Hör- statt Drehbuch
Fiktiv ist die virtuelle Welt, weil es zwar unsere ist, ihre Geschichte allerdings eine andere. Nur die Vorzeichen sind natürlich vertraut, denn wenn sich die kaskadische Republik an der Westküste Nordamerikas von der Pazifischen Föderation lossagt, löst das einen bewaffneten Konflikt aus, den das frisch für unabhängig erklärte Land nicht alleine durchstehen kann. Kaskadien heuert deshalb Söldner an, um seine militärischen Stärke zu vergrößern, darunter Monarch, dessen oder deren Rolle man hier übernimmt.
Mit von der Partie sind außerdem ihre bzw. seine Mitstreiter, über deren Funksprüche und Einsatzbesprechungen man die Ereignisse der gut 20 Missionen verfolgt. Erwartet kein cool inszeniertes Top Gun! Stimmen ohne Gesichter sind alles, was Project Wingman in Sachen Erzählung auffährt, und das fällt vor allem dort auf, wo das stumme Alter Ego wie ein Geist ohne Charakter erscheint und nicht einmal im Profilbild zu sehen ist.
Stark vereinfacht
Project Wingman erzählt seine Geschichte nicht in packenden Filmszenen, sondern über die Gespräche unter den Piloten. (PC)
Macht nichts. Wer braucht schon Handlung, wenn’s um das Handling von Düsenjägern geht? Und das fühlt sich verdammt gut an! Mit einer Simulation hat es selbstverständlich nichts am Hut. Simples Beschleunigen reicht zum Abheben, Redout und Blackout spielen selbst beim Fliegen enger Kurven keine Rolle und sämtliche Anzeigen sowie Rückmeldungen werden stark vereinfacht dargestellt. Mit über 150 Raketen an Bord sind die Jets zudem besser bestückt als manches Großkampfschiff.
Und in Teilen ist diese Einfachheit durchaus bedauerlich. Dass man zumindest hin und wieder den eigenen Blutdruck im Auge haben sollte, wäre z.B. eine gelungene Ergänzung, während das HUD sowie akustische Rückmeldungen deutlicher auf Gefahren hinweisen könnten. Abgesehen davon kann man markierte Ziele nicht immer schnell genug von anderen Anzeigen unterscheiden und das Durchschalten aller feindlichen Objekte in ungefährer Blickrichtung ist als einzige manuelle Zielauswahl viel zu ungenau. Wer mit VR-Headset im Cockpit sitzt, kann beim Fliegen durch Wolken schließlich kaum ausmachen, ob die Nase gen Boden oder Himmel zeigt. Vertikale Markierungen an den Rändern der Höhenlinien könnten das ändern, fehlen aber.
Top-Gun-Romantik
Besonders in VR geht die unkomplizierte Action auf, denn das Mittendringefühl ist famos. (Rift)
Nur was das Fliegen als solches angeht, trifft Project Wingman eben voll ins Schwarze: Mit Finesse schwingt man die Jäger von einer Seite auf die andere, reiht Loopings aneinander – und wähnt sich trotzdem immer in einem realitätsnahen Flugzeug. Die grundlegende Physik funktioniert so gut, dass man sich als Fliegerass fühlt, während man reihenweise Gegner vom Himmel holt. Meist dreht man dabei einfache Kreise, setzt gerade auf höheren Schwierigkeitsgraden aber auch komplexe Manöver ein, um Raketen möglichst effizient einzusetzen und das Maschinengewehr im richtigen Augenblick auf einen Angreifer zu richten. Auch den Schub muss man nicht zwingend im Auge behalten, obwohl man sich durch überlegtes Beschleunigen und Bremsen entscheidende Vorteile erarbeitet.
Klasse finde ich außerdem die Inszenierung, wenn man kurz vor Sonnenuntergang über einer belagerten Stadt oder im Regen unter tief hängenden Wolken kämpft und dabei zusieht, wie Wasser auf den Scheiben des Cockpits in Richtung Heck fließt. Nicht zu vergessen auch, wie der gedämpfte Knall von Explosionen in größerer Entfernung erst nach kurzer Verzögerung zu hören ist. Mit anderen Worten: So wenig das auf die Erzählung zutrifft, so sehr erweckt das eigentliche Spiel eine ebenso verklärte wie gerade noch bodenständige Top-Gun-Romantik zum Leben.