Leveln und abstimmen
Manche der oben genannten Probleme sind allerdings beabsichtigt. Mit besseren Werten bringt Segas blauer Blitz die fetten Blechkäfer deutlich schneller zur Strecke. Die schläfrigen Urahnen wurden nicht nur für ihre Nickerchen auf der Karte installiert: Im Gegenzug für Sammelobjekte wie gerettete Winzlinge machen sie Sonic stärker, schneller oder verpassen ihm mehr Kapazität für die lebensrettenden Ringe. So lässt sich der eben noch knifflige fliegende Tintenfisch plötzlich deutlich schneller vermöbeln. Für mehr Feintuning können vergebene Geschwindigkeitspunkte sogar zur Ringkapazität umgeleitet werden – oder auch umgekehrt.
Vor allem aus der Nähe ist die Kulisse von Sonic Frontiers Welten von der Pracht eines Ratchet & Clank: Rift Apart entfernt.
Für meinen Geschmack als klassischer Action- und Jump-‘n’-Run-Fan übertreiben es die Entwickler es auf Dauer ein wenig mit der Rollenspiel-typischen Fleißarbeit. Über weite Strecken hat mich das Sammeln und Aufmotzen aber durchaus motiviert. Meist sind die Objekte schließlich schön nacheinander in der Welt platziert. Auch freigeschaltete Attacken oder Kombos halten sich in einem angenehm überschaubaren, aber nützlichen Rahmen. Nach und nach lernt der Held das Parieren, kreisende Spezialmanöver, eingestreute Variationen für Schlagfolgen oder Dauerfeuer-Projektile. Letztere werden nicht übermächtig, selbst wenn Sonic die Monster ein wenig auf Distanz hält.
Geschickte Verstecke
Eine schöne Neuerung ist auch der "Cyberloop": Er schwächt nicht nur manche Gegner und farmt lebensrettende Ringe, sondern deckt auch versteckte Objekte auf. Verdächtig anmutende Dinge sollte man am besten einfach mal umkreisen statt sie schulterzuckend links liegen zu lassen. So offenbaren sich viele kleine Rätsel und Herausforderungen. Als alter Heimcomputer-Fan hat mir vor allem die Hommage ans uralte Schafehüten gefallen – statt blökender Weltraumschafe treibe ich hier allerdings fliehende Steinknirpse über Minenfelder. Andere Aufgaben sind an noch ältere physische Puzzles wie das Brettspiel Solitär angelehnt.
Die Giganten wirken eindrucksvoll, ihre Bosskämpfe leiden aber unter Kameramacken.
So weit, so unterhaltsam. In den Weiten der offenen Zonen bzw. Inseln wartet aber ein gewaltiger Dämpfer, der fast schon an einen Totalausfall grenzt, und zwar die klassischen "Cyberspace"-Levels auf vorgegebenen Wegen. Mit jeweils wenigen Minuten machen sie glücklicherweise nur einen Bruchteil der Spielzeit aus. Doch schon diese Minuten gingen mir gewaltig auf den Wecker. Seit
Sonic Colors auf dem DS und
Sonic Boom: Der Zerbrochene Kristall (3DS) habe ich nicht keinen derart holprigen (Mangel an) Spielfluss mehr erlebt. Schon nach Sekunden wird klar, dass die Physik aus der Open World einfach nicht zu den eingezwängten Passagen mit fester Kamera passen will.
Grottige Cyberspace-Levels
Selbst in den 2D-Passagen wirkt das bruchstückhafte Level-Design wie hingeschludert, zudem wiederholen sich klassische Sonic-Themen wie Green Hill oder fluffige Wolkentürme zu häufig. Letztendlich habe ich mich durchgequält, um die nötigen Schlüssel für Ringe oder eine perfekte Wertung einzusacken – Spaß kam dabei aber nicht im Ansatz auf.
Sonic Generations setzte den Mix beliebter 2D- und 3D-Levels seinerzeit deutlich routinierter um. Mein Tipp für einen Nachfolger wäre, die Macher von
Sonic Mania für die "Cyberspace"-Levels zu engagieren und sich dabei auf klassische 2D-Abschnitte zu konzentrieren. Die an Mania beteiligten Teams verstehen schließlich etwas von Sonics "schwungvoller Schwere" – und wie sie einen passenden Flow erschafft.
Die offenen Starfall Islands bieten allerlei Randgebiete mit unterhaltsamen Parcours.
In Sonic Frontiers macht sich der Mangel an Schwung mitunter auch in den offenen Welten bemerkbar: Ein typisches Beispiel dafür ist Sonics abruptes Abstoppen nach dem Loslassen des Sticks, selbst direkt nach einem Turbo-Feld. Im Rahmen der offenen Areale und ihren Sprungpassagen ergibt die Physik aber durchaus Sinn. Hier ziehe ich mich schließlich mit Homing-Attacken von Gegner zu Gegner, von Bumper zu Bumper und dann weiter zur nächsten Schiene. Selbst wenn die Perspektive kurz statisch bleibt, passt das Timing viel besser zu den Absprüngen als im Cyberspace. Zum krönenden Abschluss starte ich noch einen Doppelsprung und düse weiter durch die weitläufigen Passagen. Nur manchmal macht sich dabei der Zeitdruck der Entwickler bemerkbar, etwa wenn sich die Kamera zu früh wegdreht.
Die Nostalgie lässt grüßen
Zwischendurch gibt es immer wieder Anspielungen auf Sonics Vergangenheit: Beim Bosskampf gegen einen Metalldrachen umkreisen ihn beispielsweise die Raketen wie im Kinofilm aus dem Jahr 2020. Sogar Big the Cat aus
Sonic Adventure hat einen Gastauftritt mit Angel-Minispiel. Auch ein Wasserfall auf der ersten Insel weckt Erinnerungen an den Dreamcast-Klassiker. Schade nur, dass die Musikuntermalung hier deutlich langweiliger ausfällt als in den "Lost Ruins". Im Jahr 1998 ging mir der archaische Singsang zwar schnell auf die Nerven, mit meinem rosaroten Hörgerät des Jahres 2022 vermisse ich solch exzentrisch-charakteristischen Besonderheiten aber.
Immerhin einige Musikstücke lassen auch diesmal aufhorchen. Wenn sich der mutierte Super Sonic zu einem Bosskampf gegen einen Giganten aufschwingt, wird er von energischem Gitarrengeknüppel angefeuert, das mich spontan an Eikes Musikgeschmack erinnerte. Der Großteil der Tracks klingt hingegen reichlich unmotiviert, teils sogar depressiv. Die räumliche Abmischung kann schon eher überzeugen. Manchmal muss ich sogar anhand von Geräuschen versteckte Objekte orten. Nett!
Nur 30 Bilder pro Sekunde?
Die holprigen Cyberspace-Levels grenzen fast schon an eine Frechheit.
Ein weiterer Stimmungsdämpfer sind die voreingestellten 30 Bilder pro Sekunde bei 4K-Auflösung. Im Menü der getesteten PS5-Fassung bin ich schnell zu einer geringeren Auflösung gewechselt, die mit flüssigen 60 Frames läuft. In beiden Einstellungen kommt es übrigens nur ganz selten zu minimalen Rucklern, beispielsweise auf einer Anhöhe mit Ausblick über eine komplette Karte. Ein klares Versäumnis ist der Verzicht auf HDR-Unterstützung auf Sonys aktueller Konsole. Gerade der dynamische Tag-Nacht-Wechsel hätten stark von verschiedenen Lichtstimmungen mit stärkeren Kontrasten profitiert. Sega warnt derzeit übrigens vor Problemen mit Inhalten der Digital Deluxe Edition – sie werden bei zu später Installation (nach dem Tutorial!) überhaupt nicht mehr erkannt (Details dazu findet ihr
hier).