Special: Kooperative Zeitreise
Und es hat Zoom gemacht...
"Das ist ja mal cool! Eine tolle Idee!" Wenn sich routinierte Brettspieler schon nach wenigen Minuten so freuen, dann muss am Tisch etwas Ungewöhnliches geschehen. Nein, es liegt nicht daran, dass sich gerade vier Agenten einer Zeitreisefirma in einer französischen Nervenheilanstalt des Jahres 1921 befinden. Für Freude sorgt auch nicht unbedingt, dass jeder von ihnen wie ein Geist in den Körper eines irren Patienten geschlüpft ist. Etwa in jenen von Madeleine du Tilleul, die unter Panikattacken leidet. Aber die frische Art und Weise wie man dort den Aufenthaltsraum erkundet, lässt eine interessante Art der Immersion sowie stimmungsvolle Erkundungsreize am Tisch entstehen. Man kann in T.I.M.E Stories bildlich in Szenen eintauchen - und das macht Spaß.
Objekt, Gespräch, Rätsel oder Kampf?
Kooperatives Rollenspiel mit viel Kommunikation
Wer kooperative Abenteuer mit viel Kommunikation und taktischen Absprachen mag, wird sich hier sehr wohl fühlen, denn komische Andeutungen, verschlossene Räume und knifflige Gefechte laden zu Gesprächen ein. Auch Rollenspieler alter Schule kommen auf ihre Kosten, denn das Spiel lebt nicht nur davon, dass einleitende Texte wie von einem Meister vorgelesen werden. In seinem spielmechanischen Kern ist T.I.M.E Stories ein episches Rollenspiel à la Villen des Wahnsinns.
Aufgaben oder Kämpfe werden ansonsten gemeistert, indem man ganz klassisch Proben besteht und dafür Würfel wirft. Auch hier wirkt das Abenteuer aber angenehm frisch: Je nach Aufgabe oder Feind werden unterschiedlich viele Schilde ausgelegt, die man über gewürfelte Sterne "besiegen" muss, während Schädel für einen Gegenschlag oder Spezialsymbole für Abzüge sorgen - erst wenn alle Schilde vom Plan getilgt worden sind, hat man es geschafft. Das System ist recht einfach und die vorbildliche Anleitung gibt für alle erdenklichen Situationen genug Beispiele, so dass der Spielfluss auch innerhalb dieser Proben nicht zu lange stockt.
Rätsel gegen die Zeit
Aber selbst wenn man so Lebenspunkte verliert und stirbt, ist der Tod (wenn er nicht gerade alle ereilt) nicht der wahre Feind des Teams. Jeder Agent steckt ja nur in einem Wirt und kann nach dem Ableben etwas später wieder in derselben Gestalt mitmachen. Der wahre Feind ist jedoch die Zeit, die zwar rundenweise, aber unbarmherzig auf einer Leiste gen null sinkt: Jede Bewegung innerhalb der Orte sowie jede Würfelprobe verbraucht etwas von dem Kontingent, das dem Team für einen Auftrag maximal zur Verfügung steht. Man sollte sich also gut überlegen, was man wo macht und wie man am effizientesten das Rätsel in der Vergangenheit löst - bei unserem ersten Durchlauf scheiterten wir in den Tiefen der Nervenheilanstalt, weil uns entweder Hinweise oder Objekte fehlten.
Stimmungsvolles Artdesign
Auch das Artdesign des in Comics und Spielen erfahrenen Benjamin Carré (u.a. Star Wars, Mass Effect, Bladerunner) muss nochmal lobend erwähnt werden. Es gibt zwar einen stilistischen Bruch zwischen dem im Weiß strahlenden
Obwohl das Abenteuer ideal mit vier Leuten gespielt wird, kann man theoretisch übrigens auch zu zweit oder besser zu dritt loslegen - in ersterem Fall muss allerdings jeder zwei Wirte übernehmen; außerdem sinkt natürlich der individuelle Überraschungseffekt sowie das Diskussionspotenzial beim Umdrehen der Karten. Apropos Gespräche: Da bei jedem Ortswechsel der "Zeitcaptain" wechselt, ist auch jeder mal eine Art Anführer, der zum einen die Abzüge auf der Zeitleiste erwürfelt bzw. vornimmt, aber der zum anderen bei Uneinigkeit über die nächste Route oder Vorgehensweise endgültig bestimmen darf. Ein richtig vorbildliches Feature ist übrigens das Abspeichern: Ja, richtig gehört. Falls ihr mittendrin aufhören müsst, könnt ihr die aktuelle Spielsituation inkl. aller Karten & Co genau so in der dafür extra designten Box sortieren.
Was gefällt nicht so gut?
Rätselfreunde kommen nicht so kreativ auf ihre Kosten wie in Villen des Wahnsinns, wo man z.B. wirklich aktiv Schalter und Leitungen auslegen musste, aber dafür findet man auch mal obskure Skizzen mit Codes, die es zu entschlüsseln gilt. Last but not least hätte man die Spannung vielleicht noch erhöhen können, wenn man eine Gegenorganisation zur Zeitreise-Agentur aufgebaut hätte, ähnlich wie...natürlich: bei den Templern und Assassinen im gleichnamigen Videospiel. So ist es bis auf den Zeitverlust relativ egal, ob man bei einem Einsatz stirbt. Man vermisst eine übergreifendere Dramaturgie oder einen Antagonisten, der auch mal von
Fazit
Das ist mal eine stimmungsvolle Abwechslung! Ich mag kooperative Abenteuer sehr gerne und T.I.M.E Stories bereichert dieses Genre nicht nur mit seinem Zoomeffekt: Das simple Umdrehen einer Karte wirkt wie ein visuelles Hineinspazieren. Nachdem man in eine malerische Szene abtaucht, kann einem zudem alles Mögliche passieren - ein Fund, ein Gespräch, eine Aufgabe, ein Konflikt. Weil das auch noch gleichzeitig und individuell in einem mysteriösen Szenario geschieht, entsteht sehr viel lebendige Kommunikation am Tisch. Auch Rollenspieler alter Schule kommen auf ihre Kosten, denn man schlüpft in einen Charakter mit exklusiven Fähigkeiten, löst Rätsel, sammelt Gegenstände, kämpft und manchmal wird etwas vorgelesen. Neben dem offenen Storytelling mit seinen Andeutungen überzeugt auch die Spielmechanik. Es macht Spaß, Schlüssel und Wege für blockierte Türen zu finden; das Würfelsystem für die Proben ist simpel, aber angenehm frisch; das Kartensystem punktet mit dynamischen Änderungen durch Geheimräume; die ablaufende Zeit sorgt dafür, dass sich alle taktisch fokussieren müssen. Die Trennung zwischen futuristischer Basis und historischem Spielplatz erinnert natürlich sofort an Assassin's Creed, aber es steckt genug eigene Interpretation in diesem Zeitreise-Abenteuer. Dass der Funke der Begeisterung nicht so ganz überspringt wie bei Pandemic Legacy oder Villen des Wahnsinns liegt zum einen daran, dass man mit dem einen Szenario wirklich sehr schnell fertig ist. Zum anderen vermisst man eine übergeordnete Dramaturgie, die die Agenten spürbarer von außen in Gefahr bringt. Aber das sind wirklich Kleinigkeiten: Ein großes Lob an Manuel Rozoy für dieses kreativ designte und malerisch illustrierte Brettspiel.
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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