Escape the Dark Castle25.06.2018, Jörg Luibl
Escape the Dark Castle

Special: Fast Fighting Fantasy

In den letzten Jahren dominierten vor allem komplexere Rollenspiele und Tabletop-Abenteuer mit epischer Kampagne die Tische. Man denke an Descent, Villen des Wahnsinns, Die Legenden von Andor, Maus und Mystik oder kürzlich Gloomhaven. Ein kleines Team aus Nottingham mag es knackiger, schneller und hat sich mit Escape the Dark Castle dem Fantasyflair der 80er Jahre verschrieben: 2.119 Unterstützer haben 87.814 Britische Pfund beigetragen, um dieses kooperative Abenteuer zu verwirklichen.

Die "Fighting Fantasy" lässt grüßen

Manchmal sorgen simple Zeichnungen für starke emotionale Déjà-vus. Als ich zum ersten mal das Cover von "Escape the Dark Castle" mit dieser düsteren Festung und ihren schmalen Spitztürmen sah, fühlte ich mich zurückversetzt in eine Zeit, als mich der Zeichentrickfilm "Das letzte Einhorn" faszinierte und wir jedes Wochenende "HeroQuest" spielten. Außerdem erschienen in diesen 80er Jahren die Abenteuer-Spielbücher von Ian Livingston und Steve Jackson, die das Genre der "Fighting Fantasy" begründeten - mit Stift und Buch bewaffnet konnte man sich dem "Hexenmeister vom flammenden Berg" stellen...

"Escape the Dark Castle" ist bisher nur auf Englisch als Kickstarter-Projekt erschienen und war vergriffen. Aktuell läuft eine zweite Kickstarter-Kampagne , in der man das Hauptspiel erneut für 29 Pfund als Add-On erwerben kann, wenn man sie mit mind. 1 Pfund unterstützt - macht also 30 Pfund bzw. 34 Euro.
...und genau in diese Kerbe leicht zugänglicher Fantasy-Abenteuer mit situativer Spannung und bizarren Begegnungen schlägt das komplett in Schwarz und Weiß gehaltene Spiel von Themeborne aus Nottingham. Thomas Pike, Alex Crispin und James Shelton treffen mit ihrem markanten Artdesign jedenfalls meinen Nerv. Und sie setzen inhaltlich auf sehr schlanke Regeln, so dass man in null Komma nichts loslegen kann. Zwar stürze ich mich sehr gerne in komplexe Rollenspiele mit zig Miniaturen, epischer Story und ausgefeilten Kämpfen, aber manchmal vermisse ich diese Einfachheit der Pionierzeit. Und genau die bekomme ich in diesem kooperativen Abenteuer, das für eine halbe Stunde stimmungsvoll unterhalten kann.

Vier Gefangene auf der Flucht

Bis zu vier Spieler suchen sich aus den sechs Figuren Köchin, Schneiderin, Müller, Gerberin, Schmied und Abt einen Charakter aus. Diese unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihrer drei Werte für Stärke, Weisheit und List (Might, Wisdom, Cunning) . Sehr schön ist, dass jeder

Bis zu vier Spieler müssen gemeinsam aus der düsteren Festung fliehen - es gibt kleine Modifikationen für das Spiel mit weniger Leuten; auch solo kann man loslegen. Der Spielaufbau ist ebenso flott wie das Regelwerk schlank ist.
einen exklusiven Würfel bekommt, auf dem diese Werte bereits entsprechend verteilt vorkommen, so dass der Müller häufiger Weisheit würfel, während der Schmied eher für die Stärke und der Müller für die List zuständig ist - das sollte man natürlich auch bedenken, wenn nur einer aus der Gruppe einer Gefahr oder Probe begegnen kann. Je nach Teilnehmerzahl bekommt man zudem mehr oder weniger Lebenspunkte, die man mit den beiligenden Bleistiften auf dem schmalen Charakterzettel notiert - das war's! Und so startet man gleich mit ein wenig Pen&Paper-Gefühl ins Abenteuer.

Es gibt keine große Vorgeschichte, sondern nach Jahren der Einkerkerung lediglich die Chance zur Freiheit, als man endlich die Zelle verlassen kann. Ziel ist es, gemeinsam aus der düsteren Festung zu fliehen und den Boss am Ende zu vernichten. Zwar ist das Regelwerk sehr simpel, aber der Weg hinaus steckt voller Gefahren von Fallen bis hin zu Monstern, so dass die Lebenspunkte nur so purzeln und die Gruppe schon weit vor der finalen Kammer aufgerieben wird. Man muss sehr gut mit seinen Wunden haushalten und auch mal jemanden auf Kosten der Schlagkraft während des Kampfes pausieren lassen, damit er sich etwas erholt. Dass man nach einer Niederlage gerne nochmal loszieht, liegt nicht nur an der Atmosphäre: Man liest die kursiven Texte laut für alle vor, so dass kleine Rollenspielsituationen entstehen. Hinzu kommt auch die flotte Spielmechanik, die mit ihrem Zufallsprinzip stets für neue Herausforderungen über 15 Kapitel sorgt.

15 zufällig angeordnete Kapitel

Vor jedem Spiel werden fünfzehn der fünfundvierzig Kapitel-Karten gemischt und als verdeckter Stapel ausgelegt; ganz unten lauert immer einer von drei Bossen. Aber was begegnet einem auf dem Weg? Es gibt zwar auch Händler, aber die Decke kann einstürzen, Monster können aus Ecken hervor stürzen oder der Weg wird plötzlich von schwingenden Klingen blockiert, durch die jeder Held über mehrere Würfe einzeln hindurch muss - autsch! Die Karten sind angenehm groß und die düsteren Motive sorgen umgehend für schaurig bizarre Stimmung, zumal es genug verschrobene Charaktere und groteske Unholde gibt.

Wird die Gruppe die alte Karte aus den Händen des Toten stehlen?
Ich hab mich jedenfalls wie in einem Abenteuer-Spielbuch gefühlt, bei dem man neugierig auf die nächste Seite blättert. Bevor man ein Kapitel aufschlägt, indem man die oberste Karte umdreht, muss man allerdings als Gruppe festlegen, welcher der Spieler quasi die Tür öffnet - denn ihm könnte auch als Erstes etwas Garstiges begegnen. Gerade wenn alle schon verwundet sind und wenige Lebenspunkte haben, entstehen schöne Diskussionen. Wer sollte am ehesten geschont werden? Wen schickt man vor? Überhaupt wird die Kommunikation oftmals durch die Aufforderung angeregt, dass die Gruppe gemeinsam entscheiden soll, ob sie z.B. flieht, angreift, ausweicht, umzingelt oder jemanden bestiehlt.

Manchmal ist es vielleicht sinnvoller die Beine in die Hand zu nehmen oder diesen seltsamen Trank nicht auszuprobieren. Zum regen Austausch am Tisch trägt auch bei, dass man gefundene Gegenstände wie Waffen oder Nahrung untereinander aufteilen muss, wobei jeder maximal zwei tragen darf. Sehr gelungen ist hier übrigens, dass Axt, Schild oder Schwert wirklich einzigartig sind - es gibt also keinen Überschuss an Beute. Die einzige "magische" Wirkung wird durch Tränke erzielt, die z.B. einen Wert wie Stärke erhöhen oder einen Wurf wiederholen lassen - was sehr wichtig sein kann. Denn natürlich kommt auch der Kampf nicht zu kurz. Er wird durch ein einfaches Würfelsystem abgewickelt, das Angriff und Verteidigung so lange simuliert, bis der Feind vernichtet ist.

Schnell abgewickelte Kämpfe

Bei einem Kampf muss die Gruppe versuchen, die schwarzen Symbole des Feindes zu würfeln, die für Stärke (Faust), Weisheit (Kreuz) und List (Auge) stehen.
Sobald man einem Monster begegnet, legt man die angezeigten schwarzen Würfel unter seine Karte, die ebenfalls Symbole für Weisheit, Stärke und List anzeigen - je mehr Leute teilnehmen, desto mächtiger wird der Feind. Dann dürfen als Erstes die Spieler in beliebiger Reihenfolge attackieren, indem sie ihren weißen Würfel rollen lassen. Für jedes Symbol, das einem der Angezeigten des Feindes entspricht, wird ein schwarzer Würfel entfernt. Falls keiner mehr ausliegt ist er besiegt und man zieht einen Gegenstand als Beute. Das klingt nach einer einfachen Angelegenheit mit klaren Vorteilen für die Gruppe, aber...

...falls noch ein schwarzer Würfel übrig ist, werden alle Spieler um den unten rechts auf der Feindkarte angezeigten Schadenswert verwundet. Es sei denn, jemand hat bei seinem vorherigen Angriffswurf auch ein Schildsymbol erreicht - dann wird der Hieb von ihm geblockt. Je nach Art des Feindes können Spezialregeln hinzu kommen, die z.B. jemanden so in Angst versetzen, dass seine Stärke-Würfe nicht zählen. Zwar vermisst man komplexere Manöver, aber diese Art des direkten Symbolvergleichs sorgt für eine sehr schnelle Abwicklung der Kämpfe. Allerdings kann das Blut der Helden ebenso schnell fließen - da freut man sich, wenn man mal irgendwo ein verschimmeltes Käserad findet, das alle etwas heilt.

Was gefällt nicht so gut?

Einer von diesen drei Bossen lauert am Ende des Abenteuers.
Vielleicht hätte man noch mehr Spannung aus den Situationen kitzeln können, wenn es noch mehr Konsequenzen nach Entscheidungen, den Einsatz von Gegenständen sowie vielleicht eine Art von offener Route durch die Festung gegeben hätte; rein dramaturgisch sind klassische Abenteuer-Spielbücher diesem Zufallsprinzip natürlich überlegen; außerdem vermisst man zumindest ein paar biographische sowie erzählerische Hintergründe zu den Charakteren. Leider gibt es Escape the Dark Castle auch nur auf Englisch, so dass ihr zumindest einen Mitspieler dabei haben solltet, der die Texte auf den Karten vielleicht für alle anderen übersetzen kann. Die sind nicht all zu lang, aber tragen natürlich neben den Zeichnungen viel zur Atmosphäre bei.

Es gibt übrigens auch einen offiziellen instrumentalen Soundtrack von Alex Crispin, den ihr bei YouTube findet und im Hintergrund laufen lassen könnt. Ach so: Falls ihr diese Art der Unterhaltung nicht am Tisch, sondern digital für euer Tablet sucht, kann ich euch wärmstens die unheimlich gut designte

Sorcery!-Saga der inkle Studios empfehlen. Und eine schnelle Alternative für Fantasyfans ist das reine Karten-Dungeonspiel Boss Monster 2, das es auch auf Deutsch gibt.

Fazit

Nein, das ist natürlich kein Ersatz für klassische D&D- und DSA-Kampagnen oder Tabletop-Epen à la Descent - Die Reise ins Dunkel. Und so mancher Veteran wird angesichts der simplen Regeln oder naiven Zeichnungen vielleicht die Nase rümpfen. Aber Escape the Dark Castle trifft genau meinen Nerv, weil es mit seinem markanten Artdesign das Fantasy-Flair der 80er Jahre verströmt und mich auf charmante Art an meine geliebten Abenteuer-Spielbücher erinnert. Falls ihr die "Fighting Fantasy" von Ian Livingston und Steve Jackson kennt, werdet ihr hier mit bis zu vier Leuten so manche Déjà-vus zwischen fiesen Fallen, skurrilen Charakteren und garstigen Monstern erleben. Und falls ihr all den alten Kram nicht kennt, ist das auch nicht schlimm: In einer guten halben Stunde erlebt ihr mit Freunden situative und überaus kommunikative Spannung. Bisher kommt das Prinzip jedenfalls so gut bei Fantasyfans an, dass auf Kickstarter bereits weitere Abenteuer angekündigt sind - dort könnt ihr auch noch das Hauptspiel für 29 Britische Pfund ergattern, wenn ihr sie für mind. ein Britisches Pfund unterstützt.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps, Klassiker oder ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet. Mehr Brettspiel-Tests und eine Top 20 findet ihr hier.

 
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