klassisches Spiel" beschrieben, die etwas flotter und stringenter abläuft - hier können auch alle Völker miteinander handeln. Aber in der Box steckt noch eine zweite Anleitung für das "Standardspiel", das etwas mehr Abenteuerflair verströmt, aber auch etwas vertracktere Abläufe besitzt. Dort gibt es nicht nur eine andere Karte, nämlich die Rückseite, sondern einen komplett neuen Spielaufbau mit siebzehn (!) weiteren Materialien, mehr Gefahren und etwas anderen Regeln. Erst in dieser Variante kommen z.B. in

Diese aufrüstbaren Schiffstypen gibt es nur im "Klassischen Spiel". In der Version "Standardspiel" legt man stattdessen Armaturentafeln aus und kann Piloten aufwerten.
drei Stufen aufrüstbare Piloten mit unterschiedlichen Fähigkeiten sowie Herausforderungen und Aufträge, Ruhm und Schande sowie Piraten hinzu. Hier hat man auch nicht eines von vier Raumschiffen vor sich ausliegen, sondern eine Armaturentafel inkl. Laser, Schild, Antrieb, Verbesserungen und Frachtraum.

Trotzdem geht es auch hier um den Spielsieg über die meisten Credits und viele Mechanismen ähneln sich: Kauf und Verkauf von Waren sowie der Transport von Passagieren (der oben erwähnte Delikatessen-Händler darf eigentlich nur hier auf ein Taxi warten) stehen im Vordergrund. Auch die Routenwahl über die Karte erfolgt über Navigantionsfelder; allerdings kann man hier nicht nur die Richtung, sondern auch einen Extraschub über einen Würfel zuweisen. Nur gibt es weder Fabrikverträge noch Raumhäfen oder steigende Nachfrage; sprich: der wirtschaftliche Fokus, den man über exklusive Rechte schaffen kann, ist nicht ganz so stark. Ausgeglichen wird das wiederum dadurch, dass es nur hier Bohrlizenzen für Planeten sowie drei Verkaufswerte einer Ware gibt - also auch der grüne starke und der rote schwache Markt. Schließlich gibt es auch nur hier Gefechte mit Piraten, die aber sehr einfach ablaufen. Das eigene Laser-, Schild- oder Pilotengeschick muss größer sein als der Piratenwert plus lila Würfel; so kann man dann

Melf-Felle? Jup, und es gibt noch viel mehr Waren. Fast 500 Plättchen werden ausgestanzt...die Box ist prall gefüllt.
u.a. Ruhm gewinnen, den es aber auch für ein verbessertes Raumschiff gibt. Und was macht man damit? Am Spielende lässt er sich in Credits umwandeln.

Was gefällt nicht so gut?

Für Merchant of Venus braucht man viel Zeit und geduldige Mitspieler. Selbst in der flotteren Variante ist man zu zweit minimal eine Stunde beschäftigt, wobei das Spiel erst zu dritt oder viert so richtig Fahrt aufnimmt, weil dann alles spannender ineinander greift - nur geht es dann auf drei Stunden und mehr zu. Die Bezeichnungen "Klassisches Spiel" und "Standardspiel" haben uns zunächst irritiert, zumal auf beiden Anleitungen "Richard Hamblen" steht, obwohl "Robert Kouba" laut Boxrückseite die klassische Version entwickelt hat. Besser wäre es vielleicht gewesen, die unterschiedlichen Versionen klarer zu trennen - etwa "Modernisiertes Spiel" auf der einen und "Ursprüngliches Spiel" auf der anderen Anleitung. Ansonsten gibt es nur Kleinigkeiten, die an der Präsentation stören: Das Auslegen der vielen Plättchen ist etwas unübersichtlich, weil sich z.B. das Lila der Fabrikwarenmarker kaum von den normalen Warenmarkern abhebt. Und wer sich in dem Wust aus Plättchen nicht verlieren will, braucht unbedingt sehr viele Plastiktüten.

Fazit

Ein Planet bietet nicht nur Waren zum Verkauf, es gibt auch Passagiere, Fabriken und Handelshäfen.

Lust auf episches Monopoly im Weltraum? Mit etwas mehr Abenteuer, skurrilen Aliens und bescheuerten Waren vom "Megalith-Briefbeschwerer" bis zur "psychotischen Skulptur"? Dann könnte der lange Zeit vergriffene und jetzt endlich ins Deutsche übersetzte  Klassiker Merchant of Venus interessant sein. Hier geht es nicht wie in der 4X-Strategie Eclipse auch um Kampf und Eroberung, sondern nur um Handel und Forschung. Zwar kann man je nach Spielvariante sein Schiff bzw. seinen Piloten aufrüsten, aber Angebot und Nachfrage sowie die clevere Routenwahl auf der tollen Sternenkarte stehen im Vordergrund. Und in der wuchtigen Box stecken gleich zwei markante Spielvarianten, die sich hinsichtlich des Materials und des Rhythmus deutlich unterscheiden. Selbst Solisten kommen auf ihre Kosten, denn man kann mit Extraregeln auch alleine loslegen. Aber so richtig Spaß macht der Wettlauf um Credits vor allem, wenn man sich zu dritt oder viert die besten Angebote vor der Nase wegschnappt! Für Vielspieler mit Anspruch und Geduld ideal; wer es futuristisch, aber knackiger mag, greift zu Galaxy Trucker.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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