Kurze Vorfreude auf klassisches D&D
Auf den ersten Blick macht Sword Coast Legends gar nicht so viel falsch: Man erstellt klassisch einen Charakter, indem man aus vielen bekannten Rassen und Berufen sowie Fähigkeiten wählt, die Dungeons & Dragons so zu bieten hat. Zwar wird Kennern hier schon misfallen, dass es z.B. keine Prestigeklassen gibt und viele Zauber fehlen, aber man kann zumindest an der Oberfläche seine bekannten Archetypen erstellen: Ein Zwergen-Schurke mit bärbeißiger Stimme, einem Talent in Schlösser knacken sowie Assassinen-Kampftalenten soll es sein? Oder ein Mondelfen-Waldläufer mit Bogen, der Tierbändiger ist, einen Wolf beschwört sowie seine Feinde mit dem Mal des Jägers markiert? Alles kein Problem. Hat man die Charaktererstellung mit Stimme, Aussehen sowie einem Hintergrund wie „Einsiedler“ oder „Verbrecher“ abgeschlossen, der nochmal Boni oder Mali bringt, geht es los.
Zu Beginn könnt ihr einen Charakter aus klassischen D&D-Vorgaben erschaffen.
Das Artdesign wirkt vielleicht nicht besonders edel und erinnert eher an ein solides Online-Rollenspiel, aber es ist farbenfroh und man erkennt Gift auf Klingen oder wehende Umhänge; Änderungen an Waffen oder Ausrüstung werden sofort angezeigt. Die frei dreh- sowie zoombare Kulisse ist zunächst recht ansehnlich, es gibt Wettereinflüsse und Tageszeiten, dazu englische Sprachausgabe mit starken regionalen Akzenten und sauber übersetzte deutsche Texte. Auf der technischen Ebene hat dieses Rollenspiel also mehr zu bieten als z.B. ein
Wasteland 2 und deutlich mehr als etwa das spröde
The Age of Decadence. Aber als Rollenspieler unterhalten mich die Iron Tower Studios trotz technischer Mankos zwei Klassen besser als dieser Ausflug in die Vergessenen Reiche.
Langeweile zwischen Luskan und Niewinter
Das Abenteuer beginnt mit einer Alptraumsequenz, die auch als Tutorial dient.
Sobald man die ersten Figuren trifft, Gespräche führt, Kämpfe bestreitet und seinen Charakter aufsteigen lässt, vergeht nämlich der Spaß. Die Geschichte um den Orden der „Brennenden Dämmerung“, der eine Karawane auf dem Weg nach Luskan beschützen soll, fängt nicht nur langweilig in einem Alptraum an, der als Tutorial dient, sondern geht stinklangweilig mit einem Überfall sowie Höhlenkloppmist zwischen Ratten, Banditen und Goblins weiter, bevor man wieder Alpträume durchschreitet und endlich nach Luskan kommt, wo man natürlich nicht sofort in die Stadt darf, sondern erst eine Kanalisation durchpflügen muss. Dass sie auf Monster aus der Umgebung nicht reagieren, selbst wenn die gerade attackieren, ist an dieser Stelle auch schon egal, denn man weiß spätestens hier dass es mehr
Diablo als
Baldur's Gate gibt.
Das Abenteuer wirkt nach ein paar Stunden so vorhersehbar, so künstlich in den Dialogen und mit seinem Baukastendesign samt vieler Copy&Paste-Objekte so deutlich modular, dass man sich gar nicht mehr auf die Spielwelt und einzelne Situationen einlassen will. Ja, man wird zumindest grundsätzlich neugierig gemacht, was es mit diesem dunklen Schicksal auf sich hat, mit dem der Orden scheinbar verbunden ist: Warum wird man von einem Dämon als seinesgleichen bezeichnet? Warum ist man angeblich ein Spielball von Göttern & Dämonen? Irgendetwas Böses scheint sich da zusammenzubrauen, der Überfall auf die Karawane war wohl kein Zufall und der einzige weise Ratgeber wartet in Gestalt eines Magiers in Luskan.
Als Mitglied der "Brennenden Dämmerung" bewacht amn eine Karawane, die auf dem Weg nach Luskan ist.
Aber während stereotype Figuren mit schlechten Dialogen und Anekdoten aus der Mottenkiste nerven, muss man auch noch mit den uninteressanten Gefährten aus der eigenen Gruppe leben, die einem alles andere als ans Herz wachsen. Sie haben zwar eine einsehbare Kurzbiografie, aber man kann sie nicht mal direkt ansprechen, um mehr zu erfahren. Dass sie sich dank eines „Nachrichtensteines“ quasi auch aus der Feine einmischen, um Entscheidungen zu kommentieren, macht es nicht besser und schon gar nicht authentischer. So entsteht eine ganz seltsame Art der aufgezwungenen Partyinteraktion - und man wünscht sich heimlich Partymobbing als Option.
Wenn man sich auf die Entwicklung seines Charakters konzentriert, wird man als D&D-Purist mit weniger Freiheit und Vielfalt leben müssen, weil man erstens nicht alle Talente und Optionen des Regelwerks ausschöpfen kann und zweitens auch noch in ein Freischaltkorsett hinsichtlich der Fähigkeiten gezwungen wird. Wie in einem Online -Rollenspiel? Genau. Wer sich auf eine authentische Integration des Regelwerks gefreut hat, der wird maßlos enttäuscht.
Mein Beileid. Aber wir müssen weiter!
Egal ob Waffen, Fähigkeiten oder Zauber: Man hat viel Auswahl.
Und wer
Pillars of Eternity gespielt hat, das ja auch ein klassisches Abenteuer mit seltsamen Vorkommnissen inszenierte und ähnliche Motive für die Handlung auslegte, wird sich hier wie in bunter Kitschfantasy vorkommen. Episches Flair? Fehlanzeige. Auch wenn mit Dan Tudge der Director von Dragon Age: Origins verantwortlich zeichnet und es mehrere Enden gibt, bemerkt man von der erzählerischen Klasse des Bioware-Rollenspiels aus dem Jahr 2009 wenig bis gar nichts – von beeinflussbaren Freundschaften mal ganz abgesehen vermisst man interessante Charaktere, die mehr als Levelroboter sind.
Wenn die Regie dann mal auf die Dramatube drückt, indem z.B. Kollegen aus der eigenen Gilde hingerichtet werden, fehlt es einem an Mitgefühl, weil alles viel zu schnell geht und man gar keine Beziehung aufgebaut hat. Selbst nach einem Tod heißt es dann lapidar: „Mein Beileid. Aber wir müssen weiter!“ Immerhin rettet sich das Drehbuch damit, dass man auch mal über Leben und Tod entscheiden darf – und das hat durchaus Konsequenzen, nicht nur ob man demjenigen z.B. später im Alptraum als Verstorbenen begegnet oder nicht, sondern auch hinsichtlich der möglichen Enden.