Who the F is Harry P?
Die Harry-Potter-Schöpferin J. K. Rowling ist in den letzten Jahren wiederholt wieder mit Aussagen aufgefallen, die als transphob eingestuft werden können.
Diese führten immer wieder zu Kontroversen in der Harry-Potter-Community. Wer mehr darüber wissen möchte, kann sich z.B.
hier näher informieren. Zudem findet ihr
hier einen Kommentar von mir zum Thema J.K.Rowling.
Rowling ist an der Entwicklung von Hogwarts Legacy nicht beteiligt – profitiert durch Markenrechte aber indirekt von Gewinnen der Dachmarke.
Um eins vorab klarzustellen: Hogwarts Legacy bedient sich zwar bei der Welt und den bekannten Kreaturen und Zaubersprüchen der Harry-Potter-Reihe, das Open-World-Abenteuer ist aber explizit kein Harry-Potter-Spiel. Das werde ich auch in Gesprächen mit den Kollegen in der 4Players-Redaktion nicht müde zu betonen, um die Erwartungshaltung entsprechend anzupassen. Harry, Ron, Hermine, Dumbledore oder Snape werden euch hier nicht über den Weg laufen – nicht zuletzt, weil die Handlung des Zauberer-Abenteuers im späten 19. Jahrhundert angesiedelt ist und sich dadurch einen erzählerischen Freiraum schafft, der sich von der Vorlage freischwimmen möchte.
Das gelingt auch ganz ordentlich: Im Zentrum der Geschichte steht der eigene, im detaillierten Charaktereditor frei erstellbare Zauberschüler, der mit ein paar Jahren Verspätung zur Sortier-Zeremonie in der großen Halle einläuft. Warum unser Zuspätkommer erst als Fünftklässler in der Schule für Hexerei und Zauberei startet, bleibt das Geheimnis der Autoren, gibt uns aber durch das fortgeschrittene Alter des Protagonisten mehr Freiheiten bei Ausbildung und Erkundung rund um das Schloss. Kein Geheimnis bleibt, dass die Hauptfigur eine besondere Begabung mitbringt: Sie kann sogenannte „uralte Magie“ nutzen, die nur wenige Zauberer und Hexen überhaupt wahrnehmen können.
Große Macht birgt große Verantwortung
Nach einem turbulenten Einstieg, bei dem ein Drache das Gefährt der gen Hogwarts Reisenden zerlegt und meine Hexe sowie unser Mentor Professor Fig via Portschlüssel und über Umwege in ein Geheim-Verlies der Zauberer-Bank Gringotts gelangen, wird klar: Wir sind nicht die einzigen, die diese Macht nutzen wollen. Haupt-Bösewicht in Hogwarts Legacy ist der Kobold Ranrok – brutaler Anführer von Kobold-Rebellen, die die Machtverhältnisse der Zaubererwelt mit Gewalt umdrehen wollen. Ranrok hat sich mit dem dunklen Magier Rockwood verbündet und ist mir auf den Fersen. Doch als wäre das alles noch nicht genug, treffe ich auf die selbsternannten Hüter der uralten Magie, die uns mittels eigens für diesen Zweck erschaffener Prüfungen testen. Denn auch für Zauberer gilt: Große Macht entspricht großer Verantwortung. Apropos Macht: Die Autoren haben einen ausgestreckten Mittelfinger in Richtung J.K. Rowling in ihrem Spiel versteckt. Die Betreiberin der Zauberer-Kneipe „Drei Besen“ in Hogsmeade ist eine Transfrau. Das ist unaufgeregt eingestreut, wird völlig beiläufig erwähnt - und treibt der seit Jahren transfeindlich auf Twitter schwurbelnden Harry-Potter-Schöpferin hoffentlich die verdiente Zornesröte ins Gesicht.
Der fiese Ober-Kobold Ranrok ist der zentrale Antagonist in Hogwarts Legacy.
Ohne zu viel zu verraten: Die Story teilt sich durch diese Motive in zwei Handlungsstränge auf, die erst recht spät vereinigt werden. Dadurch fühlte ich mich vor allem in der Mitte der rund 25 bis 30 Stunden langen Kampagne etwas verloren, da mir zum Teil nicht ganz klar war, warum eine Quest jetzt zum Hauptstrang gehört, eine ähnlich gelagerte Aufgabe aber als Nebenhandlung behandelt wird. Zudem wird die Story zwar solide erzählt, insgesamt fehlt es mir aber besonders bei den Antagonisten an Schärfe und Tiefe in der Charakterzeichnung. Warum Ranrok die Zaubererwelt unterjochen will? Unklar. Auch ob es durchaus legitime Motive für seine Rebellion gibt, wird mit sanften Zaubertönen überdeckt. Zwar äußert sich der eine oder andere Kobold, verurteilt natürlich die Gewalt Ranroks, räumt aber ein, dass die Ziele des Anführers vielleicht doch einen gewissen Hintergrund haben. Insgesamt trauen sich die Autoren hier aber nichts und treffen keine Aussage. Stattdessen legen sie einen Weichzeichnungsfilter über einen hochproblematischen Konflikt, der seine Entsprechung im realen Rassismus hat.
Keine charakterliche Konsequenz
Dabei sollte klar sein: Die Entwickler sind meiner Meinung nach zu keinem Zeitpunkt gezwungen, ein Rassen-Drama aufzumachen, das von Diskriminierung und Unterdrückung in der Zauberer-Welt erzählt. Wenn man aber schon selbst ein solches thematisches Fass öffnet, den Konflikt zwischen Zauberern und Kobolden zum Hauptthema der Auseinandersetzung erklärt und einen Kobold zum Oberbösewicht stilisiert, hätte ich mir doch etwas mehr Konsequenz gewünscht. So bleibt die Erzählung sehr schwarz-weiß und dreht sich vor allem um Macht und ihren Missbrauch, der selbst gut gemeint zur Katastrophe führen wird. Das kennen alle Star-Wars-Fans schon von Darth Plagueis dem Weisen. Insgesamt ist die Handlung in meinen Augen somit bestenfalls solide, auch wenn sie zum Teil in spektakulären Setpieces wie etwa dem genannten Drachenangriff in der Anfangssequenz inszeniert wird.
Die beste in ihrer Klasse: meine Super-Hexe beherrscht jedes Fach sofort im Schlaf.
Bestenfalls solide ist dabei auch die Charakterentwicklung meiner Spielfigur: Diese ist nämlich das, was man bei einem Film als typische „Mary Sue“ bezeichnen würde. Mit dem zufälligen Geschenk der uralten Magie in der Wiege, ist meine Hexe nämlich beinahe übermenschlich stark. Egal welches Zauber-Fach: Sie ist Klassenbeste. Besenreiten? Klar, kann ich beim ersten Mal so gut wie der sportlichste Typ der Schule. Tränke? Einfach! Verteidigung gegen die dunklen Künste? Lächerlich! Es gibt kein Gegengewicht, keine Balance der Kraft. Ich bin einfach der Zauber-Alleskönner. Und das ist sehr schade, denn so fehlt mir eine klare Entwicklung der Stärken und Schwächen, über die auch der rudimentäre Fähigkeitenbaum nicht hinwegtäuschen kann. Ihr müsst verstehen: Bei Harry Potter war es wichtig, dass der Hauptcharakter eben eher Waschlappen als Superheld war - und mit Mut und Tapferkeit am Ende trotzdem was gerissen hat. In Hogwarts Legacy bin ich der Super-Zauberer schlechthin, was wenig Raum für echtes Charakterwachstum meiner Figur ermöglicht. Es ist eben keine Heldenreise, wenn es keinen Tiefpunkt, keine Rückschläge zu überwinden gibt.
Dazu kommt, dass ich anscheinend auch noch der beliebteste Schüler in 1.000 Jahren Schulgeschichte bin. Egal welches Haus, egal welches Geschlecht: Meine Slytherin-Hexe wird überall geliebt. Dadurch kann ich meiner Figur keine klaren Ecken und Kanten verleihen, stattdessen flutsche ich wie ein rundgelutschtes Bonbon durch die vielen, richtig gut vertonten Dialoge. Das ist besonders bei einigen der spannenden Nebenquests sehr schade, da ich hier nicht klar genug Stellung beziehen kann, wenn sich ein Mitschüler zu sehr den dunklen Künsten zuwendet, um – ihr ahnt es – Gutes zu tun. In Hogwarts Legacy habe ich in diesen Situationen nämlich keine echte Entscheidungsfreiheit – alles geschieht, wie es eben geschieht. Das ist in Ordnung, allerdings verliert meine Hauptfigur so deutlich an Tiefe und Glaubwürdigkeit – nicht zuletzt, weil sie zu keinem Zeitpunkt über ihre eigene Hintergrundgeschichte berichtet.