Polygonale Steinzeit
Nachdem ich die etwas über zehn Gigabyte runtergeladen hatte und das lila Logo mit dem Auge erschien, überkam mich noch ein wehmütiges Gefühl. Im Jahr 2002 hatte ich richtig Spaß mit meinen Gefährten in den Gassen von
Neverwinter Nights, zumal ich damals noch all die Romane von R.A. Salvatore und die Vergessenen Welten im Hinterkopf hatte. Bruenor, Drizzt, Wulfgar - ach, war das schön! Aber als ich dieses Rollenspiel auf der PlayStation 4 starte, erlebe ich kein nostalgisches Coming Home, sondern einen knallharten Aufprall in der polygonalen Steinzeit. Und der tut so richtig weh. Die ersten Schritte in der Akademie von Niewinter zeigen eine schrecklich sterile, aber auch hinsichtlich des Artdesigns groteske Kulisse.
Das damals schon erkennbare Baukasten-Flair wirkt heutzutage nochmal entzaubernder, zumal nicht nur die faden Texturen, das klobige Interieur, die geringe Sichtweite und die unfassbar schlecht modellierten Figuren mit ihrem Quecksilberhaar, das ich zunächst für Helme hielt, negativ auffallen, sondern auch die steifen Animationen. Obwohl das Spiel laut Pressemitteilung mit "einer aktualisierten Rendering Engine aufgewertet [wurde], die die visuelle Qualität des Spiels erheblich verbessert." Au Backe, aber diese Fantasy sieht zum Weglaufen aus...
Im Kontext der damaligen Zeit war das ja auch nur solide, aber zusammen mit den schlechtesten deutschen Sprechern, die ich seit Jahren gehört habe (oder sind das Sprachroboter?), wird jegliche Atmosphäre im Keim erstickt. Die damals stimmungsvollen kleinen Filmchen tun dank fehlender Breitbildanpassung und schlecht aufgelöster Fisselschrift ihr Übriges. Rein inhaltlich, rein spielmechanisch hätte dieser Klassiker eine richtige Modernisierung verdient - und auch heute besser abschneiden können. Zumal er ja nicht nur alle Erweiterungen wie Shadows of Undrentide und Horden of the Underdark
enthält, sondern auch weitere Abenteuer-Module sowie Multiplayer-Unterstützung für kooperative Partien anbietet.
Bullaugen in der Wand
Ein Zauber? Ein Grafikfehler? Ein Bullauge!
Aber Beamdog leistet nicht nur technisch das Nötigste, die Bildrate ist übrigens auch nicht stabil, sondern trifft im Vergleich zu der
Baldur's Gate and Baldur's Gate 2 Enhanced Edition oder der
Planescape Torment and Icewind Dale Enhanced Edition auch schlechte Entscheidungen in der Bedienung: Wer kam denn bitte auf die blöde Idee, beim Kameraschwenk um die eigene Gruppe tatsächlich Löcher in Hindernissen langsam aufgehen zu lassen? Das sieht so aus, als würde sich ein Bullauge auftun, wenn die Sicht versperrt wird - ich dachte erst, das ist ein Grafikfehler! Da hätte man die komplette Struktur besser durchsichtig gestalten können.
Herrlich, dieser Hafen.
Und wie kann man im Jahr 2019 so ein verdammt träge zu bedienendes Menü für Gepäck und Items anbieten? Das dauert ja gefühlt Minuten, bis ich da mal eine Waffe ausgerüstet oder gar mehere Objekte verkauft habe! Es gibt weder einen Doppelklick für sofortiges Ausrüsten noch einen direkten Verkauf aus dem Rucksack an den Händler. Nein, ich muss den Kram tatsächlich mit dem langsam dahin schlurfenden "Mauszeiger" auswählen und dann rüber ins Menü des Händlers ziehen. Und weil das alles noch nicht nervig genug ist, wirken die Wechsel zwischen einzelnen Bereichen über die Schultertaste nochmal verwirrender...
Zudem sorgt der Perspektivwechsel von der Schultersicht in die Vogelperpektive mit Pausefunktion nicht für ein besseres Spielgefühl, auch wenn ich so natürlich taktische Entscheidungen für die ganze Gruppe treffen kann. Aber wie fitzelig ist das, bis man hier mal jemanden ausgewählt und von A nach B befohlen hat? Obwohl man das mit der Taktik zu Beginn dieses Rollenspiels ohnehin vernachlässigen kann.
Immer drauf und weg...
Auf dem dritten der vier Schwierigkeitsgrade, der Hardcore-D&D verspricht, haue ich erstmal alles um, selbst in der Stadt voller Diebe und Schurken draußen, was mir in den Weg läuft - vor allem, wenn man einen Begleiter wie diesen bösen Zwergenmönch dabei hat, haut man sich mit One-Hits eine Schneise durch Niewinter. Den Weg zum Hafen pflastere ich vor lauter Frust über diese miese Rückkehr eines Klassikers mit Leichen, die allerdings nach ein paar Sekunden verschwinden - um dann von einem grauen Panorama belohnt zu werden, das nicht mal Schiffe in drei Meter Entfernung richtig darstellen kann. Ich will mir in der Schenke mit dem Killkumpel einen saufen, aber da hab ich keinen Zutritt. Jetzt müsste ich anfangen, das gute Rollenspiel, das sich hinter dieser schrecklichen Oberfläche verbirgt, wirklich ernst zu nehmen und mich den Quests zu widmen. Aber was ich jetzt brauche, ist ein klares Game Over.