Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 23
Mittwoch, 06.06.2018

Spielen an der Oberfläche


Da hinten ist es schon wieder: Der Schrank, die Kiste, die Truhe - alles glänzt, also nix wie hin! In den ersten Stunden habe ich mich noch gewehrt. Aber jetzt grase ich alles stoisch ab, was blinkt. Ich jogge durch den Raum und drücke bei jedem Glitzern X, damit die Beute in meinem Inventar landet. Eigentlich verhalte ich mich wie in einem Arcade-Racer für Kleinkinder, bei dem man nahezu ohne Speed bunte Ziele ansteuern muss, ohne dass einem was passieren kann...

...dabei befinde ich mich in einem Action-Rollenspiel namens Vampyr. Im London des Jahres 1918 in einem Herrenhaus, in dem ein Geheimbund von Vampiren das Sagen hat. Einer hat mich zunächst grimmig durch einen Sichtschlitz begutachtet, bevor er mir widerwillig mit seinen kalten Augen die Tür öffnete - sein Meister will mich sehen. Kaum mache ich die ersten Schritte, sehe ich überall Leichen. Der untote Blutsauger in Schwarz steht an der Treppe und schaut mich misstrauisch an. Laut der Story sowie dieser Szene kann ich nicht sicher sein, ob ich gleich angegriffen werde!

Aber da hinten blinkt ein Schrank, direkt hinter dem Vampir. Und etwas weiter weg im Saal sehe ich auch schon was glitzern. Und weil ich das seit Stunden so machen kann, mach ich weiter. Also jogge ich locker zu diesem Vampir, öffne wie ein dreister Dieb den Schrank hinter ihm, bevor ich überall im ganzen Erdgeschoss alles abgreife, was ich kriegen kann. Hey, da ist ein verschlossener Keller? Irgendwo sacke ich den passenden Schlüssel ein, schließe ihn auf und entdecke eine geheime Notiz über diesen Geheimbund. Ach so: Ich muss ja noch zum Hausherren! Ganz ruhig: Erstmal den zweiten Stock plündern...

Jeder Pen&Paper-Rollenspielleiter würde von seiner Gruppe gelyncht werden, wenn er diesen Bruch der Glaubwürdigkeit zulassen würde, der die Immersion sofort zerstört. Und Dontnod lässt ein potenziell gutes Abenteuer in diesen Situationen verdammt schlecht aussehen. Moment: Immersion ist ein nichtssagender Begriff. Viel schöner ist das Eintauchen. Oder noch besser: das Abtauchen. Das beschreibt zumindest mein Erlebnis beim Spielen von fesselnden Abenteuern wunderbar. Da bewege ich mich wie ein Taucher vorsichtig, schaue mich um und erwarte eine Gefahr oder Schätze im Verborgenen.

In der Szene oben wurde genau dieses Spannung durch die Story aufgebaut und von der primitiven Spielmechanik konterkariert. Noch schlimmer: Das auf Crafting fokussierte Spieldesign konditioniert, nein nötigt mich sogar, alles robotisch einzusacken. Wer immer das bei Dontnod oder Focus Interactive durchgewunken hat, sollte künftig nur noch Mobile Games entwickeln dürfen. Beute und Bastelei sind natürlich nicht per se schlecht - aber ein God of War, ja selbst ein The Last of Us konnte eher trotz statt aufgrund dieser Mechanik begeistern, die in viel zu vielen Spielen mittlerweile zum Standard gehört. Ich kann Zutaten und Rohstoffe, Arbeitstische und Labore, nicht mehr sehen.

Die maritime Metapher ist auch ganz gut geeignet, um zu verdeutlichen, auf welcher Ebene manche Abenteuer dahin plätschern, die auf der einen Seite eine glaubwürdige Geschichte und Welt inszenieren wollen, aber sich gleichzeitig der All-you-can-grab-Mentalität bis ins Extrem verschreiben. Man treibt als Spieler nur wie Holz an der Oberfläche, wird nicht mit in die Tiefe gezogen. Denn schon beim Schwimmen kann man ja genau erkennen, was sich auf dem Grund verbirgt. Statt einer Dunkelheit mit schemenhaften Bewegungen erkennt man eine hell ausgeleuchtete Leere, in der Vampire nicht beißen und Spiele zerbrechen.

Also: Kann mal einer dieses Glitzern abschalten?

Jörg Luibl
Chefredakteur

Mehr dazu auch im Video-Epilog zu Vampyr.

 

Kommentare

Zachkariio schrieb am
Astorek86 hat geschrieben: ?01.07.2018 09:57
Zachkariio hat geschrieben: ?12.06.2018 22:49Oder die Elder Scrolls-Lösung: Du wirst in dem besser, was du oft machst. Super logisch und dein Spielstil passrt immer zu dem was du levelst, ist wenn man es manuell macht nicht gegeben, so kannst du in Diablo nie zaubern aber unter der Haube der Merlin sein.
Dieser Aspekt der Elder Scrolls kann ich nicht genug loben.
Wobei dieser Aspekt aber auch seine eigenen Nachteile hat. Ich erinnere mich da an Dungeon Master, wo es eine valide Methode war, mehrere Minuten lang gegen eine Wand zu zaubern und seinen Zauberskill zu erhöhen... Oder gegen Wände zu schlagen, um seine Stärke zu erhöhen etc...
Bei den "Pit of Death"-Spielen wurde das Ganze auch etwas frustig umgesetzt: Nach jedem Levelup kann man Skillpunkte verteilen. Skills, die man während des vorigen Levels einmal benutzt hat, kosten beim Upgrade nur die Hälfte. Was dazu führte, dass nach jedem Levelup die Waffe gewechselt wurde, um beim bevorstehenden Levelup ja überall die Vergünstigung zu haben...
Ne, ich bin ehrlichgesagt kein Fan dieser Spielmechanik^^.
Ja, ich weiß die Antwort kommt spät, bin nicht so oft eingeloggt. :)
Natürlich kann man alles schlecht implementieren. Stell dir mal vor jeden Schlag den man mit einer Waffe macht, verletzt irgend einen Gegner im Level, egal wo dieser steht. Sofern man bei dem Elder Scrolls System nur die Treffer aufleveln die Gegner treffen/töten ist es ein faires und logisches System.
Sofern man überhaupt ein System zum aufleveln benötigt, das war mal schön, mittlerweile nimmt es aber Überhand, da es in gefühlt jedem Spiel vorkommt. Die Gründe sind klar, es führt in der Theorie dazu, dass man länger am Spiel hält, da es immer neue Mechaniken/Möglichkeiten verspricht und die Spielweise individualisieren kann und wir alle wissen ja, heutzutage ist es am wichtigste wiiie verdammt individuell und einzigartig man ist, selbst im Spiel. Bei Zelda war das noch ein Teil der Erzählung, da es...
mindfaQ schrieb am
Mich stört die ganze Sammelei unheimlich. In RPGs mixe ich mir üblicherweise keine Tränke oder Mahlzeiten zusammen, Craften umgehe ich wenn möglich. Nein, ich will nicht irgendwelchen Müll von der Straße konsumieren um kurzzeitig einen Charakterwert zu verbessern. Das ist ein bisschen wie ein Hamsterrad, in dem ich nicht meine Runden drehen will, weil es mich nicht bereichert.
Veldrin schrieb am
Warum muss der Charakter sich denn überhaupt immer weiterentwickeln? Das bringt doch nur Balanceprobleme. Gäbe es gar keine Progression wären Spiele auch besser gebalanct.
Astorek86 schrieb am
Zachkariio hat geschrieben: ?12.06.2018 22:49Oder die Elder Scrolls-Lösung: Du wirst in dem besser, was du oft machst. Super logisch und dein Spielstil passrt immer zu dem was du levelst, ist wenn man es manuell macht nicht gegeben, so kannst du in Diablo nie zaubern aber unter der Haube der Merlin sein.
Dieser Aspekt der Elder Scrolls kann ich nicht genug loben.
Wobei dieser Aspekt aber auch seine eigenen Nachteile hat. Ich erinnere mich da an Dungeon Master, wo es eine valide Methode war, mehrere Minuten lang gegen eine Wand zu zaubern und seinen Zauberskill zu erhöhen... Oder gegen Wände zu schlagen, um seine Stärke zu erhöhen etc...
Bei den "Pit of Death"-Spielen wurde das Ganze auch etwas frustig umgesetzt: Nach jedem Levelup kann man Skillpunkte verteilen. Skills, die man während des vorigen Levels einmal benutzt hat, kosten beim Upgrade nur die Hälfte. Was dazu führte, dass nach jedem Levelup die Waffe gewechselt wurde, um beim bevorstehenden Levelup ja überall die Vergünstigung zu haben...
Ne, ich bin ehrlichgesagt kein Fan dieser Spielmechanik^^.
Veldrin schrieb am
@ChrisJumper
Das kann gut sein. So Gameplay wie ich es mag ist wohl wirklich schwerer zu implementieren. Aber es wäre möglich, wenn man sich wieder darauf konzentriert und dann eben nicht 200+ Stunden Spielspaß mit hunderttausend Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, sondenr eben ein Gameplay auf das sich konzentriert wird, wo man ein Leveldesign drumrum schneidert und eine Story vielleicht noch schön einbettet.
Man bräuchte halt vor allem Mehraufwand beim Implementieren verschiedener Schwierigkeitsgrade, damit es auch möglichst bei jedem funktionieren kann.
Das ist ja bei Horrorspielen auch so. Wenn der Gegner zu leicht ist, dann ist er nicht mehr bedrohlich, nicht mehr wirklich gruselig. Wenn der Gegner aber zu schwer ist, dann nutzt sich die Bedrohlichkeit ab, nach jedem virtuellen Tod. Also brauch man die perfekte Balance zwischen nicht zu leicht und nicht zu schwer um den Bedrohlichkeitsgrad und der Gedanke, dass man jeden Moment sterben könnte, konstant aufrechtzuerhalten. Das ist sicherlich auch viel Aufwand, wenn man es richtig implementieren möchte.
Vielleicht ist das ein Grund warum einige Horrorspiele vermehrt auf Jumpscares setzen, weil damit künstlich Bedrohung verstärkt oder Grusel erzeugt werden kann. was rein mit einem guten Schwierigkeitsgrad, Gameplay und Gegnerdesign deutlich schwerer umzusetzen ist, da ja auch wie von dir schon gesagt, jeder Spieler andere Vorkenntnisse, Reaktionszeiten usw hat.
Ich bin mir da recht sicher. Die Jumpscares sind das Gegenstück zu den eingespielten Lachern bei Comedy-Sitcoms und Co. Guten Humor (in welcher Form auch immer) einzubauen ist halt schwierig und wenn was halblustig ist, füg nen Konservenlacher hinzu und es wird schon lustiger.
Und so kommt mir das mit aufgesetzten RPG-Mechaniken auch vor. Wenn man z.B. bei Spielen Charisma hochlevelt um die Charismadialogoptionen auszuwählen, statt generell Dialoge anspruchsvoller zu gestalten und es einem weniger ersichtlich zu machen elche Antwort jetzt aus persönlicher...
schrieb am