Special: VRHQ Hamburg (Events)

von Jan Wöbbeking



Events
Entwickler: VRHQ GmbH
Publisher: VRHQ GmbH
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Project Paranoid

Nach all den kurzen Stippvisiten tauchten wir in der Arcade im Erdgeschoss endlich ausgiebig in eine Augmented-Reality-Erfahrung ab. Bei Project Paranoid von Phoenix Reality handelt es sich laut Marketing & Tech Artist Aljosha Petrovic um den weltweit ersten Escape Room, der mit Hilfe von Augmented-Reality-Brillen betrieben wird. Vorher habe es zwar schon große AR-Erfahrungen wie etwa den Unreal Garden gegeben. Doch im Bereich kooperativer AR-Adventures sei sein Studio ein Pionier. „Mixed Reality Escape Game“ lautet der offizielle Begriff für die rund einstündige Erfahrung für bis zu vier kooperative Teilnehmer, mit dem sich das Unternehmen an Betreiber von Escape Rooms und anderen Freizeitstätten richtet. Nähere Infos zum Besuch der Erfahrung in Hamburg gibt es hier, Timeslots lassen sich auf dieser Webseite buchen. Als ich sie ausprobierte, waren aufgrund der Pandemie-Vorschriften übrigens nur zwei Teilnehmer gleichzeitig erlaubt.

Fürs Probespiel streifte ich mir zunächst die AR-Brille Magic Leap One über und clippte einen verkabelten kreisrunden Empfänger an die Hosentasche. Als ich in den rechteckigen, 25-Quadratemeter großen Raum aus weißen Wänden schritt, wurde mir klar, dass meine Adventure-Welt nicht nur aus Computer-Bildern besteht, die perspektivisch korrekt mit der realen Welt verbunden werden. Zusätzlich tauchen an den Wänden durch Projektoren (bzw. Projektion-Mapping) allerlei Bilder auf, die in die besuchten Zeitreisenkulissen eingebunden werden. Hier ein großer Ventilator an der Wand, dort ein paar Schaltkästen. Mitten hinein blendet die AR-Brille bedienbare Computer, Schränke mit beweglichen Schubladen und andere interaktive Objekte, die ich ähnlich wie in einem klassischen Adventure untersuche.

Zeitreise gegen den Klimawandel

Auf Fotos bleiben nur die Projektionen sichtbar. Beim Blick durch die AR-Brille sieht man dazwischen je nach Zeitalter allerlei manipulierbare Maschinen, Schränke und einen schwebenden KI-Begleiter.
Auf Fotos bleiben nur die Projektionen sichtbar. Beim Blick durch die AR-Brille sieht man dazwischen je nach Zeitalter allerlei manipulierbare Maschinen, Schränke und einen schwebenden KI-Begleiter.
Als Themen der professionell auf Deutsch vertonten Geschichte (Intro- und Outro-Sequenzen fehlten in der Beta noch) dienen Bedrohungen wie die Klimaerwärmung oder die künstliche Intelligenz. Sie werden allerdings vom Autor und Game Designer Wolfgang Walk satirisch verarbeitet – passend zur namensgebenden Paranoia über die Zukunft der Menschheit im Rahmen der Story. In der Rolle des Präsidenten und seiner Minister besitzt man eigentlich eine entscheidenden Vorteil gegenüber unserer künftigen Regierung der Gegenwart: Die „allwissende“ künstliche Intelligenz „CC“ steht schließlich kurz davor, mit Hilfe topmoderner Technologie einfach das Kohlendioxid aus der Atmosphäre filtern zu können. Nach unerwarteten Einsparungen des Fiananzministers müssen aber zunächst einmal eine Reihe von Rätseln gelöst werden, bevor die rettende Technik wahr werden kann. Es folgt ein Ritt durch die Entstehungsgeschichte der ersten Computer und KIs, um einige unvorhergesehene Programmfehler zu finden und zu beseitigen.

In der Praxis läuft das in Form einer Zeitreise ab, die mit ihren Rätseln ein wenig an klassische Point-and-Click-Adventures erinnert. Das Spielgefühl besitzt eine ganz eigene Atmosphäre. Ich fühlte mich z.B. bei weitem nicht so abgeschottet wie beim VR-Escape-Room HUXLEY 2: The Adventure Begins (zum Special). In diesem AR-Abenteuer wirkt alles ein wenig ruhiger, entschleunigter – weniger drängend. Dies liegt einerseits an der relativ leicht auf dem Schädel sitzenden AR-Brille. Ein weiterer Unterschied ist das schmale, mittige Sichtfeld der AR-Brille, das auf Anhieb negativ auffällt. Nur in diesem begrenzten Quadrat wird die Computergrafik perspektivisch korrekt in die Umwelt eingeblendet – ein Problem, mit dem noch fast alle AR-Headsets zu kämpfen haben. Zudem kam auch die Unity Engine nicht immer ganz mit, so dass es bei schnellen Kopfbewegungen schon einmal spürbar ruckelte. Das sprang mir als VR-Fan mit einer Vorliebe für hohe Bildraten natürlich sofort ins Auge. Laut Petrovic hat man sich aber trotzdem für Unity entschieden, weil darin mehr nützliche Schnittstellen für AR zur Verfügung stünden als etwa in der die Unreal Engine.

Faszinierend trotz AR-Kinderkrankheiten

Das kleine Team wendet sich mit seinem AR-Adventure vor allem an Betreiber von (VR)-Escape-Rooms (v.l.n.r.: Aljosha Petrovic, Davina Cochrane, Jan Lygnos).
Phoenix Reality wendet sich mit seinem AR-Adventure vor allem an Betreiber von Escape-Rooms (v.l.n.r.: Aljosha Petrovic, Davina Cochrane, Jan Lygnos; zum Zeitpunkt des Fotos bereits alle geimpft).
Als ich mich nach ein paar Minuten an die vielen Kinderkrankheiten der Technik gewöhnt hatte, überwog aber die Fazination am Entdecken. Allein schon die Kombination aus real sichtbaren Hintergründen und eingeblendeten Apparaten hat mich wie ein neugieriges Kind über das Spielfeld schreiten lassen. Zusätzlich haben sich die Entwickler zahlreiche Tricks ausgedacht. Die Erfahrung fand auf einer „multisensorischen“ Spielfläche mit Lightshow, Surround-Sound, Gerüchen und einigen Touch-Modulen statt, damit ich zumindest am Rand auch etwas Spürbares zu drücken hatte.

Irgendwann dachte ich intuitiv kaum noch über die Einzelheiten nach, aus denen sich die Illusion zusammensetzte. Stattdessen fokussierte ich meinen Blick auf die Bildmitte und spazierte durch den Raum, um manipulierbare Objekte per Bewegungssteuerung und einem Cursor zu greifen und zu untersuchen. Zwischendurch rief ich mein Inventar auf, was ebenfalls mit Hilfe des einfachen Bewegungs-Controllers mit Touchpad ablief. Hier ein paar Schubladen aufziehen, dort einen Datenträger herausnehmen, in den Computer einlegen und vom schwebenden KI-Begleiter analysieren lassen. Auch Fotos von wichtigen Details lassen sich auf Knopfdruck anfertigen. Sie hängen danach automatisch an der Wand. Nicht gerade eine intuitive Lösung, aber das Team musste ohnehin viel experimentieren, um die Aufmerksamkeit unterschiedlicher Testspieler in die passende Richtung zu lenken. Ein Beispiel für knifflige Entscheidungen der Entwickler ist das Handling aufgehobener Gegenstände: Sollen sie einfach in der Luft schweben bleiben, wenn der Spieler sie loslässt - oder zerstört das die Illusion? Das Team wollte Neulinge (was beim Thema AR-Brillen fast alle Teilnehmer sein dürften) allgemein nicht mit zu kniffligen Puzzles überfordern. Das langsame Erforschen der Kulisse spielt hier eine viel wichtigere Rolle als in klassischen Bildschirm-Abenteuern. Wer sich darauf einlässt, bekommt mit Project Paranoid einen noch etwas holprigen, aber faszinierenden Ausblick in die Zukunft von AR-Escape-Rooms.

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