Das Auge isst mit
Es gibt sehr wenige Brettspiele, die schon vor dem Aufbau die Fantasie anregen. Von mir aus könnten tolle Spiele wie
Gleichgewicht des Schreckens oder
Terraforming Mars auch in einer grauen Schachtel verkauft werden - denn es kommt natürlich auf den Inhalt an. Aber bei
Scythe werde ich zum Romantiker. Ich schaue nur kurz auf diese Box und werde von diesem Gemälde in eine idyllische Landschaft entführt, in der Bauern mit ihren Sensen die Ernte einbringen, während Lanzenreiter und riesige Kampfroboter in ein Scharmützel verwickelt werden. Ich habe das Gefühl, zwischen goldenem Heu, bunten Wimpeln und grauem Pulverdampf einen Blick in eine andere Zeit zu erhaschen.
Scythe wurde über Kickstarter finanziert und von Jamey Stegmaier entworfen; Bilder und Gestaltung stammen von Jakub Rozalski. Man kann es bei Stonemaier Games für 80 Dollar auf Deutsch bestellen.
Genauer gesagt in ein alternatives Osteuropa der 20er Jahre, das sich nach dem Ersten Weltkrieg ganz anders entwickelt hat. Hier sind Anführer auch mal mit Tigern oder Bären unterwegs, die als treue Begleiter mit Taschen oder Waffen bestückt sind, während andere Soldaten in zweibeinigen Robotern durch die Gegend stampfen. Diese bizarre Mischung aus Bauernidylle und Stahlgewitter wurde vom Polen Jakub Rozalski entworfen - hier gibt es einen
Blick auf seine Kunst. Und das Beste ist: Er hat nicht nur die Box sowie die Miniaturen gestaltet, sondern auch alle Illustrationen, so dass viele weitere seiner eindringlichen Gemälde die Charakter-, Auftrags- und Ereigniskarten zieren.
Malerisches Artdesign von der Box bis zur Karte
Scythe wurde für einen bis fünf Spieler konzipiert und inszeniert Aufbaustrategie mit 4X-Flair. Neben Holzfiguren gibt es auch 20 Mechs sowie fünf Anführer als Miniaturen.
So entsteht schon mit dem Aufbau ein gediegenes Flair. Deckt man solche Karten in anderen Brettspielen auf, liest man sie meist nur vor oder stapelt sie unbesehen, aber hier haben wir zumindest in den ersten Spielen einfach länger hingeschaut und tatsächlich über die Szenen gesprochen - manche haben eine solche Ausstrahlung, dass sie auch im Louvre hängen könnten.
Sie sind aber kein künstlerischer Selbstzweck, sondern stellen bei den Ereignissen meist die Situationen dar, über die man wie in einem kleinen Rollenspiel entscheiden soll: Da erkennt man z.B. eine Wiese mit Mechs, einen Bauern sowie einen Anführer samt Bären und wird gefragt, ob man ihm zeigen will, wie gut das eigene Tier gehorcht, ob man ihn für die Munition aus dem Mech bezahlen will oder den eigenen Bären Amok laufen lässt - je nach Wahl bekommt man Geld, Ansehen oder Stärke.
Nicht falsch verstehen: Scythe ist kein Rollenspiel oder Tabletop-Abenteuer, sondern inszeniert aufbauende Strategie à la
Eclipse,
Blood Rage & Co inklusive Arbeiter, Gebäude, Rohstoffe, Militär und Technologien für einen bis fünf Spieler, die mit einer kleinen Provinz am Rande der Welt starten. Im Herzen der wunderschönen Karte hat sich der kapitalistische Stadtstaat "Die Fabrik" von der Außenwelt abgeschottet, obwohl er mit seinen Mechs zuvor den Krieg schürte. Das weckt die Neugier der umliegenden Reiche, darunter Polen, Sachsen, Skandinavier, Tartaren und Russen, die zum Zentrum vorstoßen wollen. Ziel ist es, am Ende das größte Vermögen aller Fraktionen vorzuweisen.