Kreativer Pionier
Ein Doktor der Mathematik, der sich mit Magie beschäftigt? Zwei Zauberer, die sich mit Karten duellieren? Was 1993 zunächst komisch klingt, entpuppt sich, ähnlich wie drei Jahre später die Pokémon, als geniale Kombination - nicht nur hinsichtlich des Profits für die damals kleine amerikanische Firma
Wizards of the Coast, sondern vor allem für die Spielkultur. Denn Richard Garfield begründete mit
Magic: The Gathering (Magic) das komplett neue Genre der Sammelkartenspiele, das heute in nahezu allen populären Welten von Star Wars bis Game of Thrones wie selbstverständlich auftaucht. Aus der Urform der "Trading Card Games" hat sich dann eine weitere Strömung in Form der so genannten "Living Card Games" entwickelt: erst kürzlich habe ich
Legend of the Five Rings sowie
Arkham Horror vorgestellt.
Verspielte Biographie
Richard Garfield konnte sich nach dem Erfolg von Magic aus der universitären Laufbahn an der Universiät Philadelphia, an der er 1993 immerhin noch in kombinatorischer Mathematik promovierte ("On the Residue Classes of Combinatorial Families of Numbers"), zurückziehen und voll auf die Entwicklung von Spielen konzentrieren. Und er war fleißig: In seiner Zeit als Autor für Wizards of the Coast hat er nicht nur an der dritten Edition von Dungeons & Dragons mitgearbeitet sowie weitere Sammelkartenspiele zu BattleTech, Vampire oder Star Wars konzipiert, sondern u.a. Spiele wie Roborun, King of Tokyo und auch
Android: Netrunner, ein weiteres Beispiel für die Spieltiefe und den Facettenreichtum der modernen Kartentaktik, beruht auf seinen Ideen. Erst kürzlich wurde sein Bunny Kingdom auf der SPIEL 17 angekündigt, außerdem trägt er immer noch etwas zu aktuellen Editionen von Magic bei, wie etwa zur 78. Erweiterung Dominaria, die am 27. April 2018 veröffentlicht wird. Mittlerweile konzentriert er sich mit seiner Firma
Three Donkeys auf Beratung im Bereich analoges sowie digitales Spieldesign, ist u.a. für Microsoft tätig gewesen.
Die Wurzeln des Erfolges
Warum ist sein Magic bis heute in aller Welt so erfolgreich? Warum wird es 25 Jahre nach der Premiere noch so gerne gespielt? Woher kommt diese Akzeptanz? Es ist ja auf den ersten Blick ein recht simples Spiel, das
euch Eike in diesem Video erklärt. Aber auf den zweiten Blick zeigt sich, dass der Erfolg viele Ursachen hat. Vermutlich war sich Garfield damals gar nicht bewusst, weshalb er einen Nerv traf.
Zum einen darf man nicht vergessen, dass Kartenspiele seit Jahrhunderten tief in unserer Gesellschaft verankert sind - sie gehören von Mau-Mau über Rommé bis Doppelkopf zu den besten Spontanzaubern gegen Langeweile. Auch in Magic geht es ja letztlich darum, "Stiche" gegen seine Kontrahenten zu machen, zufällig Karten zu ziehen, sie abwechselnd auszulegen, zu kontern sowie Punkte einzufahren - es beruht also auf einem starken spielkulturellen Fundament. Nur hebt es Richard Garfield 1993 thematisch, strukturell sowie perspektivisch auf eine ganz neue Ebene, die plötzlich eine neue Generation von Spielern fasziniert.
Zauberer, Magie und Pentagramme
Da wäre die stimmungsvolle Ausgangslage, die die sonst so drögen Mechaniken klassischer Kartenspiele erzählerisch aufwertet. Das Szenario inszeniert einen Showdown: Zwei Magier werfen sich Zaubersprüche an den Kopf, bis einer stirbt - Gandalf und Saruman lassen grüßen! Das kann man sich bildlich vorstellen. Schließlich kann man nicht nur Magie, sondern ganze Länder und Kreaturen auf dem Tisch beschwören, indem man einfach Karten auslegt - man fühlt sich dabei unweigerlich cooler als bei der Ansage von Re oder Kontra.
Ein fortgeschrittenes Spiel zwischen Blau/Weiß (oben) und Schwarz (unten). Übrigens führte Schwarz hier mit 18 zu 1 (!) Lebenspunkt und verlor das Spiel trotzdem noch - u.a. aufgrund der beiden effektiven Schutzkarten.
Apropos bildlich: Hinzu kommt natürlich der visuelle Reiz der aufgedruckten Motive, die wie kleine Gemälde wirken. Magic sorgt für eine ganz eigene Ästhetik über eindringliche Illustrationen sowie kursive Zitate. Ohne die vielen gezeichneten Landschaften, Gegenstände und Kreaturen, die teilweise von bekannten Fantasy-Künstlern beigetragen werden, wäre der Erfolg dieses Sammelkartenspiels gar nicht denkbar! Und einen Treffer von einem Shakespeare-Spruch oder einem kleinen Reim begleitet zu landen, den man natürlich süffisant vorliest, hat auch etwas. Auge und Ohr spielen also ein wenig mit.
Und all diese Zauber mit ihren Bildern und Sprüchen schlummern sorgsam zusammen gesucht, aber zufällig vermischt, in einem so genannten "Deck", das nicht etwa allen in der Familie gehört wie das Skatspiel in der Schublade, sondern nur seinem Ersteller - wie ein privates Tagebuch. Manche Karten habe ich nur, weil sie so klasse aussehen oder ich das Motiv einfach mag. Nicht zu vergessen das Rollenspielflair en detail, denn man kann Helden mit Werten für Angriff sowie Verteidigung mit Waffen, Rüstungen oder Zaubern gezielt aufwerten, so dass mit +2 & Co auch noch Erinnerungen an Dungeons & Dragons wach werden. Selbst für Pen&Paper-Freunde ist also etwas dabei! Gerade für die jüngere Generation, die mit Tolkien und Fantasy groß geworden ist, übte diese Kombination aus Fantasy, Karten und Rollenspiel in den 90er Jahren starke Reize aus - man fühlte sich vielleicht auch emotional angesprochen von diesem Spiel.