Matthias: Die große Liebe Dreamcast
Ich habe mich in Videogames verguckt als sie noch Telespiele hießen – und so ziemlich das volle Programm mitgemacht. Auf dem Atari 2600 Junior liebte ich mein 32-in-1-Modul, auf dem C64 haderte ich mit einem tödlich langsamen Datasetten-Laufwerk. Beim Game-Boy-Start in Deutschland zählte ich neun Lenze und verzockte noch die erste Batterie-Ladung auf dem Parkplatz eines Augsburger Elektromarkts, während mein Vater beruflich in der Nähe zu tun hatte.
Es folgte das NES mit ewigen Lieblingen wie Snake Rattle N Roll, Nintendo World Cup und
Super Mario Bros. 3, dazu die ersten Gehversuche am PC, wo mich die Artillerie-Taktik Scorched Earth schwer beeindruckte. Und
Mortal Kombat, aber auf recht andere Art und Weise. Während PSone und N64 meine Kumpels verzückten, hockte ich vor allem am Computer – und daddelte
MDK,
Quake 2,
Commandos oder
Bleifuß. Nur fürs Splitscreen-Zocken im Freundeskreis waren die Konsolen besser –
GoldenEye 007 und Mario Kart 64 for life! Zwischendurch waren die alljährlichen Ausflüge in Italiens Spielhallen eine innig geliebte Tradition – ohne sie hätte ich
Metal Slug,
Golden Axe und
Time Crisis nie lieben gelernt.
In Matthias Kopf sah der Mantel von Lan Di immer so gut aus, im echten Leben machte erst die HD-Neuauflage Shenmue so knackscharf. Was für ein wunderbares Spiel!
Bevor es euch zu langweilig wird, folgt jetzt der Turning Point in meinem Zockerleben: Segas Dreamcast – das war meine Erweckungskonsole! Erst die verwandelte einen stets interessierten Zocker in einen Konsolen-Junkie. Wir zockten das japanische
Shenmue, um uns an der Grafik zu ergötzen, und entdeckten mit
Power Stone die neue Offenbarung im Prügelsektor – alles war aufregend, sah geil aus und beamte mich in die nächste Generation. Von da an wusste ich: Du musst beruflich irgendwas mit Videospielen machen! Ein Informatikstudium später war mir immerhin klar, dass ein Job auf Coder-Seite nicht die beste Karrierewahl sein würde. Zum Glück folgte darauf ein Volontariat beim Konsolenheft MAN!AC – der Rest ist Geschichte…
Alice: Mahlzeit in Burg Wolfenstein
In Gamer-Biografien liest man es eher seltener, aber meine erste große Leidenschaft war das Essen. Bis heute bereitet mir nichts größere Freude, als ein großer Teller handgemachter Pierogi, die mit einer Portion fettiger Zwiebeln perfektioniert wurden. In Retrospekt ist es für mich daher wenig verwunderlich, dass es die prallen Hühnerkeulen aus Wolfenstein 3D waren, die ich als erste Gaming-Erinnerung abgespeichert habe. 1992 war ich noch nicht mal in der Schule. Die „Mein Leben“-Rufe aus dem PC meines Vaters weckten jedoch dennoch meine Neugier, obwohl ich noch nicht so richtig verstand, wieso er auf aggressive Pixelmänner schoss.
Winner, Winner ... das Chicken Dinner bei Wolfenstein 3D gab es für Alice schon recht früh. Das 1994 beschlagnahmte Spiel wurde übrigens 2019 von der BPjM-Liste gestrichen und rehabilitiert.
Da ich mit sehr jungen Eltern gesegnet bin, die beide zocken, durfte ich trotz meines zarten Alters mitmachen. Waffen und Gegner interessierten mich jedoch kein Stück, ich hatte es auf die Geheimräume abgesehen. So wurde mir die wichtige Aufgabe übertragen, möglichst viele Schätze und Hühnchen-Gerichte zu finden, um die Spielfigur möglichst reich und wohl genährt zu halten. Die Freude, wenn sich eine der grauen Mauern plötzlich bewegte und sich dahinter ein besonders großer Raum mit Artefakten und natürlich Hühnchen-Menüs befand, war groß. Also liebe Spieleentwickler, bitte baut wieder mehr Geheimräume mit köstlichen Speisen in eure Spiele, gezeichnet, die 4-Jährige Alice
Neben dieser rührenden Geschichte waren meine ersten Gaming-Erfahrungen jedoch auch mit Frust verbunden. Denn Ende der 90er hatten wir einen riesengroßen Schrank mit PlayStation 1 Sicherheitskopien. Ich habe es geliebt mir die sorgfältig beklebten Label der Spiele anzuschauen und Titel wie "Spider" oder "Pandemonium" auszuprobieren. Jetzt zum blöden Teil: Erstens sollte ich niemandem davon erzählen, da Sicherheitskopien jetzt nicht unbedingt das Thema sind, mit dem man hausieren geht. Aber was noch viel schlimmer war: Es hätte sowieso keine Sau interessiert. In der kleinen niederrheinischen Vorstadt gab es etliche Jahre einfach keine Zocker in meiner Klasse (nein, auch nicht die Jungs). Erst mit dem Aufkommen der Shooter-Begeisterung Anfang der 2000er hörte ich endlich auch mal ein paar andere Gleichaltrige über das Thema sprechen.
Wieviele Klaviersaiten sind hier im Bild? Hitman 2: Silent Assassin gehört zu den frühen Favoriten von Alice.
Doch jetzt ergab sich ein neues Problem: Ich war ein Mädchen und wie ihr euch vorstellen könnt, hielt sich damals noch um einiges vehementer der Irrglaube, dass Mädchen nicht zocken. Und seien wir mal ehrlich, auf einer Lan mit 10 pubertierenden Jungen vom Niederrhein hätte ich mich wahrscheinlich nicht sehr wohl gefühlt. Also hielt ich noch ein paar Jahre durch, bis ich zwei Foren zu meinen damaligen Lieblingsspielen entdeckte: Das Sims- und das Hitman-Forum. Zwar glaubte vor allem im letzteren kaum jemand, dass ich weiblich war, ich konnte mich jedoch endlich austauschen und verbrachte eindeutig zu viel Zeit auf diesen Plattformen. Ich freue mich riesig darüber, wie viel Vielfalt es mittlerweile für Gaming-Interessierte gibt und wie viel offener zumindest ein Teil geworden ist.