Jörg Luibl
Zweiter Weltkrieg-MüdigkeitEine Kolumne von Jörg Luibl, 28.06.2002
So langsam geht mir die thematische Massenausschlachtung des Zweiten Weltkriegs auf die Nerven - langweilig, ausgelutscht und innovationslos. Nahezu alle Spiele-Genres werden derzeit mit „WW2-Szenarien“ überflutet. Ein kleiner Auszug aktueller und kommender Titel:

Frontline Attack: War over Europe (Eidos) , Commandos 3 (Eidos), Blitzkrieg (CDV), Sudden Strike 2 (CDV), Medal of Honor Frontline (EA), Battlefield 1942 (EA), Operation Blockade (Infogrames), Prisoner of War (Codemasters), World War II: Frontline Command (Codemasters), War Train (Asylum Games), Stalingrad (4x Studios), Silent Storm (Nival Interactive)…

Dieser Abschnitt der Weltgeschichte mutierte in der letzten Zeit zum virtuellen Mallorca der Spielewelt - einmal da gewesen, hinterlassen die Ballermann-Orgien allerdings nur ein müdes Gähnen. Trotzdem tummeln sich Entwickler und Publisher immer wieder gern auf der historischen Kriegs-Insel und übertreffen sich gegenseitig mit abgehalfterten Storys: GI rettet Welt vor bösen Deutschen, Alliierte kämpfen gegen Deutsche, Russen kämpfen gegen Deutsche, eine Spezialeinheit infiltriert deutsche Stützpunkte, oder alle kämpfen gegen alle…wie spannend.

Wo bleibt da die erzählerische und thematische Kreativität? Und wenn es denn schon Krieg sein muss - es gab Tausende von interessanten Auseinandersetzungen! Wie viel historisches Neuland da teilweise noch brach liegt: die Varusschlacht, die Völkerwanderung, die Sachsenkriege, die Kreuzzüge, der 30-jährige Krieg, der 100-jährige Krieg, die englischen Rosenkriege, der 7-jährige Krieg, Napoleons Feldzüge, der Boxeraufstand, die Indianerkriege, die Burenkriege…

Allerdings sind hier die Feindbilder nicht so einfach zu verpacken, die Hintergründe sind komplexer und man müsste etwas mehr recherchieren. Beim Zweiten Weltkrieg reicht alleine die Erwähnung und schon ziehen bei jedem Zocker die klar definierten ideologischen Fronten auf. Film und Kino haben die Klischee-behaftete Einbahnstraße zum deutschen Erzbösewicht schon längst verlassen und gehen weitaus differenzierter an das Thema ran.

Vielleicht täte dem Szenario ein Perspektivwechsel ganz gut: Mal in die Haut eines Wehrmachtssoldaten schlüpfen, Stauffenberg beim Hitler-Attentat helfen oder einen deutschen Kriegsgefangenen auf der Flucht begleiten? Natürlich nicht als Fließband-Shooter, sondern als Action-Adventure à la Dark Project, dazu Rollenspielelemente und eine Story, die mit so manchem Hollywood-Klischee aufräumt. Dann würde ich vielleicht die virtuelle Zeitreise wagen…

Jörg Luibl
4P| Textchef
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