The Crew and the Furious
Solo allerdings macht die Raserei entgegen meiner ersten Befürchtungen richtig Laune und könnte mit einem nur leicht veränderten Fokus und ein paar Optimierungen erfolgreich als "Driver USA" durchgehen - was vermutlich auch dem Mitwirken von Reflections zu verdanken ist. Zwar muss man die dröge Anfangsphase überstehen, in der einem die Karre in fast jeder Kurve unter dem Hintern wegbricht und enorm schwammig auf die Kontrolleingaben reagiert. Doch mit jedem gewonnenen (und eingesetzten) Bauteil wird das Fahrgefühl besser. Und wenn man nach und nach die fünf Fahrzeuggrundtypen freischaltet, in die man die Basis-Modelle umbauen lassen kann, diese hochzüchtet und schließlich auch verschiedene Untergründe beackert, stellt man fest, dass die auf Arcade getrimmte Fahrphysik deutlich mehr kann, als nur Glatteis in verschiedenen Intensitäts-Stufen zu simulieren. Ein auf Rennstrecken und Asphalt zurecht geschnittener "Circuit"-Wagen lässt sich ganz anders kontrollieren wie ein "Raid"-Bolide, der für brachiale Überlandfahrten geeignet ist oder ein "Performance"-Schlitten, der zu einem kleinen Allrounder mutiert. Welche der Spezialisierungen für die gut 50 lizenzierten Fahrzeuge vom Ford Fokus oder VW Golf über zahlreiche amerikanische Muscle Cars bis hin zum Leferrari möglich sind, hängt vom Wagen ab - der Golf z.B. lässt nur die Erweiterung zum "Street"-Car zu.
Die Geschichte wird über ordentlich vertonte, aber uneinheitlich animierte Einblendungen sowie sehr gute CG-Sequenzen erzählt.
Doch nicht nur die ständigen Verbesserungen, die man seinem Fuhrpark zu Gute kommen lässt, halten die Motivation auf einem ordentlichen Niveau. Auch die Story schafft es immer wieder, kleine Akzente zu setzen. Dabei ist sie weder tiefschürfend noch besonders clever. Doch für ein Rennspiel macht sie trotz zahlreicher Stereotypen einiges richtig und baut sowohl die Antagonisten als auch die Crew-Mitglieder plausibel auf, die man sich nach und nach ins Hauptquartier holt. Zumindest nach den Maßstäben der "Fast-and-Furious"-Serie, von deren rasanten Schnitten und Kamerafahrten man sich bei Ivory Tower auch für die Intro-Sequenzen zu den einzelnen Missionen hat inspirieren lassen. Die Präsentation ist damit im Wesentlichen auf dem gewohnt hohen Ubisoft-Niveau, wenngleich die eingeblendeten Porträts bei Telefonaten bzw. Funksprüchen uneinheitlich umgesetzt wurden: Mal sind sie überzeugend animiert, mal starrt man auf ein Standbild - merkwürdig. Wer des Englischen mächtig ist, sollte im Menü (löblich, dass es über das Spiel und nicht über die Konsoleneinstellung geht) die entsprechende Option wählen. Nicht, weil die deutsche Lokalisierung schlecht ist - ganz im Gegenteil. Doch für die Rolle des Alex wurde Troy Baker hinter des Mikrofon gezerrt, den die meisten vermutlich als Stimme von Joel in der Originalfassung von The Last of Us kennen, und der auch hier die Figur mit mehr Leben füllt, als das Drehbuch eigentlich hergibt.
Abwechslungsreiches Wunderland
Man stattet auch dem Rennspielfans hinlänglich bekannten Kurs von Laguna Seca einen Besuch ab - und wird angesichts des nicht akkuraten Layouts überrascht.
Es ist erstaunlich, wie fantasievoll innerhalb der Karriere die Rennen gegen Konkurrenz, die Wettbewerbe auf Zeit, die Verfolgungen, Duelle oder die Fluchtversuche erzählerisch begründet werden. Bis auf wenige Ausnahmen ergibt nichts davon wirklich Sinn aber es funktioniert und motiviert größtenteils. Es gibt allerdings zwei Missionstypen, vor denen ich am liebsten die Flucht ergreife. Nicht etwa, weil sie nicht passen. Sowohl die Jagd auf Gegner als auch die Flucht vor Gesetzeshütern oder konkurrierenden Fahrergruppen geht thematisch und konzeptionell in Ordnung. Nur in der Umsetzung hapert es. Das eine (Jagd), weil der KI-Gegner in 99 Prozent der Fälle immer den gleichen Weg fährt und man ihn sich mit einigen Neustarts quasi zurechtlegen kann - Trial&Error in Reinkultur. Und das andere (Flucht), weil die Cops ungeachtet der Stärke meiner Motorisierung ständig meine Beschleunigung mitgehen können und mitunter schneller aus den Kurven herauskommen als ich mit einem hoch performanten Vehikel - hier wird von den Gegnern gecheatet. Selbst für einen Arcade-Raser sind diese Verhaltensweisen höchst unglaubwürdig. Natürlich gibt es auch den einen oder anderen Fall, wo eine Jagd in eine Flucht übergeht oder man jemanden stoppen muss, während man selbst gejagt wird. In diesen Momenten wird der ansonsten moderate Schwierigkeitsgrad vollkommen ad absurdum geführt, was letztlich viel Frust auf dieser Seite des Bildschirms zur Folge hat.
Schön: Man hat an eine Cockpitsicht gedacht. Schlecht: Die Spiegel (insofern es welche gibt) sind vollkommen unbrauchbar.
Doch trotz aller Unfairness in diesen Momenten, bleibt der Anreiz groß, die USA fahrend zu erforschen und der Rachemär zu folgen - und nicht nur durch die Story-Missionen gegeben. Denn auch die kleinen Nebenmissionen motivieren, die ab Level 50 sogar noch bessere Belohnungen versprechen, wenn man die ab dann freigeschalteten Platin-Auszeichnungen zwischen Stufe 40 und 50 erhält. Auch weil mit jedem gewonnenen Bauteil die Spirale weiter gedreht wird: Man wird besser, hat Chancen auf hochwertigere Teile, hat ein erfolgreicheres Ergebnis, wird einfach schneller, usw. Dazu kommt, dass man sich bei diesen selten länger als eine Minute dauernden Mini-Herausforderungen ebenfalls variantenreich zeigt. Mal muss man nur wie der geölte Blitz mit Höchstgeschwindigkeit durch den mitunter dichten Verkehr rasen. Dann wiederum muss man Slalom fahren, der immer schmaler werdenden Ideallinie folgen oder durch stets kleiner werdende Tore fahren. Möglichst weite Sprünge über Rampen gehören ebenso dazu wie das Erklimmen von Hügeln und Bergen. Da die Belohnungen sofort helfen und diese Herausforderungen häufig auf oder kurz neben der Straße liegen, auf der man ohnehin von A nach B unterwegs ist, nimmt man sie gerne wahr - oder kehrt zu ihnen zurück, um mit einer besseren Bewertung eventuell bessere Ausrüstung einzuheimsen, die im Zweifelsfall auch im Hauptquartier eingelagert werden kann. Mal fühlt sich The Crew an wie Rockstars Smuggler's Run, dann wieder wie Burnout Paradise. Löblicherweise wurde auch an ein Schnelltransport-System gedacht, das auch jenseits der Bahnstationen und Flughäfen funktioniert. Nicht nur jeder Missions-Startpunkt, jede Herausforderung oder die zahlreichen Sehenswürdigkeiten, die man in kurzen Kamerafahrten wie ein Tourist betrachten darf, darf man direkt anwählen. Jede Straße, in deren Umfeld man unterwegs war oder die man direkt befahren hat, steht als Zielpunkt zur Verfügung - vorbildlich, auch wenn es natürlich ein schöneres Gefühl ist, die Kilometer zu fressen und die Landschaft dabei auf sich wirken zu lassen!