Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 34
Montag, 22.08.2016

Die schwächste Gamescom seit Bestehen


Die Pforten sind geschlossen, die Bilanzen werden gezogen: 345.000 Besucher aus 97 Ländern tummelten sich am Rhein. Das ist kein neuer Rekord, aber Stagnation auf sehr hohem und überaus lukrativem Niveau. Die Hallen waren trotz des strengeren Sicherheitskonzeptes und einiger Sam Fishers ohne Waffe rappelvoll. Die Veranstalter sind zufrieden und verkünden stolz:

"Die gamescom hat in diesem Jahr eindrucksvoll bestätigt, dass sie nicht einfach nur eine Videospiel-Messe ist, sondern ein 360-Grad-Event zur Zukunft des digitalen Entertainments. (...) Das Wachstum im Bereich der nationalen und vor allem internationalen Aussteller unterstreicht die hohe internationale Relevanz der gamescom als wichtigste Business-Plattform der europäischen Games-Branche."

Moment - war das dieselbe Messe, über die wir berichtet haben? Aus journalistischer Sicht sieht die Bilanz ganz anders aus: Diese Gamescom 2016 war nicht nur eine Enttäuschung, sondern auch die schwächste seit ihrem Bestehen. Noch nie gab es aus Pressesicht so wenig interessante Themen gerade was die Zukunft der Spielebranche betrifft. Von internationaler Relevanz ganz zu schweigen.

Wo waren PlayStation 4 Neo oder Nintendo NX? Immerhin wird Sony am 7. September in New York etwas Hochpreisiges mit vielen Teraflops enthüllen, quasi eine PS4 auf Speed, die aber parallel zur alten existieren soll, ohne die "Community zu spalten". Ach so, da soll übrigens auch eine schlanke Version der PlayStation 4 präsentiert werden. Was erfuhr man über diese neue Hardware von Sony? Nichts. Dann muss sie ja recht überflüssig sein.

Apropos Zukunft des digitalen Entertainments und Köln: Nintendo NX was not in the house! Im März kommt nach der enttäuschenden Wii U eine neue Konsole, die unheimlich wichtig für die Japaner und den Wettbewerb ist. Angeblich etwas Tragbares mit abnehmbaren Controllern, die Smartphone-Nutzer ansprechen soll. Ubisoft ist übrigens schon sehr angetan davon, hat einen "großartigen Eindruck", und Analysten prophezeien Erfolg bei "Unter 12-jährigen und Familien". Was erfuhr man abseits dieser gezielt platzierten PR in Köln? Nichts.

Weder Sony noch Nintendo sehen in diesem deutschen Event die nötige Relevanz für Hardware-Vorstellungen - es gab ja nicht einmal Pressekonferenzen der großen Konsolenhersteller. Köln und Visionen passt scheinbar nicht zusammen. Natürlich geht es im Hintergrund um Marketingstrategien: Sony will vermeiden, dass PlayStation VR und PlayStation 4 Neo vom Verbraucher vielleicht als recht teure Einheit betrachtet werden, nennt das ein "Missverständnis" - ganz einfach, weil das Weihnachtsgeschäft auf Umsatz mit VR innerhalb der installierten Basis aktueller Konsolen ausgerichtet ist.

Dass Project Scorpio in Köln noch keine Rolle spielte, obwohl diese Very-Premium-High-End-Konsole die Dominanz der PlayStation 4 brechen soll, ist angesichts des Release Ende 2017 vielleicht verständlich. Vielleicht weiß Microsoft aber selbst noch nicht, was sie da eigentlich für wen entwickeln, schließlich wird das "Gaming beyond console generations" - also doch ein PC! Aber weg von dem diffusen Hardwaregefasel, hin zur spannenden Software: Wo waren die großen Neuankündigungen? Ja wo? Es gab keine Neuankündigung auf höchstem internationalen Niveau. Metal Gear Survive klingt zwar so, ist aber nur Nachschlag und wurde eher ausgepfiffen als beklatscht.

Festhalten, hier kommen die interessantesten neuen Titel: The Sexy Brutale, Wilson's Heart, The Unspoken, im weitesten Sinne auch das bereits bekannte Little Nightmares.  Also hat diese Gamescom 2016 zumindest für die kleinen Spiele und Independent-Projekte einen Stellenwert, zumal es mit der GDC Europe und der Respawn gleich zwei Konferenzen inkl. Vorträge gibt. Aber selbst diese sind kein Alleinstellungsmerkmal. Und im Vergleich mit früheren Jahren oder gar der E3 sind diese Neuankündigungen ein Witz.

Was für uns wesentlich ernüchternder ist: Viele große Publisher nutzen die Kölner Veranstaltung nur noch, um Material aus Los Angeles aufzuwärmen oder tatsächlich bekannte (!) Trailer zu zeigen. Wir mussten noch nie so oft überlegen, ob wir überhaupt eine Vorschau anbieten - so viel wurde noch nie recycelt. Natürlich ist die Nähe zwischen E3 im Juni und Gamescom im August schon immer problematisch gewesen: Wie soll man der Presse in dieser kurzen Zeit etwas Neues anbieten? Aber in der Vergangenheit hatte man sich zumindest bemüht, andere Spielmodi oder Level zu zeigen. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die klassischen Messen und konventionellen Medien gar nicht mehr so wichtig sind, um Titel bekannt zu machen - ein Twitterpost zu Red Dead Redemption 2 ist günstiger und effektiver als eine Ausstellungsfläche.

Für den Privatzocker war das sicher ein toller Event voller Spiele, Cosplayer, eSport und YouTube-Stars, bei dem man endlich mal selbst Virtual Reality erleben konnte. Zwar fragen wir uns, warum sich viele diese ewige Warterei antun, um nur ein paar Minuten zu zocken. Aber die Faszination an Gemeinschaft, Rahmenprogramm & Co sowie das verbindende Element des digitalen Hobbys darf man icht unterschätzen, wie unsere Video-Reportage zeigt.

In dieser Art wird die Gamescom in Köln weiter an Festival-Charakter gewinnen und für Spieler gut funktionieren, aber für Fachpresse hat sie dieses Jahr stark an Relevanz verloren. Die interessantesten Themen werden bald in New York und Tokyo, danach wie immer in Los Angeles präsentiert. Und auch die Ende Oktober deutlich besser positionierte Paris Games Week könnte an Stellenwert gewinnen.


Jörg Luibl

Chefredakteur

 

Kommentare

Mr:Marshmallow schrieb am
Kann dem Artikel auch im Großen und Ganzen zustimmen, aber das liegt ja wohl in der Natur der Sache!
Wann waren Menschen aus unserer liebgewonnen Nation jemals dazu in der Lage
etwas das sie nicht erfunden habe, im großen Stil zu betreiben, oder gar zu bewerben?
Dazu gehört mit Sicherheit nicht eine von den Nordamerikanern und Japanern
dominierte Videospielindustrie, deren Umsatz sicherlich der meiste Respekt gezollt wird, wenn überhaupt.
Eine Euphorie ohne Authentizität?
Ohne Reinheitsgebot, dass das Proodukt auch aus garantiert deutschen Hir..Händen stammt?
Jeder deutsche Entwickler wird ohne Wenn und Aber sofort in den nationsbejahenden Konformitätszirkus getrieben.
Echte Begeisterung ohne die Entwickler gleich als Webetrommel der maßgeblichen Nation mißbrauchen zu können?
Ausgeschlossen, es wird keinen historischen Fehltritt in der Videospielindustrie geben.
Klingt wie Politik, die hier ja auch kräftig mitmischt.
In der Schule pochen die den Demagogen hingewandten Pädagogen
seit jeher noch fächerübergreifend auf deutsche Geschichte, und unverblümte Aufarbeitungsmoral,
um jegliche unpässlichen Wunden durch Geschichtsanomalien total auszumerzen.
Wie passt das zu Call of Duty, Battlefield und der andauernden Gewaltdiskussion? Überhaupt nicht.
Videospiele in unserer moralisch gewachsenen Gesellschaft?
Von Dumm wie Egomanisch, bis hin zu händeringenden Klapsmühlen-Geständnissen bleibt hier nichts aus.
Der eigentliche Beitrag zur Videospielindustrie reduziert sich so auf eine papageienhafte Beteiligung,
nachplappern und so tun als wärs total geil, was die Großen tun. Das setzt sich fort.
Die Entwickler merken das, sind brüskiert, die Teens merken das, sind frustriert,
die anderen arrangieren sich mit der Realität,
oder suchen sich ein passenderes , erwachseneres Hobby. :Häschen:
Pioneer82 schrieb am
Denke Sony und Nintendo heben sich ihre sachen für die heimische Messe auf. TGS ist ja bald.
cosmo76 schrieb am
Ich würde nicht sagen, das man die diesjährige Gamescom als Fingerzeig für die Zukunft werten sollte. DIe Branche befindet sich zur Zeit im Umbruch, Sony, MS und Nindento werkeln an neuer Hardware, VR läuft gerade erst an. Es gibt im Moment einfach nichts zu zeigen, weil nichts Vorzeigbares da ist. Einen großen Titel zu entwickeln dauert immer länger, und die Publisher haben auch ihre Strategie geändert. Anstatt irgentwelches frühes Spielmaterial zu präsentieren, um sich dann den Shitstorm anzuhören, dass das fertige Spiel ganz anders ausschaut, zeigt man Material nun kurz vor Release. Nächstes Jahr kann es ganz anders ausschauen, dieses Jahr ist einfach ein maues Jahr weil vieles einfach in der Entwicklung ist, bzw einige Reihen ja gerade einen neuen Teil spendiert bekommen haben.
Alandarkworld schrieb am
Ich muss sagen mein Eindruck deckt sich mit Jörgs ziemlich genau. Während auf der heurigen E3 - die ich auch ziemlich schwach fand - zumindest ein neues God of War sowie das (damals bereits bekannte) neue Zelda gezeigt wurde, hatte die Gamescom heuer für mich absolut NICHTS zu bieten. Sicher, community und Gemeinschaftsgefühl und neue Titel anzocken und so weiter, meinetwegen, aber als jemand, der nur remote das verfolgt was in der Presse steht und darauf wartet, dass eine starke neue Ankündigung kommt, wurde ich herb enttäuscht, gefühlt sogar noch etwas mehr als die Jahre davor.
Ziggy Stardust schrieb am
Europa spielt für Sony einfach keine Rolle mehr. Selbst die 50Hz-Problematik bei der Emulation von PS2-Spielen auf der PS4 haben sie immer noch nicht behoben. Dabei wäre es so einfach, zumindest bei Spielen die bereits damals 60Hz unterstützt haben. In Deutschland haben sie immer noch kein eigenes Spielestudio.
Der Stand von Microsoft war sehr klein und verschämt am Ende der Halle versteckt. Scheinbar haben sie das Thema Xbox One in Europa schon abgehakt.
Aus Nintendo werde ich nicht schlau. Auf der PAX in Seattle und der Tokyo Game Show wollen sie ja ebenfalls keine anspielbaren NX präsentieren. Soll die Konsole wirklich schon im März erscheinen? Glaube ich immer weniger dran. November 2017 klingt realistischer.
schrieb am