Haze23.05.2008, Mathias Oertel
Haze

Im Test:

Obwohl die PlayStation 3 mittlerweile gut eineinhalb Jahre in Europa erhältlich ist, hält sich das Angebot an Shootern in deutlichen Grenzen – exklusive Titel sind noch viel seltener zu finden. Doch das britische Team von Free Radical (TimeSplitters-Serie) schafft Abhilfe. Wie schlägt sich das vermeintliche Anti-Kriegsspiel, das euch in einen Konflikt in gar nicht all zu ferner Zukunft wirft?

Nektar statt Ambrosia

In gar nicht ferner Zukunft werden Kriege nicht mehr von staatlichen Armeen, sondern von Soldaten privater Organisationen wie z.B. der Mantel Corporation geführt. Dieser allmächtige Pharmazie- und Rüstungskonzern stattet seine Kämpfer nicht nur mit modernster Bewaffnung aus, sondern sorgt sich auch um ihr Seelenheil und ihre Leistungsfähigkeit. Zu diesem Zweck trägt jeder dieser Soldaten einen Injektionsapparat, über den sowohl Mantel als auch der jeweilige Krieger in Eigenverantwortung einen Schuss "Nektar" in die Blutbahn leiten kann. Diese Leistung steigernde Droge sorgt nicht nur dafür, dass die Soldaten Verletzungen schneller wegstecken, sondern auch hinsichtlich Zielfähigkeit zu größeren Leistungen imstande sind.

Auch wenn ihr das Geschehen sowohl auf Soldaten- als auch auf Rebellenseite verfolgt: Emotional bleibt man als Spieler meist außen vor...
Der Spieler lernt in der Rolle des Seargents Shane Carpenter die Vorzüge von Nektar in den ersten Missionen kennen. Eine gesteigerte Wahrnehmung sorgt dafür, dass die Gegner auf dem Schlachtfeld hell erleuchtet sind und mit Hilfe des unter Nektareinfluss möglichen Extremzooms, dem darauf folgenden Treffer und der damit einher gehenden natürlichen Verlängerung des Nektarflusses (quasi das virtuelle Gegenstück von Adrenalin) gibt Haze (ab 23,59€ bei kaufen) ein anständiges Tempo vor.

Doch wie sich bald herausstellen soll, ist der Einsatz von Nektar nicht nur positiv. Denn er gaukelt den Mantel-Soldaten eine zweite Realität vor, in der der Krieg nahezu klinisch-steril geführt wird.

Erst als Shane nach einem Hubschrauber-/Landungsschiff-Absturz und Entzug die "echte" Wirklichkeit erlebt und von nun an auf Seiten der Rebellen kämpft, stellt er fest, dass die Auseinandersetzung extrem schmutzig ausgefochten wird. Mantel muss gestoppt werden.

Jeder Krieg hat zwei Seiten

Die in Ansätzen gelungene Geschichte, die in ihren besten Momenten an Filme wie Hamburger Hill oder 84-Charlie-Mopic erinnert, stellt blinden Gehorsam in Frage und versucht, mit stark überzeichneten Figuren die Relevanz der Aussage "Krieg ist schlecht" zu transportieren.

Das gelingt aber letztlich nur eingeschränkt. Weder auf Mantel- noch auf Rebellenseite geht man ins notwendige Extrem, um mich als Spieler in die futuristische Kriegswelt zu ziehen und die Motivation für meine Handlungen herauszustellen. Die wesentlichen Handlungsträger der Geschichte wirken innerhalb der Überzeichnung zwar durchaus glaubwürdig, schaffen es aber nur selten, erzählerische Tiefe oder gar Emotionen wie Sympathie oder Abneigung hervorzurufen.

Vehikel gehören ebenfalls zum Haze-Repertoire.
Hier verschenkt Free Radical viel Potenzial. Andererseits sind die Briten hier nur konsequent, denn auch die Action an sich krankt genau an diesem Problem. Mit haufenweise Waffen auf beiden Seiten des Konfliktes, Fahrzeugen, Railshooter-Sequenzen sowie der anfänglich großen (spielmechanischen) Unbekannten Nektar hat man eigentlich alle Zutaten an Bord, um wenn schon nicht epische, dann wenigstens packende Action zu kredenzen.

Das Ergebnis ist linear - was per se noch nicht negativ ist. Das Ergebnis ist vorhersehbar - ebenfalls nicht automatisch negativ. Das Ergebnis ist weitestgehend spannungsarm und größtenteils unspektakulär. Mit einem Wort: austauschbar. Und damit reiht sich Haze inhaltlich in eine Reihe von Titeln ein, die allesamt mit großen Erwartungen versehen unter dem Strich nur Action von der Stange boten: Kane & Lynch, BlackSite, Turok, um nur einige zu nennen.

Nektar als Allheilmittel?

Vor allem Nektar verkommt vom Einsatzmittel zum bloßen Gimmick. Zwar kann man auf Rebellenseite die Droge auch in der einen oder anderen Form gegen die Mantel-Soldaten einsetzen. Doch warum soll man sich die Mühe machen, die so genannten Nektar-Granaten anzufertigen, die dem Gegner eine Überdosis geben, woraufhin er wie wild um sich feuert, wenn man ihn mit ein paar gezielten Schüssen auch so ausschalten kann - zumal es nur ganz ganz selten Probleme mit dem Munitionsnachschub gibt?

         

Die ganzen Spielereien und Ideen rund um Nektar sowie dessen Vor- und Nachteile wären nur dann sinnvoll, wenn die KI dementsprechend ausgerichtet wäre. Wobei hier von Intelligenz zu sprechen, schon sehr vermessen ist. Denn selbst unter normalen Nektareinfluss sind die Mantel-Soldaten weit von dem Status des Übersoldaten entfernt, den ihr in den ersten Missionen verkörpert habt.

So verkommen selbst Elitetruppen in späteren Abschnitten zu bloßem Kanonenfutter, wenn sie wie aufgereiht auf den Spieler zulaufen und dann mit wenigen Schüssen erledigt werden können.

Einzig die Rebellen-Fähigkeit, sich tot zu stellen, ist einigermaßen interessant: Da die permanent unter Drogen stehenden Soldaten Leichen nicht wahrnehmen können, hat man als Rebell die Möglichkeit, sich vor dem Ableben durch theatralisches "Zu-Boden-Gehen" zu schützen. Mit etwas Glück und gutem Timing könnt ihr jetzt schnell wieder aufstehen, die Gegner überraschen und von hinten ausschalten.

Symphonie in Grün-Grau: Die Engine von Free Radical läuft schnell und flüssig, hat aber große Probleme im Texturdetail.
Doch abgesehen davon bietet Haze trotz aller interessanten Ideen und Ansätze herzlich wenig, um sich vom plumpen Shooter-Alltag abzugrenzen. Auch die Möglichkeit, Granaten zu vergraben und so als Minen zum Einsatz zu bringen, ist nur auf den ersten Blick interessant. Denn zum einen dauert es teils erstaunlich lange, bis Shane das Objekt der Begierde eingebuddelt hat - doch das alleine ist nicht mal das Problem. Viel schwer wiegender ist, dass man ungeachtet des Untergrundes die Granaten vergraben kann. Ob Granit oder Stahl: Für Shane mit seinen Wunderklauen stellt das kein Hindernis dar. Und so klein dieses Detail auch scheinen mag, ist dies exemplarisch für viele Spielmechaniken sowie die Welt an sich: Haze beraubt sich seiner Glaubwürdigkeit.

Haze ist für alle da

Dass die Geschichte insgesamt nicht so sehr in Gang kommen mag, liegt vielleicht auch daran, dass der Fokus auf Shane Carpenter als Hauptfigur im kooperativen Kampagnen-Modus etwas verwässert wird.

Hier könnt ihr wahlweise per Splitscreen an zwei Geräten im LAN oder online zu viert Jagd die Story spielen und so zumindest die KI-Schnitzer wegfallen, die euren mit euch mitlaufenden und nicht befehlbaren Gefährten unterlaufen.

Dadurch wird die Erzählstruktur insgesamt zwar nicht besser, aber frei nach dem Motto "geteiltes Leid ist halbes Leid" kann man sich nach dem gemeinsamen Haze-Erlebnis auf die Schulter klopfen und sich gegenseitig ein Lob aussprechen.

Natürlich finden sich auch Spielmodi, die bis zu 16 Mann in Schlachten von Mantel-Soldaten und Rebellen schicken. Jenseits von Ranglisten-Duellen können sogar noch Bots aktiviert werden, um fehlende Spieler aufzufüllen - was wir angesichts der spärlichen KI-Routinen jedoch nicht empfehlen würden.

Doch egal ob Deathmatch, Team-Deathmatch oder den rudimentär in die Haupthandlung eingebundenen Teamangriff, in dem Missionen erfüllt werden müssen: Das Balancing gibt sich redlich Mühe, den schnell entstehenden Spaß der flotten Duelle im Keim zu ersticken - zumeist erfolgreich.

Denn auch hier wird schnell deutlich, dass Nektar mehr ein Gimmick als eine spielerisch notwendige Ergänzung ist. Obwohl die Droge vom Konzept her das Allheilmittel ist, um die Waage zu Gunsten von Mantel ausschlagen zu lassen, sind die Rebellen im Normalfall immer überlegen - dem Totstellen sei Dank.

Dennoch: Wer sich davon nicht abschrecken lässt, kann das eine oder andere spannende Match erleben. An Kaliber eines Resistance oder Unreal Tournament 3 reicht Haze aber bei weitem nicht heran.

PS2-Relikt?

Ja: Die von Free Radical entwickelte Engine ist schnell und flüssig - auch im Mehrspielermodus. Das ist einiges wert. Aber das ist auch das Mindeste. Denn abgesehen davon hinterlässt sie nur selten einen Eindruck, der PS3-würdig ist. Es ist kaum zu glauben, dass ein Spiel, das gut 18 Monate nach Titeln wie Resistance oder ein halbes Jahr nach Uncharted erscheint, technisch so weit hinterher hinkt. Über Animationen, die hin und wieder unnatürlich aussehen, will ich mich gar nicht

Wenn der Gegner so auf euch zu kommt, ist die Überlebenschance dennoch groß - der suboptimalen KI sei Dank!
aufregen - das kann passieren. Sollte nicht, kann aber... Auch die spröden Explosionen und die spärlichen Partikeleffekte stören mich nicht übermäßig, da ich im Gegenzug von einigen ansehnlichen Bildschirmverzerrungen und Farbfiltern bei Nektareinsatz entschädigt werde.

Und selbst den an die 90er Jahre erinnernden Feuereffekt, der besonders scheußlich beim Rebellen-Flammenwerfer zu sehen ist, kann ich mit vier zugedrückten Augen ignorieren - oder zumindest drauf verzichten, indem ich das gute Stück nicht nutze.

Aber was sich Free Radical im Jahr 2008 hinsichtlich eines Großteils der Texturen leistet, ist schlichtweg unverzeihlich. Weichgezeichnet, strukturlos, flackernd, leblos, teilweise schlimmer als zu besten PS2-Zeiten.

Dabei sind die Abschnitte trotz unverkennbarer Linearität an sich gut designt und teilweise erstaunlich groß. Da zudem nur am Spielstart und beim Neustart nach Ableben geladen wird, entsteht der Eindruck einer umfangreichen Spielwelt.

Doch was nützt mir eine große umfangreiche Umgebung, wenn ich mir eben diese Welt nicht im Detail anschauen kann - selbst wenn ich es gern würde?

Man kann über die Zeichnung der Figuren geteilter Meinung sein, doch die Sprecher sowohl im englischen Original als auch in der deutschen Lokalisierung geben sich reichlich Mühe, die Stereotypen mit Leben zu füllen. Das Ergebnis muss man nicht unbedingt mögen, aber die technische Qualität ist in dieser Hinsicht nicht abzustreiten.

Auch die brachialen Waffeneffekte wissen zu gefallen - etwas, das die dynamisch angelegte Musikuntermalung nur eingeschränkt zu schaffen versteht.   

Fazit

Tut mir leid, Free Radical. Aber das war nix. Die größtenteils vorhersehbare Action von der Stange bietet zwar eine Hand voll interessanter Momente, doch unter dem Strich ist das zu wenig, um auf Dauer zu motivieren. Auch die üblichen Stärken der Briten, also Erzählstuktur, Story und Technik, bieten außer guten Ansätzen nur das Nötigste, um Haze vor dem Absturz in den Shooter-Orkus zu retten. Nektar als Triebfeder und Spielelement verliert etwa zur Hälfte der ca. sieben bis zehn Stunden dauernden Solokampagne an Reiz. Ab diesem Moment sind es nur noch die teils stark überzeichneten Figuren, die die Geschichte zumindest mit einem Hauch von Leben versehen. Und drumherum gibt es lineare Standard-Action, wie man sie schon tausendfach gesehen hat. Nicht wirklich schlecht, aber wahrlich nicht herausragend. Eben genau das, was man als solide bezeichnen würde. Und die Technik? Für das Team, das mit der TimeSplitters-Serie schnelle Ego-Action auf Konsolen salonfähig gemacht hat, ist das Ergebnis schlichtweg enttäuschend. Dass die eigens entwickelte Engine stets flüssig läuft, ist eigentlich selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich wären allerdings auch ansehnliche Texturen gewesen. Doch mit diesen nicht selten stark vor sich hin flackernden und an PlayStation 2-Zeiten erinnernden Tapeten liegt man bis auf sehr spärliche Ausnahmen meilenweit hinter der Konkurrenz zurück - selbst wenn man sich nur auf die PS3 als Vergleichsplattform konzentriert. Bleibt noch der Mehrspieler-Modus - immerhin auch eine der Stärken in der Free Radical-Vergangenheit. Der läuft insgesamt rund, bietet aber auch kaum mehr als Standardware und zeigt sich insgesamt sehr unbalanciert. An dieser Stelle können wir nicht einmal Vorschläge machen, was die Briten hätten ändern müssen, um doch noch auf einen grünen Zweig zu kommen. Mit einem halben oder gar ganzen Jahr mehr Entwicklungszeit alleine wäre es nicht getan. Zu viele Hebel hätten angesetzt werden müssen, um das erste wirklich mittelmäßige Spiel aus der Kultschmiede verhindern zu können. An den grundsätzlichen Zutaten lag es nicht, doch beim Mixen und Verrühren hat Free Radical das Ziel scheinbar aus den Augen verloren...


Kann mich mal einer aufwecken? In welchem Jahr befinde ich mich? Und spiele ich hier tatsächlich auf einer PlayStation 3? So etwas durch und durch Langweiliges habe ich schon lange nicht mehr erlebt - dagegen bietet das bescheidene Dark Sector ja ganz großes Actionkino! Verdammt, ist das eine Shooter-Enttäuschung. Ich habe mich nicht nur deshalb auf Haze gefreut, weil es einer der wenigen exklusiven Actionschauplätze für die PlayStation 3 hätte werden können, sondern weil es als Antikriegsspiel mit seiner interessanten Story rund um Militärdrogen, Konzernarmeen und Propaganda erzählerisch an Metal Gear Solid 4 erinnert. Genau solche kontroversen Thematiken braucht das Genre! Deshalb wäre mir die schwache, nur in einigen Außenarealen einigermaßen ansehnliche Kulisse, die mit ihrem hoch skalierten Texturen frecher Weise nicht mal volle HD-Auflösung bietet, theoretisch völlig egal gewesen. Aber dann verlange ich, dass mir in dem Moment, wo die Maskerade des sauberen Krieges fällt, die ekelhafte Fratze der Wirklichkeit mit einem dramaturgischen Hammer in den Magen gerammt wird! Aber nix da, nada, laue Luft, dieser Kontrapunkt ist fast gar nicht vorhanden - was hat Free Radical bloß an Potenzial verschenkt! Hier laufe ich seltsam unbeteiligt weiter, hier pumpt weder Adrenalin noch entstehen Emotionen, wenn ich das wahre Gesicht des Krieges sehe. Hier baller ich mich wie in einem 08/15-Shooter der 90er durch eine erschreckend sterile Welt. Hier ist es mir sogar schnurzpiepegal, ob ich für den bösen Konzern oder die guten Rebellen grenzdebile Gegner vollpumpe. Haze ist kein Antikriegsspiel, sondern ein Antispannungsspiel. Man sollte es als Unterrichtswelt für angehende Spieldesigner im Kurs "So macht man keine Shooter" nutzen.

Pro

solide Waffenauswahl
unkomplizierte Action
Nektar als Triebfeder...
überzeichnete Charaktere
Fahrzeuge...
stabiler Online-Modus
minimale Ladezeiten
saubere Akustik

Kontra

schwache Texturen
technisch altbacken- ... die aber zu einem Gimmick verkommt
magere Flammeneffekte
... deren Physik nicht überzeugt
grenzdebile KI
unbalancierte Online-Duelle

Wertung

PlayStation3

Inhaltlich solider Shooter mit vielen verschenkten Ideen und schwacher Technik.

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