Feuer aus allen Rohren
Wenn Sword Coast Legends diese erzählerischen Defizite zumindest in der Kampftaktik auffangen würde – aber das tut es nicht. Zwar kann man drei Schwierigkeitsgrade einstellen und theoretisch im Kampf pausieren, um einzelne Befehle zu geben, aber das ist auf der normalen Stufe schon kaum nötig, weil nahezu alles fast automatisch weggebrutzelt wird, was da kreucht und fleucht, indem man eine Fähigkeit und einen Zauber nach dem anderen durchklickt, bis die Abklingzeit ihn wieder freischaltet. Der Wahrnehmungsradius der Feinde scheint auf zwei Meter beschränkt, so dass man sie schon aus weiter Entfernung markieren und mit Projektilen oder Zaubern eindecken kann. Und wenn man mal bei einer Riesenspinne das Zeitliche segnet? Einfach den Bewusstlosen anklicken und weiter geht’s. Man wird zudem so schnell
In den Höhlen kämpft man gegen Ratten, Goblins und Spinnen - besonders knifflig ist das nicht.
mit Tränken, Schriftrollen & Co zugemüllt, dass man kaum mit Defiziten haushalten muss. Es macht auch spätestens dann keinen Spaß mehr, im Rucksack zu wühlen, wenn selbst Gegenstände wie der „Niewinter Zeitmesser“ schnöde Beutel statt gezeichnete Objekte sind.
Sowohl Pfeile als auch Melfs Säurepfeil, Feuerlanzen oder Eisblitze rauschen natürlich durch massiven Fels, so dass man Höhenvorteile gar nicht nutzen kann. Falls es mal brenzlig wird, pausiert man eben und aktiviert die Zauber und Fähigkeiten in der Leiste, ohne dass man positionstaktisch oder hinsichtlich Mana & Co besonders clever agieren müsste. Jeder Charakter hat zwei Waffensets, die man genauso komfortabel aktivieren kann wie die sonstigen Fähigkeiten. Entsprechend arcadig spritzt das Blut und fliegen die Körper, aber man hat weder Schweiß auf der Stirn noch grübelt man über kombinierte Attacken. Zwar kann man „Gruppentaktiken“ deaktivieren und jeden der bis zu sechs Helden selbst steuern, aber wer sie aktiviert
Man kann vieles aus der Distanz erledigen: Magie und Projektile sind sehr nützlich, zumal sie fast nie von Fels & Co blockiert werden.
darf für diese gar keine eigenen Befehlsketten erstellen wie man das noch aus Neverwinter Nights kennt – also etwas wie „Nimm-bei-weniger-als-10-HP-einen-Heiltrank“ oder „Greife-Feinde-erst-aus-der-Distanz-an-und-ab-weniger-als-10-Hp-nutze-deinen-Nahkampf“. So ist man darauf angewiesen, dass da jeder automatisch das Richtige wählt, was natürlich nicht immer der Fall ist.
Auch die allgemeine Steuerung der Gruppe lässt zu wünschen übrig, weil man ständig die Kamera oder Laufwege nachjustieren muss. Und warum muss man, um einzelne Helden an verschiedene Positionen zu bewegen, nicht nur das Gruppenbewegungssymbol, sondern auch die Gruppentaktiken ausschalten? Immerhin gibt es mal Situationen mit Druckplatten, wo das nötig ist. Alles Interaktive wird ansonsten Blau markiert und es kann sich auch lohnen, den Spürsinn für Fallen oder Schlösser zu aktivieren, um diese zu entschärfen bzw. zu öffnen. Nur geht es meist darum, alles schnell zu plündern statt aufmerksam zu erkunden. Selbst in der Karawane, wo Händler um Gold feilschen, liegt es einfach so in Säcken und Kisten rum – ist klar.
Spielleiter-Modus für eigene Abenteuer
Im Spielleiter-Modus kann man eigene Dungeons und Gebiete erstellen - aber man hat zu wenig Optionen.
Falls euch die Lust an dieser vorgefertigten Kampagne vergeht, könnt ihr theoretisch selbst Hand anlegen und zum Dungeon Master avancieren. Aber praktisch macht auch das keinen Spaß, weil man zu wenig Möglichkeiten hat und nicht mal eigene korridore anlegen kann. Ältere Semester werden sich an
Neverwinter Nights erinnern: Auch BioWare ermöglichte schon 2002 das freiere Erstellen komplexer Abenteuer über das
Aurora Toolset. In Sword Coast Legends könnt ihr entweder halb vorgefertigte Module für eine eigene Kampagne zusammenklicken oder Kumpels durch zufallsgenerierte Dungeons hetzen, damit sie kooperativ metzeln und fette Beute machen können. In einer knappen halben Stunde könnt ihr "eigene" Szenarios anlegen. Hört sich gut an, ist aber eine Farce.
Falls ihr euch für Ersteres entscheidet, müsst ihr Handlungsorte, Charaktere, Quests und Feinde wählen. Es gibt übrigens tatsächlich keine Drachen in
Drachen? Gibt es nicht im Kreaturen-Baukasten.
diesem Dungeons&Dragons-Baukasten. Klingt komisch? Ist aber so. Und das Skurrile hört da noch nicht auf: Wenn ihr euch für eine Region wie „Dungeon“ oder „Gebiet“ entschieden habt, könnt ihr dort ggf. das Wetter von Regen bis Schnee sowie die Uhrzeit einstellen und zig kleine Objekte platzieren, die thematisch z.B. nach Banditenhöhlen, Duergar-Festungen bis hin zu Minen oder Kanalisation geordnet sind und von der Kiste bis zur Laterne zig Dekorationen anbieten. Aber ihr könnt tatsächlich weder selbst die Infrastruktur, also Wege, Abzweigungen und Räume, in einem Dungeon entwerfen noch eine Stadt bauen – mein selbst gezeichnetes Labyrinth kann ich nicht mal anlegen und der Baukasten hört vor den Toren auf? Das ist armselig!
Da wundert es einen auch nicht mehr, dass man bei den Quests nur aus den drei Standardaufgaben „Boss“, „Sammeln“ sowie „Feind besiegen“ wählen kann und beim Versuch eigene Aufgaben mit Dialogoptionen zu integrieren keine Werkzeuge findet. Also: Falls ihr schnelle einen „Dungeonlauf“ für bis zu vier Kumpels online anbieten wollt, ist der Spielleiter-Modus durchaus geeignet. Aber wer als Pen&Paper-Rollenspieler etwas mehr Tiefe, Freiheit oder auch nur die komplette Dunegons&Dragons-Fülle sucht, wird hier enttäuscht.