Special: Deichbau, Schafzucht und Reiselust
"Doon is`n Ding. Snacken is gering."
Wer hat nach viereinhalb Jahren die Punktenase vorn? Wer hat am cleversten gerodet, gepflanzt, gezüchtet und gewirtschaftet? Darum geht es in diesem Brettspiel für zwei Bauern, die sich mit Planung und Geduld übertrumpfen müssen. Dabei können sie sich auch ein wenig ärgern, indem sie wichtige Aktionen exklusiv besetzen – so fliegen schonmal böse Blicke über den Tisch. Geredet wird dabei wenig, denn es gibt keine kooperativen Aspekte oder Handel, aber zu tun gibt es verdammt viel. Nach knapp einer bis anderthalb Stunden wird dann abgerechnet. Und spätestens auf dem Wertungszettel zeigt sich die Vielfalt von „Arler Erde“: Man bekommt u.a. Punkte für Tiere, Gebäude, Handwerk, Kleidung, Baustoffe, Fahrzeuge und Reisen.
Aber wo soll man bloß anfangen? Was ist wirklich nützlich? Man startet ähnlich wie in Agricola mit einer Grundausstattung: Man besitzt ein Fleckchen Land hinter der Deichlinie, einen Stall, eine Scheune, etwas Holz, Lehm und Torf. Aber der Rest unterscheidet sich sehr stark vom Klassiker. Zum einen ist der Versorgungsaspekt nicht so drastisch: Zwar muss man jedes Halbjahr auch Nahrung oder Torf abgeben, aber das ist niemals so existenziell wie in „Agricola“. Hier muss man eben keine Familie über Wasser halten oder sein Haus ausbauen, sondern wie ein ostfriesischer Großbauer über Anbau, Handel, Waren und Scheune regieren – und das macht richtig Laune.
Ein "German Boardgame" im besten Sinne
Es lohnt sich vor allem, weil das Brettspiel unheimlich gut für Duelle konzipiert ist. Das merkt man spätestens nach dem zweiten und dritten Anlauf. Wer „Workerplacement“ mag, also Spiele wie „Le Havre“, „Tzolkien“, „Burgen von Burgund“ oder „Agricola“, der wird hier voll auf seine Kosten kommen. Der Reiz ergibt sich gleich zu Beginn einer Partie aus der offenen Entwicklung: Man kann weitere Deiche anlegen oder Moore entwässern, um mehr Platz zu schaffen. Dort kann man wiederum Ställe, Felder oder Gebäude errichten. Man kann sich auf Raps und Weizen im Anbau oder auf die Züchtung von Kühen, Pferden und Schafen konzentrieren – oder angeln gehen. Oder bauen, handeln, reisen.
Mehr Äxte, Schaufeln oder Töpferscheiben?
Hinzu kommt das wichtige Werkzeug: Auf dem Spielplan warten links nicht nur Gebäude wie Mühlen, Schreinereien, Bäckereien oder Gaststätten auf Käufer, die entweder einmalige oder regelmäßige Boni einbringen, sondern in der Mitte gibt es auch die sehr wichtigen Geräte. Nur wer in mehr Äxte, Schaufeln, Reusen oder Spaten investiert, kann mit einer entsprechenden Aktion auch viel mehr rausholen. Sprich: Die Aktion „Holzfäller“ bringt mir zu Beginn nur drei, aber kann mir später bis zu sechs Holz einbringen, wenn ich denn dort investiere. Allerdings kostet das natürlich eine Aktion plus einen Rohstoff.
"Solang ik noch de Hand kann rögen, will ik noch för de Heimat plögen."
Die Population an Schafen, Rindern und Pferden wächst nach jedem Winterhalbjahr, wenn man denn zwei oder vier Tiere sein Eigen nennt. Zwar ist die Abrechnung am Spielende unnötig kompliziert und nicht wirklich logisch: Man bekommt für die meisten Tiere einer Art gar keine Punkte? Aber dafür sind die Tiere hier als Weiterverarbeitungs- und Interaktionsfaktor wesentlich besser integriert als noch in Agricola. Man braucht z.B. Pferde, um die wichtigen Wagen zu bauen. Überhaupt umgeht das Spiel nervige Engpässe und Sackgassen, weil man vieles optimal tauschen kann – sogar Torf ist wie schwarzes Gold, wenn man einen Kahn für den Handel besitzt.
"Nord, Süd, Ost, West, to Hus is`t best."
Auch wenn der Ostfriese sehr bodenständig ist: Wer nicht in die Ferne reist, macht auch weniger Punkte. Ein weitere gelungener Aspekt des Spiels ist es, dass man nicht nur Punkte für seine verkauften Waren bekommt, sondern dass auch die Reise als solche belohnt wird, indem man das Plättchen der Stadt auslegt – und je weiter man kommt, desto ertragreicher ist es am Ende. Wobei „Ferne“ hier regional gemeint ist. Es gibt zwar neun Städte, aber mit Emden, Leer und Bremen beschränkt man sich auf einen kleinen Bereich Norddeutschlands – passt ja auch zu Pferdewagen & Co.
Schön ist, dass auch diese Mechanik sehr durchdacht ist: Man darf das Reiseplättchen für Bremen auch nur dann auslegen, wenn man dort mindestens eine entsprechende Ware verkaufen kann und man überhaupt genug Platz in
Fazit
Arler Erde rockt. Hört sich komisch an, so zwischen Torf und Schaf, aber das ist eines der besten Workerplacement-Spiele für zwei Personen! In der schweren Box steckt nicht nur so viel ostfriesische Heimatliebe, dass man Kluntje fast schmecken kann, sondern eine sehr durchdachte, höchst motivierende Spielmechanik, die viele Möglichkeiten der Entwicklung anbietet. Inklusive exklusiver Züge entsteht ein Wettlauf für zwei Großbauern über neun Halbjahre. Sobald man eine Aktion ausführen kann, locken Tierzucht, Gebäudebau, Handwerk, Kleidung, Rohstoffe, Fahrzeuge und Reisen. Zwar wirkt das im ersten Spiel noch unüberschaubar auf dem prall gefüllten Tisch. Aber spätestens im zweiten und dritten entdeckt man, wie clever verzahnt das Ganze ist. Uwe Rosenberg hat nicht nur das Thema Ostfriesland mit dem Deichbau sowie der Moorentwässerung angenehm authentisch integriert, sondern das „German Boardgame“ mal wieder auf höchstem Niveau bereichert: gemütlich, komplex, spannend. Aber was rede ich noch? Doon is`n Ding. Snacken is gering. Also holt euch das Spiel!
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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