Talent-Fusion
Das japanische Entwicklerstudio Platinum Games genießt einen herausragenden Ruf unter eingefleischten Spiele-Fans - und eigentlich ist das keine Überraschung. Denn das 2007 gegründete Team ist vergleichbar mit einer Supergroup im Musikbereich: Neben
Resident-Evil-Erfinder Shinji Mikami waren Hideki Kamiya und Atsushi Inaba die prominenten Gründungsmitglieder. Beide haben nicht nur eine gemeinsame Capcom-Geschichte, sondern auch einen für ihr junges Alter - Kamiya war bei der Platinum-Gründung 37, Inaba 36 - erstaunlichen Software-Katalog fabriziert: Kamiya arbeitete bereits an den ersten beiden Resident-Evil-Spielen mit, startete mit
Devil May Cry so richtig durch, schob das gefeierte
Viewtiful Joe nach, war mitverantwortlich für
Okami und lieferte, schon als Teil von Platinum Games, mit
Bayonetta sein Meisterstück ab. Inabas Karriere begann mit Pixeln: Bei Irem arbeitete er an der R-Type-Serie, nach einem unbefriedigenden Abstecher zum
Metal-Slug-Studio Nazca zog es ihn zu Capcom - um Teil des Resident-Evil-Teams zu werden. Daraus wurde zwar nichts, doch wichtige Rollen bei
Devil May Cry,
Steel Battalion,
Viewtiful Joe,
Okami und
God Hand sollten den sympathischen Japaner mit der Wuschelfrisur entschädigen; auch bei Platinums Fan-Lieblingen wie
Mad World,
Metal Gear Rising oder
Vanquish taucht sein Name in den Credits auf.
Muss man mögen: Stil und Humor der Heldentruppe sind eigenwillig.
2013 kam es zu einer besonderen Zusammenarbeit: In ihren Lieblingsrollen - Kamiya als Director, Inaba als Producer - ließen die beiden ein schwer einzuordnendes und kommerziell geflopptes Actionspiel auf Nintendos Wii U los. The Wonderful 101 inszeniert eine Superhelden-Klamotte mit knallbunter Polygongrafik - das Spiel sieht auf den ersten Blick aus wie eine Kamiya-Variante von Miyamotos Strategie-Hit
Pikmin. Wusel-Faktor und Kamera-Perspektiven mögen zwar ähnlich sein, in der Praxis entpuppte sich The Wonderful 101 aber als lupenreines Hack’n’Slay-Feuerwerk, das durchaus eine inhaltliche Nähe zu
Bayonetta & Co. aufweist - 4P-Tester Mathias
war verzückt! Damit dieses einzigartige Videospiel nicht länger in der Software-Bibliothek der wie ein Stein versunkenen Wii U verschimmelt, lancierte Platinum Games im Februar eine
Kickstarter-Kampagne für die Remastered-Version. Die brachte, obgleich nur als Testballon lanciert, um das Kundeninteresse abzuchecken, über zwei Millionen Euro ein. Kaum drei Monate später erscheint The Wonderful 101: Remastered für PS4, Switch und den PC - ich habe mir die beiden Konsolenfassungen genau angeschaut.
Technische Unterschiede
Wilde Action: Wenn 100 Figürchen wuseln und zuschlagen, ist immer etwas geboten.
Inhaltlich erwartet euch dasselbe Spiel wie auf Wii U - weshalb ich euch unseren ausführlichen
Test aus dem Jahr 2013 ans Herz legen kann. Ein Alleinstellungsmerkmal von The Wonderful 101 fällt in der Remastered-Variante natürlich flach: Das Zeichnen auf dem Touchscreen des Wii-U-Pads. Dies lösen beide Konsolen auf unterschiedliche Weise: Switch-Besitzer können im Handheld-Modus mit dem Finger die Eingaben zeichnen - allerdings wird dann natürlich stets ein Teil der Action von eurer Hand verdeckt. PS4-Zocker verwenden das Touchpad des Controllers - und ärgern sich, dass das nur sehr unzureichend funktioniert. Auf beiden Plattformen ist es zudem möglich, den zweiten Screen per Bild-im-Bild-Option einzublenden oder nebeneinander anzuordnen (mit schwarzen Balken oben und unten). Bei letzterer Variante ist gar das stufenlose Skalieren der Größenverhältnisse der beiden Screens möglich. Allerdings wird dieses Feature nicht nur schlecht erklärt und ist angesichts der turbulenten Action fast unbrauchbar, die Bild-im-Bild-Variante funktioniert zudem auch technisch nicht gut. Immer wieder verdrückt man sich oder bekommt gerade nicht die Screen-Überlappung, die man eigentlich wollte.
Zoomt man nicht zu nahe heran, kann sich der farbenfrohe Comic-Look der Welt auch 2020 noch sehen lassen.
Dass dies nicht zu einer dramatischen Minderung der Spielqualität führt, hat einen Grund: Schon in der Wii-U-Fassung konnte man die Zeichen-Kommandos (zu ihrer Funktion im Spiel gleich mehr) per rechtem Analogstick vollführen - das funktioniert ordentlich und ist in der Hektik mitunter sogar schneller als die Stylus-Eingabe. In grafischer Hinsicht geben sich PS4- und Switch-Fassung nichts: Beide Versionen laufen richtig gut und die bunte Optik ist schärfer als damals. Gerade in den Nahaufnahmen der Figuren und Feinde wird zwar deutlich, dass Platinum Games schon 2013 nicht die Grafik-Könige waren - doch in der eigentlichen Spielperspektive hinterlässt der Titel auch heute einen sauberen, ansehnlichen Eindruck.