Dieses eine Spiel
Schon lange bevor ich beruflich zwischen Press Start und Game Over unterwegs war, gab es immer
dieses eine Spiel. Ihr kennt es vielleicht? Es ist dieses ganz Besondere, auf das man sich nicht nur über Jahre freut, sondern für das man alles andere liegen lassen würde. Eines, das über "Das werde ich mir sicher kaufen!" hinausgeht. Eines, das einen mit "Nur das will ich, mehr brauch ich nicht!" regelrecht bindet. Je jünger man ist, desto eifriger ist der Schwur, den man seinen digitalen Göttern leistet. Und die kichern natürlich sofort.
Denn
dieses eine Spiel ist ja meist so weit weg wie ein Fixstern. Und man weiß nichts Konkretes, kennt vielleicht nur den Namen, das Studio oder das Genre. Dazu maximal ein paar bewegte Szenen. Aber selbst das Wenige kann schon für diese spezielle Anziehungskraft sorgen, die in den 80er- und 90er-Jahren, die mich als Spieler geprägt haben, noch viel diffuser und naiver, aber gefühlt stärker war. Vor dem aktuellen Zeitalter der Infokalypse, in der uns 100 Spiele pro Sekunde vertikal ins Hirn rauschen, reichte manchmal ein Artwork in einem Magazin - und man war Feuer und Flamme. Hey, nicht kichern!
Das Wort "Hype" trifft es übrigens nicht. Das beschreibt eher das mediale Äußere sowie das euphorische Kollektiv, das letztlich einem kalkulierten Plan folgt. Aber es gibt darunter das emotionale Innere - das kann immun sein gegen fremde oder gar gesteuerte Begeisterung. Zumal gegen den Trend zu sein und alles im Vorfeld zu dekonstruieren, gerade weil man Studio oder Reihe kennt, eine foristische Attitüde unter Zockern ist, die ebenso gesund wie giftig sein kann. Neben
diesem einen Spiel gibt es heutzutage zig Varianten von
dieses scheiß Spiel.
Trotzdem denken die meisten echten Spieler grundsätzlich positiv. Sie können auch böse werden, aber sie alle haben ihre digitalen Fetische und warten insgeheim auf die Erfüllung ihrer Wünsche. Natürlich freut man sich auf so einiges, manche führen sogar lange Kauflisten für ein ganzes Jahr. Aber
dieses eine Spiel, das ich meine, sorgt für eine sehr spezielle Vorfreude, die schon fast der Hoffnung auf ein Wiedersehen ähnelt - klingt komisch, denn es geht ja um neue Spiele und nicht um alte Bekannte. Oder etwa doch?
Manche Ankündigungen sorgen für ein psychologisches Echo, lassen sofort etwas Vertrautes anklingen, so als würde es eine Art digitale Seelenverwandtschaft geben. Die Meinungen anderer oder gar Kritiken dazu sind einem vollkommen egal. Denn es muss keine tolle Wertung bekommen, weil man instinktiv spürt, dass es perfekt zu einem passt. Manchmal weiß man gar nicht, warum man überhaupt so fixiert auf
dieses eine Spiel ist. Trotzdem hütet man es wie einen Schatz, obwohl der nur in einer verschwommen glänzenden Kiste steckt, die man gar nicht öffnen kann.
Ich hatte z.B. über sehr viele Jahre ein Poster von "
Darklands" über meinem Bett hängen - mich quasi ewig darauf gefreut. Wenn ich es heute anschaue, dieses ikonische Kriegerpaar, muss ich schmunzeln. Was war daran so toll? Damals war das genau
dieses eine Spiel für mich. Natürlich gab es mehr als ein Artwork: Das war ein eher unbekanntes Rollenspiel von MicroProse, das 1992 die erste "historische Fantasy" inszenieren wollte, im 15. Jahrhundert in Deutschland, mit Templern und Tatzelwürmern - quasi ein frühes
Kingdom Come: Deliverance. Scheinbar bündelte es einiges, wonach ich mich als Teenager sehnte. Übrigens besaß es das erste "Radiant Quest System" noch vor Skyrim und einige...sorry, ich schweife ab, ich schreibe mal einen Rückblick.
Dieses eine Spiel ist jedenfalls nicht zwingend ein populärer oder wahrscheinlich erfolgreicher Titel, sondern kann auch ein seltsames bis skurriles Projekt aus einer Nische sein. Vielleicht steht es plötzlich im Rampenlicht der eigenen Erwartung, weil es ein vertrautes Thema behandelt oder ein Interesse weckt, das in einem schlummert - ich hab irgendwann Geschichte studiert, Schwerpunkt Mittelalter, dazu das Pen&Paper-Hobby. Aber so individuell, wie man sich das gerne einbildet, läuft das natürlich nicht - es kann auch ein Kollektiv ansprechen: Manchmal ist es das Triple-A-Abenteuer der Marke GTA oder Zelda, auf das man zusammen mit der ganzen Welt wartet.
Vielleicht ist diese seltsam naive Bindung heutzutage, wo nahezu jeder Berge an Ungespieltem anhäuft, wo man unter hunderten Titel wählen und nahezu alles gratis zocken oder anderen live zusehen kann, gar nicht mehr vorhanden. Kennt ihr
dieses eine Spiel überhaupt? Der Überfluss und die Erkenntnis der nicht erfüllten Erwartungen, die man im schlimmsten Fall sogar selber finanziert hat, sorgen natürlich für eine Sättigung und eine Skepsis gegenüber Projekten, die zu früh wie Fixsterne leuchten, aber irgendwie nie näher kommen. So manches Spiel verglüht auch, sobald es endlich da ist und die Faszination verfliegt, als wäre ein Bann gebrochen. Da sitzt man wie ein Häufchen Elend und wartet auf die Patchkolonne.
Aus all dem entsteht mitunter eine zynische Haltung, die Vorfreude auf etwas Neues kaum noch erkennen lässt. Andere zocken nur hier und da mal was, wenn es langweilig ist. Manchmal versiegt der Spaß über die Jahre auch komplett, weil man sich familiär, beruflich oder anderweitig entwickelt. Ich kenne selbst Spiele-Redakteure, die nur noch "beruflich" zocken und privat nur Hamster züchten oder Netflix gucken. Schließlich gibt es so viele andere interessante oder wirklich relevante Themen im Leben. Irgendwann ist dieses Geflacker auf dem Schirm nur Kinderkram. So wie das mit dem Weihnachtsmann. Oder den Göttern.
Ich bin mal gespannt, ob es so weit kommt. Aber so lange es
dieses eine Spiel gibt, das meine Fantasie so anregt wie die schönsten Hoffnungen meiner Jugend, das sein Versprechen auf Abenteuer so nachhallen lässt wie ein digitaler Schmiedehammer, so lange leiste ich meinen Schwur.
Und kicher (heimlich) über mich selbst.
Jörg LuiblChefredakteur