Arler Erde26.11.2014, Jörg Luibl
Arler Erde

Special: Deichbau, Schafzucht und Reiselust

Was gibt es in Ostfriesland reichlich? Deiche, Schafe und – natürlich - Tradition! Von all dem steckt etwas in der schweren Box namens „Arler Erde“. Denn Uwe Rosenberg (u.a. Agricola) hat seinem neuen Spiel mit einem Nachschlageheft auch etwas Heimatkunde beigefügt – sehr charmant, sehr interessant. Aber das Wichtigste ist natürlich auf’m Tisch. Und warum das Brettspiel dort überzeugt, klärt der Test.

"Doon is`n Ding. Snacken is gering."

Wer hat nach viereinhalb Jahren die Punktenase vorn? Wer hat am cleversten gerodet, gepflanzt, gezüchtet und gewirtschaftet? Darum geht es in diesem Brettspiel für zwei Bauern, die sich mit Planung und Geduld übertrumpfen müssen. Dabei können sie sich auch ein wenig ärgern, indem sie wichtige Aktionen exklusiv besetzen – so fliegen schonmal böse Blicke über den Tisch. Geredet wird dabei wenig, denn es gibt keine kooperativen Aspekte oder Handel, aber zu tun gibt es verdammt viel. Nach knapp einer bis anderthalb Stunden wird dann abgerechnet. Und spätestens auf dem Wertungszettel zeigt sich die Vielfalt von „Arler Erde“: Man bekommt u.a. Punkte für Tiere, Gebäude, Handwerk, Kleidung, Baustoffe, Fahrzeuge und Reisen.

Arler Erde ist für knapp 50 Euro auf deutsch bei Feuerland Spiele erschienen. Es ist für zwei Personen ausgelegt; kann auch alleine gespielt werden.
Im ersten Spiel fällt es einem noch schwer, einen lukrativen Weg in all diesen Möglichkeiten zu finden, die sich auf dem großen Spiel- sowie dem Heimatplan ergeben. Da wird man fast erschlagen von achtzehn Gebäuden, knapp 30 Aktionen plus Waren, Fuhrwerke & Co. Jeder Bauer hat nur vier Arbeiter pro Halbjahr zur Verfügung, die er abwechselnd für eine Aktion einsetzen kann. Der Clou dabei ist die Zweiteilung: Manche Dinge wie den Deichbau kann man nur im Sommer, andere wie das Schlachten nur im Winter erledigen.

Aber wo soll man bloß anfangen? Was ist wirklich nützlich? Man startet ähnlich wie in Agricola mit einer Grundausstattung: Man besitzt ein Fleckchen Land hinter der Deichlinie, einen Stall, eine Scheune, etwas Holz, Lehm und Torf. Aber der Rest unterscheidet sich sehr stark vom Klassiker. Zum einen ist der Versorgungsaspekt nicht so drastisch: Zwar muss man jedes Halbjahr auch Nahrung oder Torf abgeben, aber das ist niemals so existenziell wie in „Agricola“. Hier muss man eben keine Familie über Wasser halten oder sein Haus ausbauen, sondern wie ein ostfriesischer Großbauer über Anbau, Handel, Waren und Scheune regieren – und das macht richtig Laune.

Ein "German Boardgame" im besten Sinne

Die beiden ostfriesischen Bauern fangen zwar klein an, aber brauchen schon jede Menge Platz - der Tisch ist rappelvoll.
Hat man alles aufgebaut, verströmt „Arler Erde“ bereits die typisch deutsche Brettspielgemütlichkeit mit seinen Holzfiguren und dem malerischen Dorfdesign. All das lässt die darunter schlummernde Komplexität schon erahnen: Obwohl das Spiel für zwei Personen ausgelegt ist, ist der Tisch voll mit Plättchen, Figuren, Plänen und Tafeln. Ich empfehle für das Ausstanzen im Vorfeld eine große Kanne schwarzen Tee - natürlich mit Sahne und Kluntje. Aber die Mühe lohnt sich nicht nur, weil das Pappmaterial angenehm solide ist und das Ganze trotz der vielen Tabellen und Zeichen noch recht idyllisch wirkt.

Es lohnt sich vor allem, weil das Brettspiel unheimlich gut für Duelle konzipiert ist. Das merkt man spätestens nach dem zweiten und dritten Anlauf. Wer „Workerplacement“ mag, also Spiele wie „Le Havre“, „Tzolkien“, „Burgen von Burgund“ oder „Agricola“, der wird hier voll auf seine Kosten kommen. Der Reiz ergibt sich gleich zu Beginn einer Partie aus der offenen Entwicklung: Man kann weitere Deiche anlegen oder Moore entwässern, um mehr Platz zu schaffen. Dort kann man wiederum Ställe, Felder oder Gebäude errichten. Man kann sich auf Raps und Weizen im Anbau oder auf die Züchtung von Kühen, Pferden und Schafen konzentrieren – oder angeln gehen. Oder bauen, handeln, reisen.

Mehr Äxte, Schaufeln oder Töpferscheiben?

Hinzu kommt das wichtige Werkzeug: Auf dem Spielplan warten links nicht nur Gebäude wie Mühlen, Schreinereien, Bäckereien oder Gaststätten auf Käufer, die entweder einmalige oder regelmäßige Boni einbringen, sondern in der Mitte gibt es auch die sehr wichtigen Geräte. Nur wer in mehr Äxte, Schaufeln, Reusen oder Spaten investiert, kann mit einer entsprechenden Aktion auch viel mehr rausholen. Sprich: Die Aktion „Holzfäller“ bringt mir zu Beginn nur drei, aber kann mir später bis zu sechs Holz einbringen, wenn ich denn dort investiere. Allerdings kostet das natürlich eine Aktion plus einen Rohstoff.

In welches Gebäude soll man investieren?
Dabei entsteht schnell die Qual der Wahl, denn man hat natürlich gar keine Zeit, um alle zehn Gerätschaften wirklich weit zu entwickeln - wobei nicht alle auch wertvolle Siegpunkte einbringen. Wer in die gerade zu Beginn wichtigen Äxte oder Schaufeln investiert, bekommt z.B. gar keine Siegpunkte. Öfen und Webstühle bringen da schon mehr. Also muss man sich spezialisieren, am besten auch auf Leder, Wolle oder Leinen, die man zu Kleidung verarbeiten kann – was wiederum Tierfelle oder Flach voraussetzt. Und genau das ist der große Trumpf von „Arler Erde“, denn es gibt so viele Möglichkeiten und Produktionsketten.

"Solang ik noch de Hand kann rögen, will ik noch för de Heimat plögen."

Pferde, Schafe, Rinder - auch die Tierzucht spielt eine Rolle.
Da ist ja noch der hübsch designte Heimatplan: Wer keine Deiche gen Nordsee verschiebt, was übrigens sehr schön implementiert wurde, oder keine Moore im Süden entwässert, wird nicht nur weniger Raum für Tiere sowie weniger Bauplätze sowie Raps- und Getreidefelder haben, sondern am Ende auch empfindliche Minuspunkte bekommen. Sehr motivierend ist dabei, dass man selbst für solche Aktionen umgehend Boni bekommt. Sprich: Wer einen Deich baut, bekommt ein Schaf; wer ein Moor entwässert, bekommt ein Pferd. So kann man sich quasi nebenbei um seine Tierzucht kümmern.

Die Population an Schafen, Rindern und Pferden wächst nach jedem Winterhalbjahr, wenn man denn zwei oder vier Tiere sein Eigen nennt. Zwar ist die Abrechnung am Spielende unnötig kompliziert und nicht wirklich logisch: Man bekommt für die meisten Tiere einer Art gar keine Punkte? Aber dafür sind die Tiere hier als Weiterverarbeitungs- und Interaktionsfaktor wesentlich besser integriert als noch in Agricola. Man braucht z.B. Pferde, um die wichtigen Wagen zu bauen. Überhaupt umgeht das Spiel nervige Engpässe und Sackgassen, weil man vieles optimal tauschen kann – sogar Torf ist wie schwarzes Gold, wenn man einen Kahn für den Handel besitzt.

"Nord, Süd, Ost, West, to Hus is`t best."

Auch wenn der Ostfriese sehr bodenständig ist: Wer nicht in die Ferne reist, macht auch weniger Punkte. Ein weitere gelungener Aspekt des Spiels ist es, dass man nicht  nur Punkte für seine verkauften Waren bekommt, sondern dass auch die Reise als solche belohnt wird, indem man das Plättchen der Stadt auslegt – und je weiter man kommt, desto ertragreicher ist es am Ende. Wobei „Ferne“ hier regional gemeint ist. Es gibt zwar neun Städte, aber mit Emden, Leer und Bremen beschränkt man sich auf einen kleinen Bereich Norddeutschlands – passt ja auch zu Pferdewagen & Co.

Schön ist, dass auch diese Mechanik sehr durchdacht ist: Man darf das Reiseplättchen für Bremen auch nur dann auslegen, wenn man dort mindestens eine entsprechende Ware verkaufen kann und man überhaupt genug Platz in

Zu Beginn ist der eigene Heimatplan samt Scheune noch recht leer, die Deiche weit hinten und zu viel Sumpf im Süden.
seinem Gefährt hat – da reicht ein kleiner Handkarren also nicht aus. Und wer das Optimum aus seiner Reise herausholen will, sollte im Vorfeld dafür sorgen, dass er so viele Waren wie möglich am Zielort verkauft. Denn war man einmal da, ist kein erneuter Besuch möglich!

Fazit

Arler Erde rockt. Hört sich komisch an, so zwischen Torf und Schaf, aber das ist eines der besten Workerplacement-Spiele für zwei Personen! In der schweren Box steckt nicht nur so viel ostfriesische Heimatliebe, dass man Kluntje fast schmecken kann, sondern eine sehr durchdachte, höchst motivierende Spielmechanik, die viele Möglichkeiten der Entwicklung anbietet. Inklusive exklusiver Züge entsteht ein Wettlauf für zwei Großbauern über neun Halbjahre. Sobald man eine Aktion ausführen kann, locken Tierzucht, Gebäudebau, Handwerk, Kleidung, Rohstoffe, Fahrzeuge und Reisen. Zwar wirkt das im ersten Spiel noch unüberschaubar auf dem prall gefüllten Tisch. Aber spätestens im zweiten und dritten entdeckt man, wie clever verzahnt das Ganze ist. Uwe Rosenberg hat nicht nur das Thema Ostfriesland mit dem Deichbau sowie der Moorentwässerung angenehm authentisch integriert, sondern das „German Boardgame“ mal wieder auf höchstem Niveau bereichert: gemütlich, komplex, spannend. Aber was rede ich noch? Doon is`n Ding. Snacken is gering. Also holt euch das Spiel!

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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