Unterwegs im Geborgenen Land
Grundlegend kann man sich Die Zwerge als ein Taktik-Rollenspiel vorstellen. Man bewegt die Heldentruppe zugweise über die große Weltkarte, die vom Design und den verbundenen Wegpunkten schwer an ein Brettspiel wie Die Legenden von Andor erinnert. Unterwegs von Wegpunkt zu Wegpunkt können dann Ereignisse stattfinden - entweder in Form von Texttafeln plus Sprachausgabe, Dialogen mit Auswahlmöglichkeiten oder auf separaten 3D-Karten. Auf diesen eigenständigen Karten darf man mit der Heldentruppe einerseits auf Erkundung gehen (Gegenstände suchen, mit Leuten reden etc.) und andererseits die taktischen Echtzeit-Schlachten mit maximal vier steuerbaren Charakteren ausfechten.
Tungdil und seine Gefährten bewegen sich zugweise über eine schön gestaltete Weltkarte, die etwas mehr Leben versprühen könnte.
So richtig überzeugen können aber nicht alle Spielbestandteile. Während die Präsentation der Fantasy-Welt und die Erzählung der Geschichte auf der Weltkarte außerordentlich gut funktioniert und mit Detailverliebtheit sowie interessanten Figuren punktet, nagen die unberechenbaren und ungelenken Kämpfe, eine gewisse Hektik bei der Erzählung (Zwischensequenzen) und wenig Optionen bei der Charakter-Entwicklung an der Spielfreude. Doch der Reihe nach …
Hastiger Einstieg
Schon zu Beginn, mit der ersten Schlacht gegen eine angreifende Ork-Armee und die Verteidigung des „Geborgenen Landes“ gegen das Böse von außerhalb, wird klar, dass sich die Versoftung eher an diejenigen richtet, die mit dem (ersten) Buch von Markus Heitz vertraut sind. Der Einstieg ist ziemlich ruppig und bisweilen überstürzt, dazu kommt, dass einige der Spielmechaniken (z.B. Nahrungsverbrauch auf der Weltkarte, Symbole auf der Weltkarte) abseits der Kämpfe gar nicht oder nur schlecht vorgestellt werden. Gerade für Neulinge geht das Ganze ein bisschen zu schnell und schwupps ist Zwerg Tungdil, der bei Menschen aufwuchs und eigentlich keine Ahnung von seinesgleichen hat, mit einem Rucksack voller mysteriöser Artefakte auf dem Weg durch das Geborgene Land. Bis dahin geht alles rasant und mit der Entwicklung von Tungdil zum Kämpfer oder der Nachfolge-Versammlung des Großkönigs Gundrabur geht es ähnlich zügig weiter. Das führt dazu , dass die Geschichte in etwa neun bis zwölf Stunden (je nach Erkundungsdrang und Kampfglück) durchgespielt ist. Gleiches Tempo gilt bei der Inszenierung und beim Schnitt der gelegentlichen Zwischensequenzen. Apropos Zwischensequenzen:
Ausschnitt aus einer Zwischensequenz: Schicke und aufwändige Rüstungen vs. bretthartes Haar und eher starre Mimik.
Das gebotene Niveau ist ordentlich. Die Zwerge sehen mit ihren Rüstungen gut aus, können es in Sachen Mimik, Gestik und Haardarstellung (wichtig bei Zwergenbärten) jedoch nicht mit anderen Rollenspiel-Schwergewichten aufnehmen.
Erstklassiger Erzähler
Dass sich mit vergleichbar einfachen Mitteln packende Geschichten mit viel Atmosphäre erzeugen lassen, beweisen die Entwickler von King Art Games genau dann, wenn auf der Weltkarte kleine Ereignisse stattfinden. Wenn Tungdil und seine Gefährten von A nach B laufen, werden manchmal Gespräche zwischen den Charakteren über die Situation, Beschreibungen der Gefühlslage oder kleine Text-Quests mit Entscheidungsmöglichkeiten (ohne großen Einfluss auf den Story) in Form von Multiple-Choice-Dialogen ausgelöst. So gelangt man zum Beispiel zu einem von Orks bedrohten Bauernhof oder trifft auf eine aufgebrachte Bürgermeute, die einen Saatgut-Dieb jagt und erst durch die Dialogoptionen (Nachfragen, Erkundung der Umgebung, weitere Fragen etc.) wird klar, was dort vor sich ging - besonders interessant wird es, wenn man die andere Sichtweise kennenlernt. Diese Ereignisse finden vollends auf der Weltkarte in einem Textfenster statt, aber sobald der Erzähler loslegt und den Text mit seiner Stimme zum Leben erweckt, fühlt man sich fast wie in einem interaktiven Hörbuch - zumal der Erzähler von anderen Sprechern und Sprecherinnen der Charaktere unterstützt wird.
Tungdil trifft auf eine Zwergenkönigin. Auf der Texttafel kann man erkennen, welche Passagen der Sprecher von Tungdil übernimmt und was der Erzähler übernimmt. Den imposanten Schauplatz darf man danach erkunden.
Überraschend gelungen sind die Beschreibungen von Tungdils Gefühlen und Gedanken sowie die szenischen Elemente, die allesamt der Erzähler vorträgt. Manche Passagen wirken wie 1:1 aus dem Buch übernommen und all die kleinen Geschichten, die nicht zwangsweise chronologisch nach dem Buchvorbild ablaufen, bringen Leben in die Welt und bauen die Tiefe der Charaktere aus. Toll!
Schauplätze zum Erkunden und Kämpfen
Jedoch verbringt man nur einen Bruchteil der Spielzeit auf der Weltkarte. Meistens ist man mit den Zwergen und der Gefolgschaft auf separaten 3D-Karten an Schlüsselorten unterwegs. Oft wird dort gekämpft, aber manchmal dürfen die Areale frei erkundet werden. Allen voran darf man sich die großen Heimatorte der Zwerge ausführlich in Echtzeit anschauen, in Abgründe blicken, Aufzüge bestaunen, Gegenstände anklicken (wieder realisiert und kommentiert durch den Erzähler) oder mit anderen Leuten reden. Allzu weitläufig sind die Gebiete nicht und die Rätsel sind auch eher seicht. Dafür trägt die freie Erkundung zur allgemeinen Fantasy-Atmosphäre bei. Etwas mehr Raum für Aktionen hätte trotzdem nicht geschadet.