Winter der Toten13.03.2015, Jörg Luibl
Winter der Toten

Special: Zombies draußen, Verräter drinnen

Plaid Hat Games hat sich einen Namen gemacht. Die Amerikaner sind bekannt für hochwertig produzierte Brettspiele à la BioShock: Infinite, das leider noch nicht auf Deutsch erschienen ist. Aber spätestens mit dem stimmungsvollen Rollenspiel Maus & Mystik haben sie auch hierzulande viele Freunde gefunden. Jetzt widmen sie sich einem Thema, das auch auf dem Tisch von einer Horde an Titeln überlaufen scheint: Zombies. Doch sie inszenieren mehr als Schlurf & Slay: Dieses Abenteuer punktet mit kreativen Ideen, situativem Storytelling und psychologischem Nervenkitzel.

Moral im Keller...

Das sieht gar nicht gut aus: Nachdem auch noch Buddy und Jenny gebissen wurden, sinkt die Moral in der Kolonie auf mickrige zwei Punkte - erreicht sie null, ist das Spiel für alle vorbei. Auch die Gesichter am Tisch wirken alles andere als heiter. Wie können die restlichen Überlebenden das gemeinsame Ziel erreichen? Sie müssen mindestens sechs Einheiten Medizin für ein Heilmittel gegen die Zombieplage sammeln. Nur wenn sie wirklich effizient zusammen arbeiten ist es vielleicht noch möglich. Denn nicht nur die Untoten setzen den Menschen bei jeder Bewegungen und jedem Kampf zu, auch der Winter fordert mit Erfrierungen sowie Hunger seinen Tribut. Außerdem könnte es einen Verräter in den eigenen Reihen geben. Also muss gerade im letzten Drittel jede Aktion wohlüberlegt sein. Und man muss genau hinsehen, wer sich wie verhält.

Winter der Toten ist komplett auf Deutsch beim Heidelberger Spieleverlag erschienen und kostet knapp 40 Euro. Es ist für zwei bis fünf Spieler ausgelegt.
So entstehen schnell hitzige Diskussionen am Tisch, wenn es um die Taktik der nächsten Züge geht. Wer soll das Risiko eingehen, die Tankstelle oder den Supermarkt zu durchsuchen, damit man dort vielleicht Nahrung findet? Es gibt sechs Orte außerhalb der Kolonie, in denen man nützliche Objekte mit anderen Wahrscheinlichkeiten finden kann - die Polizeistation erhöht z.B. die Chance auf eine Waffe, die Schule eher auf Bücher. Falls man dort heil ankommt: Wie lange sucht man wegen der Geräusche, die später Zombies anlocken? Bewegt man Leute aus der Kolonie heraus, um weniger Essen ausgeben zu müssen? Soll man Barrikaden gegen Stürmungen errichten? Außerdem sollte jeder in seinem Zug genug Karten zur Abwendung der aktuellen Krise beisteuern, damit man nicht noch mehr Nachteile in Kauf nehmen muss: Kommt z.B. ein Schneesturm auf und man sammelt nicht genug Benzin, darf sich niemand bewegen und die Moral sinkt - autsch! Apropos: Sollte man da nicht besser einen Spieler verbannen, der sich so komisch verhält und bisher nichts beisteuerte? Dabei hat er doch so viele Karten auf der Hand!

Hirn aus, Feuer frei?

Es gibt 30 Überlebende mit individuellen Fähigkeiten. Jeder Spieler führt eine Gruppe an und startet mit zwei Figuren.
Nein, der Winter der Toten ist kein so genannter "No-Brainer", sondern steht eher in der Tradition von Villen des Wahnsinns oder Battlestar Galactica. Im Gegensatz zu reinem (und witzigen!) Gemetzel wie etwa in Zombies!!! geht es hier um ein semi-kooperatives Abenteuer mit erzählerischem Hintergrund und etwas psychologischem Nervenkitzel. Bis zu fünf Spieler übernehmen jeweils eine Gruppe an Überlebenden mit individuellen Fähigkeiten, die sich in einer verschneiten Kolonie verschanzt haben - zu Beginn hat man nur zwei Leute, es können schnell viel mehr werden. Die Nachteile: Die locken auch mehr Zombies an und müssen alle essen; Hunger senkt ja die Moral. Der Vorteil: Man kann mit größerer Gruppe auch mehr Aktionswürfel für Kämpfe, Durchsuchungen, Bewegungen, Barrikaden, Spezialfähigkeiten etc. ausgeben und das Abenteuer natürlich stärker beeinflussen.

Winter der Toten ist ein anspruchsvolles, aber überraschend leicht erlerntes Spiel: Das 19-seitige Regelwerk ist schnell verinnerlicht.
Die schiere Masse der Zombies wird gut simuliert: Nachdem alle Spieler agiert haben, werden je nach Krisen, Überlebenden und Geräuschen frische Zombies in klarer Reihenfolge an allen Orten platziert, wobei sie sofort dort die Türen stürmen, wo sie eine kritische Zahl überschreiten - dann stirbt  sofort ein Überlebender. Während draußen also permannet die Untoten heran schlurfen, gilt es neben dem reinen Überleben aktuelle Krisen wie Benzinknappheit & Co abzuwenden sowie am Ende ein gemeinsames Ziel für alle Gruppen zu erreichen - z.B. eine bestimmte Menge an Nahrung zu sammeln, Barrikaden zu errichten oder Zombies zu töten. Sehr schön: Es gibt zwanzig Krisen und zehn dieser universalen Ziele mit unterschiedlichem Aufbau in jeweils normaler sowie harter Variante, die von kurz über mittel bis lang markiert sind, so dass man auch mal eine knackige Runde in 30 bis 45 Minuten spielen kann.

Geheime Ziel und Verrat

Die erste Würze kommt durch die geheimen Ziele hinzu, von denen jeder Spieler eines zufällig zieht: Und darunter kann sich auch eine Verräterkarte wie "Fanatiker" oder "Serienmörder" befinden! Jede Gruppe verfolgt also auch noch eigene Interessen. Am Ende gewinnen die Spieler, die sowohl das gemeinsame als auch das geheime Ziel erreicht haben - es kann also mehrere Sieger geben oder keinen. Die doppelten Ziele führen auch abseits des Verrats, der Mord und Sabotage beinhaltet, zu Interessenskonflikten: Was ist z.B., wenn nicht nur die ganze Kolonie, sondern auch die eigene Gruppe an Medizin oder Nahrung interessiert ist? Oder wenn man sie zusätzlich für die Abwendung einer Krise benötigt? Sehr cool: Man kann gezielt sabotieren, wenn man das Falsche beisteuert - sind vier Medizin gefragt und einer legt Nahrung in den Pool, gilt das als Minuspunkt - so hat man nur drei! Da man die nötigen Karten verdeckt in der Kolonie platziert und vor dem Aufdecken mischt, weiß niemand, wer der Übeltäter war.

Es gibt zwar keine Miniaturen, aber auch die Pappaufsteller machen eine gute Figur.
Und was kann man gegen Verräter tun? Sie verbannen! Dazu beschuldigt man einen Spieler und muss per Daumen-hoch-und-runter-Abstimmung eine Mehrheit finden. Verbannte können nicht mehr gegen Krisen helfen, nicht mehr abstimmen, nicht mehr auf Nahrung der Kolonie zugreifen und wenn sie sterben, sinkt die Moral nicht mehr. Trotzdem sind sie nicht chancenlos: Sehr schön ist, dass dieser potenzielle Verräter umgehend eine andere geheime Zielkarte für Verbannte zieht, auf der er zwei Optionen hat - je nachdem, ob er tatsächlich das faule Ei ist oder eben nicht. Es kann z.B. sein, dass man als Unschuldiger seine geheime Zielkarte zeigen darf und somit die Fehlentscheidung der anderen umgehend entlarven kann. Das führt natürlich umgehend zu Irritationen und etwas Paranoia: Wer ist denn dann der Verräter? Oder gibt es gar keinen? 

Ein Blick auf eine Gruppe: Man sammelt Leute und kann sie ausrüsten.
Für etwas erzählerische Abwechslung am Tisch sorgt auch, dass der jeweils rechts von einem sitzende Spieler noch vor dem eigenen Zug verdeckt eine Schicksalskarte zieht, auf der ein mögliches Ereignis beschrieben wird. Das wird allerdings nur ausgelöst, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden - das kann z.B. die An- oder Abwesenheit eines bestimmten Charakters in der Kolonie, ein Biss oder eine Bewegung sein. Erst wenn das gegeben ist, wird der Text vom Nachbarn laut vorgelesen. Schön ist, dass diese Storyschnipsel einige interessante Anekdoten wie die Erkundung einer Kirche oder das Treffen eines seltsamen Fremden enthalten und die Charaktere im Idealfall etwas besser vorstellen. Meist hat man als Betroffener dann zwei Optionen, unter denen man wählen kann. Schade ist, dass die Fähigkeiten hier keine Rolle spielen und dass man diese Szenen nicht etwas spannender erlebt.

Kämpfe und Spezialfähigkeiten

Das Kämpfen ist eine ebenso simple wie flotte Angelegenheit - es gibt kein System mit Angriff, Verteidigung & Co: Man wählt einen der Aktionswürfel und wenn sein Wert der eigenen Stärke entspricht oder diese toppt, dann ist ein Zombie am selben Ort sofort tot - so kann man übrigens auch andere Überlebende attackieren, um sie zu verwunden und anschließend auszurauben. Wozu das gut ist? Es kann z.B. ein geheimes Ziel für Verräter oder Verbannte sein, dass nicht alle überleben oder dass eine bestimmte Zahl an Menschen stirbt! Und auch ohne komplexes Kampfsystem ist man ständig in Lebensgefahr. Denn nach jeder Bewegung in ein anderes Gebiet und jeder Konfrontation mit Untoten entscheidet der blutrote Infektionswürfel, ob es Nebenwirkungen bis hin zu tödlichen Dominoeffekten gibt: Wenn an einem Ort jemand gebissen wird, kann sich die Plage plötzlich auf alle dort Anwesenden ausbreiten. Wie kann man das verhindern? Den Überlebenden sofort opfern oder sein Würfelglück strapazieren und auf eine leere Seite hoffen...ein Vabanquespiel!

Man muss sowohl die Kolonie als auch die Orte drumherum gegen Zombies schützen.
Wird man nicht gebissen, was immer den sofortigen Tod nach sich zieht, erleidet man eine Wunde oder Erfrierung - Letztere ist fies, weil sie zu jedem Zugbeginn eine weitere Wunde verursacht. Alle Überlebenden können maximal drei Verletzungen ertragen, aber dafür unterscheiden sie sich hinsichtlich ihres Einflusswertes, der Kampf- sowie Suchwerte.

Wozu ist Einfluss gut? Nicht nur bei manchen Abstimmungen sowie Ereignissen kann ein hoher Wert nützlich sein, auch bei der oben beschriebenen Ausbreitung der Infektion schützt der Einfluss zumindest davor, als Erster vor Ort zu sterben - ist man alleine, hilft einem das natürlich auch nicht.

Wer ist der Verräter? Und was hat er vor?
Noch wichtiger ist aber die Spezialfähigkeit: Es gibt unter den 30 Überlebenden militärische Experten, die z.B. gleich zwei Zombies auf einmal erschießen können; es gibt Leisetreter, die nach einer Bewegung nicht den bösen Infektionswürfel werfen müssen (sehr nützlich!); es gibt Suchspezialisten, die ohne Geräusche mehr an Beute nach Hause bringen - sogar ein gegen Infektionen immuner Hund und ein Kaufhaus-Weihnachtsmann sind dabei. Makaber: Opfert man Letzteren, steigert man die Moral der Gruppe. Man kann seine Leute aber auch über Waffen, Kleidung und andere Objekte wie Nachtsichtgeräte besser ausstatten und quasi mit weiteren Spezialfähigkeiten versehen.

Was gefällt nicht so gut?

Kann man die aktuelle Krise abwenden? Dann müssen alle Gruppen etwas beisteuern!
Als Figurenliebhaber kann ich Pappaufstellern zwar nicht so viel abgewinnen wie echten Miniaturen, aber letztlich sehen die richtig gut aus und sind angenehm stabil. Angesichts der Menge an Figuren (30 Überlebende, 30 Zombies) wäre der Produktionspreis für die Box natürlich gestiegen - außerdem darf man nicht vergessen, dass man sich hier nicht wie in Descent an einen Charakter bindet, sondern eine Gruppe mit hoher Fluktuation anführt, denn manchmal sterben die Leute wie die Fliegen. Auch ohne Miniaturen ist das Spielmaterial mit seinen über 300 Karten, Markern & Co hochwertig.

Inhaltlich kann ich lediglich bemängeln, dass viele der Ereignisse der Schicksalkarten aufgrund der persönlichen Zuordnung nicht stattfinden, wenn die entsprechende Figur nicht anwesend ist: So muss man einige coole Story-Karten einfach ablegen, weil der Auslöser fehlt. Schade ist auch, dass man während dieser Ereignisse zwar die Wahl hat, aber dass direkt alle Konsequenzen für alle benannt werden - so wird das Ergebnis quasi schon verraten. Spannender wäre es gewesen, das Resultat immer erst nach der Entscheidung preiszugeben. Die Hintergrundgeschichte wirkt hier trotz des Vorlesens einiger anderer Texte wie z.B. zum gemeinsamen Ziel oder den Verrätern bruchstückhafter und nicht so harmonisch integriert wie etwa in Villen des Wahnsinns.

Auch ein Hund ist dabei: Sparky kann nicht infiziert werden...
Für alle Kenner: Winter der Toten erreicht zwar nicht die spielerische Komplexität eines Battlestar Galactica, wo unbekannte feindliche Zylonen mit eigenen Zielen für Unruhe sorgten, aber wer das intrigante Konzept mit psychologischer Deduktion mag, der wird hier richtig gut unterhalten. Apropos: Wer das Verräterprinzip oder Verbannungen nicht mag, kann das Ganze auch mit mehreren Freunden ausschließlich kooperativ spielen - zu zweit geht es auch gar nicht anders. Das knapp 19-seitige Regelwerk bietet allerdings auch Verschärfungen, die die Chance auf den Verräter erhöhen oder das permanente Ausscheiden eines Spielers nach sich ziehen.

Fazit

Winter der Toten ist ein tolles Spiel! Das ist kein langweiliges Mitschlurfen in der populären Zombiehorde, sondern ein sehr gut designtes Brettspiel in ansehnlicher Aufmachung mit tollen Ideen. Statt einem x-ten Gemetzel inszenieren Plaid Hat Games, die schon mit dem erzählerischen Charme in Maus & Mystik begeisterten, semi-kooperative Spannung mit stimmungsvollen Storyschnipseln und bösem Verräterkitzel. Die Zombies selbst können mit ihren Bissen böse Dominoeffekte auslösen, aber auch der Winter und der Egoismus sorgen für ein permanentes Bedrohungsgefühl: Weil man nie weiß, ob einer oder gar mehr Mitspieler der Gruppe eigene Ziele verfolgen, entsteht schnell Misstrauen. Das sorgt für Bluffs und Anschuldigungen – und tolle Hysterie am Tisch. Die Regeln sind logisch und überraschend leicht erlernt, die Spielzeit knackig und der Wiederspielwert ist aufgrund vieler Ziele und Karten hoch. Eine klare Empfehlung also auch für Einsteiger und natürlich für alle Zombiefreunde, die auch mal etwas Paranoia in der Gruppe erleben wollen!

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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