Jörg Luibl
Ein Wunschpunsch 2008Eine Kolumne von Jörg Luibl, 09.01.2008
Das Jahr ist noch so herrlich jung, die wilden Tage rumoren noch in den Knochen. Egal ob Gerstmanngate-Nachwehen, US-Präsidentschaftswahl, Bayern-Trainersuche oder Erziehungslager für Jugendliche - alle kommen gerade erst so langsam in Gang. Das Schlemmen, Saufen, Schenken und Zocken hat international Spuren hinterlassen. Selbst McDonalds warnt vor Fettleibigkeit...

Dazu der ganze Schlaf, die laute Musik und all die nächtlichen Opfer an die Lese- und Spielegötter. Habt ihr nach der herrlichen Völlerei auch euer schlechtes Gewissen wiederbelebt und euch gut was vorgemacht? Also ganze Sätze? So etwas wie "Ich reg mich nicht mehr über Wertungen auf!", "Ich esse keine Tiere mehr!", "Ich spare ganz viel Strom!" oder "Ich lese nie mehr PC Games!"?

Macht nix. So geht uns doch allen. Der grau verschleierte Januar ist genau die richtige Zeit, um sich naiven Wünschen hinzugeben und sich ein Jahr vorzustellen, wie es sein müsste. So ein ganz tolles 2008. Nicht dass das letzte zu verachten gewesen wäre - keineswegs! Alleine Super Mario Galaxy , Bioshock und Hotel Dusk haben mich richtig schwach gemacht. Trotzdem würde man gerne mal zum Zauberlöffel greifen, damit herumfuchteln und dazu pathetisch in die Zukunft nuscheln. So ein bisschen wie Gellers Uri gestern.

Gerade als Spieler hat man Lust auf so einen hochprozentigen Wunschpunsch. Man könnte an eine Jahrespause für alle Sportspiele denken - egal ob Fußball, Eishockey, Manager oder Basketball. Meinetwegen auch an eine Zweijahrespause für das Thema Zweiter Weltkrieg oder an einen Herstellungsstopp für weitere Online-Rollenspiele. Oder an Bewährungsstrafen für Pressemitteilungen mit harten Fakten wie "revolutionäres Spielerlebnis", "unglaubliche 3D-Grafik", "für Fans, Einsteiger und eSportler" und "innovatives Gameplay".

Also her mit dem glückselig machenden Gesöff, ich will mir einen Cocktail mixen! Wo fange ich an? Bei den Spielen natürlich. Ich will endlich die Ankündigung zum Nachfolger von Shadow of the Colossus auf PS3 feiern. Das wäre in der Tat die schönste News des Jahres - also schon mal vorsorglich Prost! Und ich will endlich einen frischen Tropfen von Heavy Rain schmecken, eine klitzekleine französische Trailerprobe aus der Zukunft der emotionalen Spieldarstellung. Quantic Dream, haltet euch ran!

Was würde mich dieses Jahr noch nervös machen? Natürlich intensives Schleichen durch ein Metal Gear Solid 4 , das all die süßen Versprechungen eines verstörenden Hightech-Krieges halten kann - da denke ich auch an Killzone 2 . Wird das vielleicht das Jahr der PS3, immerhin startet auch PlayStation Home im Frühling? Dazu ein verschwörerischer Blick auf Deus Ex 3 , erste hitzige Florettstunden in Soul Calibur IV , kreatives Basteln in LittleBigPlanet und als Freund Clausewitz'scher Strategien freue ich mich ganz besonders auf den pompösen Aufmarsch in Empire: Total War .

Und sonst? Moment mal, kurz nachdenken. Ach, da war ja noch etwas richtig Interessantes, aber nahezu Unbekanntes. Ich will endlich mehr über das herrlich mysteriöse Alan Wake erfahren. Ich verehre Remedy seit Max Payne. Es ist für mich immer noch das beste europäische Studio. Den Finnen traue ich zu, dass sie in der Abgeschiedenheit des Nordens, unter Microsofts flauschiger Obhut, tatsächlich einen Thriller von ganz neuem, erwachsenem Format erschaffen können.

Apropos ab 18: Auch im Bereich der Gewalt muss sich was tun. Die steckt doch noch in Kinderschuhen. Mal ehrlich, bisher sind die dramaturgischen Möglichkeiten noch gar nicht ausgeschöpft! Seit Jahren nur Headshots, Bloodlust, Bodycounts - also all das, was blutig an der Oberfläche schwimmt. Natürlich, jeder braucht mal einen Waffenporno. Aber was ist mit der tieferen Faszination, die zur Reflektion führen kann? Also mit den sicht-, spür- und erfahrbaren Konsequenzen von Gewalt? Mit Angst, Abscheu und Ablehnung?

Peter Molyneux und Hideo Kojima wollen da aktiv werden. Der innovative Brite verspricht das jedenfalls. Schon wieder. In Fable 2 soll es eine ganz neue Form der virtuellen Prügel geben, die an der Eitelkeit des Helden kratzt. Ihr sollt als Spieler nicht einfach sterben und auf Knopfdruck wieder anfangen, sondern die Wahl haben: Direkt mit vollem Erfahrungspunkteverlust zurück in die Action springen oder mit der Sicherheit des Aufstiegs im Rücken zusehen, wie ihr noch am Boden liegend weiter von Feinden geschlagen, getreten und verletzt werdet. Die Bilder sollen euer Ego treffen, die Narben sollen bei Bewohnern für Abneigung sorgen...

Auch der geniale Japaner will die Spuren der Gewalt deutlicher machen:

"Wenn du den Schmerz nicht siehst, dann wirst du nicht verstehen, was du gerade getan hast; du wirst die Schlachten hinter dich bringen, ohne jemals Verantwortung für deine Handlungen übernommen zu haben. Ich möchte, dass sie [Spieler] über die Natur der Gewalt und des Kriegs nachdenken - auch wenn es wenn es nur ein kleines bisschen ist."

Molyneux' Prügelfantasien, Kojimas Schmerzintensivierung - da haben wir im freien Spieleparadies Deutschland doch Verständnis für, oder? Natürlich haben wir das! Gerade jetzt, wo der gemeingefährliche jugendliche Mob direkt aus einer Münchner S-Bahn in den Spiegel gepoltert ist: "Die gefährlichste Spezies der Welt" ist da! Müssen wir uns Sorgen machen? Natürlich nicht! Wenn etwas den Deutschen noch weniger Angst macht als Holland im Finale der EM, dann ist es sicher die virtuelle Gewalt. Da gehen wir ganz entspannt mit um.

Und damit wäre ich bei einem weiteren Wunschpunkt für 2008: Der Gesetzgeber soll endlich einen Deckel auf den in allen Belangen ausreichenden, bereits über alle internationalen Standards hinaus gehenden, Spiele grotesk verstümmelnden und Erwachsene bis zum Importzwang nötigenden Jugendschutz setzen. Dann kann das Pfeiffer'sche Kriminalisierungsfieber endlich in der Bedeutungslosigkeit verdampfen, anstatt zu einer neuen Prüfbehörde mit Zensurscheitel zu mutieren. Also kommt mal zum juristischen Punkt!

Der Staat darf nicht noch mehr verbieten, er muss noch mehr fördern - dann entstehen vielleicht auch hierzulande wieder Spiele, die nicht nur ab und zu mal international mithalten, sondern über die Grenzen begeistern können. Der Kulturpreis für Spiele, der 2008 das erste Mal mit 300.000 Euro ausgelobt wird, ist ein richtiger, ein lobenswerter Schritt. Aber auch er hat einen kleinen, typisch deutschen Haken: Prämiert werden "qualitativ hochwertige sowie kulturell und pädagogisch (sic!) wertvolle" Produktionen.

Sind Dostojewski, Dante und Dali pädagogisch wertvoll? Sind Metroid Prime 3 , Crysis und The Darkness pädagogisch wertvoll? Pädagogik domestiziert, nur Genie kreiert. Scheinbar hat der Gesetzgeber den Unterschied zwischen einem geilen Rock-Konzert und dem Gedudel einer ambitionierten Lehrer-Band noch nicht erlebt. Angelockt werden mit so einem Köder gutmenschliche Gefälligkeitsspiele für die ganze Familie. Die können auch Spaß machen, die sind auch wichtig, aber die macht Nintendo. Außerdem ist Deutschland schon voll von Pseudo-Edutainment und Lernspielen, die verzweifelt Dr. Kawashima und Nintendogs nachäffen.

Ich wünsche mir für 2008 keine Innovationen - das ist alles Schall und Rauch, bei dem am Ende Wii Fitness rauskommt. Alles baut auf Altem auf. Aber ich wünsche mir innerhalb der bekannten Spielmechanismen mehr Mut zur Vision, mehr Wildheit und mehr Kreativität. Genau so entstehen herausragende Titel wie Super Mario Galaxy oder Bioshock, die beide auf alten Fundamenten ruhen und darauf ein neues Erlebnis bauen. Vor allem No More Heroes , Brütal Legend  und Alan Wake lassen mich da hoffen.

Die EM? Gewinnen wir natürlich. Und Rollenspiele? Auch wenn Dragon Age und Fallout 3 jucken: Da halte ich mich bei aller Genreliebe mit Prognosen zurück. Die Ernüchterung folgt hier zu schnell der Euphorie. Und meist rennt noch eine Horde Bugs hinterher. Last but not least wünsche ich jedoch als Fantasyfan Herrn George R. R. Martin die allerbeste Gesundheit, damit er sein verdammt geniales Epos um Winterfell endlich weiter schreibt. Die Warterei bringt mich noch um. Und irgendwann muss ja mal ein Spiel draus werden...

Das war mein Wunschpunsch - was mixt ihr in euren? Auf ein unterhaltsames Spielejahr 2008!


Jörg Luibl
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