Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 04
Freitag, 29.01.2021

Dieses eine Spiel


Schon lange bevor ich beruflich zwischen Press Start und Game Over unterwegs war, gab es immer dieses eine Spiel. Ihr kennt es vielleicht? Es ist dieses ganz Besondere, auf das man sich nicht nur über Jahre freut, sondern für das man alles andere liegen lassen würde. Eines, das über "Das werde ich mir sicher kaufen!" hinausgeht. Eines, das einen mit "Nur das will ich, mehr brauch ich nicht!" regelrecht bindet. Je jünger man ist, desto eifriger ist der Schwur, den man seinen digitalen Göttern leistet. Und die kichern natürlich sofort.

Denn dieses eine Spiel ist ja meist so weit weg wie ein Fixstern. Und man weiß nichts Konkretes, kennt vielleicht nur den Namen, das Studio oder das Genre. Dazu maximal ein paar bewegte Szenen. Aber selbst das Wenige kann schon für diese spezielle Anziehungskraft sorgen, die in den 80er- und 90er-Jahren, die mich als Spieler geprägt haben, noch viel diffuser und naiver, aber gefühlt stärker war. Vor dem aktuellen Zeitalter der Infokalypse, in der uns 100 Spiele pro Sekunde vertikal ins Hirn rauschen, reichte manchmal ein Artwork in einem Magazin - und man war Feuer und Flamme. Hey, nicht kichern!

Das Wort "Hype" trifft es übrigens nicht. Das beschreibt eher das mediale Äußere sowie das euphorische Kollektiv, das letztlich einem kalkulierten Plan folgt. Aber es gibt darunter das emotionale Innere - das kann immun sein gegen fremde oder gar gesteuerte Begeisterung. Zumal gegen den Trend zu sein und alles im Vorfeld zu dekonstruieren, gerade weil man Studio oder Reihe kennt, eine foristische Attitüde unter Zockern ist, die ebenso gesund wie giftig sein kann. Neben diesem einen Spiel gibt es heutzutage zig Varianten von dieses scheiß Spiel.

Trotzdem denken die meisten echten Spieler grundsätzlich positiv. Sie können auch böse werden, aber sie alle haben ihre digitalen Fetische und warten insgeheim auf die Erfüllung ihrer Wünsche. Natürlich freut man sich auf so einiges, manche führen sogar lange Kauflisten für ein ganzes Jahr. Aber dieses eine Spiel, das ich meine, sorgt für eine sehr spezielle Vorfreude, die schon fast der Hoffnung auf ein Wiedersehen ähnelt - klingt komisch, denn es geht ja um neue Spiele und nicht um alte Bekannte. Oder etwa doch?

Manche Ankündigungen sorgen für ein psychologisches Echo, lassen sofort etwas Vertrautes anklingen, so als würde es eine Art digitale Seelenverwandtschaft geben. Die Meinungen anderer oder gar Kritiken dazu sind einem vollkommen egal. Denn es muss keine tolle Wertung bekommen, weil man instinktiv spürt, dass es perfekt zu einem passt. Manchmal weiß man gar nicht, warum man überhaupt so fixiert auf dieses eine Spiel ist. Trotzdem hütet man es wie einen Schatz, obwohl der nur in einer verschwommen glänzenden Kiste steckt, die man gar nicht öffnen kann.

Ich hatte z.B. über sehr viele Jahre ein Poster von "Darklands" über meinem Bett hängen - mich quasi ewig darauf gefreut. Wenn ich es heute anschaue, dieses ikonische Kriegerpaar, muss ich schmunzeln. Was war daran so toll? Damals war das genau dieses eine Spiel für mich. Natürlich gab es mehr als ein Artwork: Das war ein eher unbekanntes Rollenspiel von MicroProse, das 1992 die erste "historische Fantasy" inszenieren wollte, im 15. Jahrhundert in Deutschland, mit Templern und Tatzelwürmern - quasi ein frühes Kingdom Come: Deliverance. Scheinbar bündelte es einiges, wonach ich mich als Teenager sehnte. Übrigens besaß es das erste "Radiant Quest System" noch vor Skyrim und einige...sorry, ich schweife ab, ich schreibe mal einen Rückblick.

Dieses eine Spiel ist jedenfalls nicht zwingend ein populärer oder wahrscheinlich erfolgreicher Titel, sondern kann auch ein seltsames bis skurriles Projekt aus einer Nische sein. Vielleicht steht es plötzlich im Rampenlicht der eigenen Erwartung, weil es ein vertrautes Thema behandelt oder ein Interesse weckt, das in einem schlummert - ich hab irgendwann Geschichte studiert, Schwerpunkt Mittelalter, dazu das Pen&Paper-Hobby. Aber so individuell, wie man sich das gerne einbildet, läuft das natürlich nicht - es kann auch ein Kollektiv ansprechen: Manchmal ist es das Triple-A-Abenteuer der Marke GTA oder Zelda, auf das man zusammen mit der ganzen Welt wartet.

Vielleicht ist diese seltsam naive Bindung heutzutage, wo nahezu jeder Berge an Ungespieltem anhäuft, wo man unter hunderten Titel wählen und nahezu alles gratis zocken oder anderen live zusehen kann, gar nicht mehr vorhanden. Kennt ihr dieses eine Spiel überhaupt? Der Überfluss und die Erkenntnis der nicht erfüllten Erwartungen, die man im schlimmsten Fall sogar selber finanziert hat, sorgen natürlich für eine Sättigung und eine Skepsis gegenüber Projekten, die zu früh wie Fixsterne leuchten, aber irgendwie nie näher kommen. So manches Spiel verglüht auch, sobald es endlich da ist und die Faszination verfliegt, als wäre ein Bann gebrochen. Da sitzt man wie ein Häufchen Elend und wartet auf die Patchkolonne.

Aus all dem entsteht mitunter eine zynische Haltung, die Vorfreude auf etwas Neues kaum noch erkennen lässt. Andere zocken nur hier und da mal was, wenn es langweilig ist. Manchmal versiegt der Spaß über die Jahre auch komplett, weil man sich familiär, beruflich oder anderweitig entwickelt. Ich kenne selbst Spiele-Redakteure, die nur noch "beruflich" zocken und privat nur Hamster züchten oder Netflix gucken. Schließlich gibt es so viele andere interessante oder wirklich relevante Themen im Leben. Irgendwann ist dieses Geflacker auf dem Schirm nur Kinderkram. So wie das mit dem Weihnachtsmann. Oder den Göttern.

Ich bin mal gespannt, ob es so weit kommt. Aber so lange es dieses eine Spiel gibt, das meine Fantasie so anregt wie die schönsten Hoffnungen meiner Jugend, das sein Versprechen auf Abenteuer so nachhallen lässt wie ein digitaler Schmiedehammer, so lange leiste ich meinen Schwur.

Und kicher (heimlich) über mich selbst.


Jörg Luibl

Chefredakteur

 

Kommentare

VaniKa schrieb am
Von einer allgemeinen Meinung lasse ich mich eigentlich nicht mitreißen. Dass ein Spiel gerade gehypt wird, war für mich noch nie ein Grund, es zu spielen. Da müssen schon immer die Eckdaten stimmen, also Genre, Kampfsystem, Setting, usw. Ich habe da auch keine Angst, etwas zu verpassen. So halte ich es ja auch in anderen Bereichen. Nein, ich muss nicht wissen, wie irgendein Fußballverein gespielt hat. Nein, ich muss diesen Superhelden-Blockbuster nicht gesehen haben.
Insofern filtere ich wohl schon im Vorfeld so gut, dass ich gar keine Dialoge mehr überspringen muss. Ich muss auch sagen, dass ich es irgendwie als unhöflich empfinde, Dialoge oder Sequenzen (die ich noch nicht gesehen habe) einfach zu überspringen. Ich hätte dabei das Gefühl, dass ich damit die Leistung des Studios geringschätze, und ein schlechtes Gewissen. Und nachher messen das noch irgendwelche anonymen Statistiken und die Entwickler sind tatsächlich traurig. Ich habe auch bei WoW immer alle Quest-Texte gelesen. Gehört für mich beim ersten Mal immer dazu, alles brav anzuschauen. Aber wie gesagt, ich empfinde es auch nicht so, dass ich mich damit über Gebühr quälen würde, da auch so belanglose Quest-Texte irgendwie immer ihren Anteil am Gesamtvolumen der Lore haben und ich so auch unterschwellig ein immer besseres Gefühl für die Spielwelt bekomme. Es hilft sozusagen beim "Deep-Learning" der Spielwelt, um ein intuitives Verständnis zu entwickeln.
Aber ich kenne es auch aus eigener Beobachtung, dass manche sich immer die neuesten Spiele holen, die gerade trenden, aber dann auch nur kurz anspielen und dann weiter zum nächsten Spiel hoppen, weil ja drei Tage schon wieder der nächste Toptitel erscheint. Mir wäre das vor allem zu teuer und eben irgendwie auch verschwendete Zeit. Mir scheint das eher ein unreflektierter Umgang mit Spielen zu sein.
LeKwas schrieb am
VaniKa hat geschrieben: ?17.06.2021 10:41Aber warum spielt man solche Spiele dann überhaupt, wenn sie einen so wenig interessieren? Oder gibt es andere Werte, die das kompensieren? Und natürlich geht es mir nicht bei allen Spielen gleichermaßen darum, völlig immersiv einzutauchen.
Bezogen auf den Story-Teil: Meistens wegen des Gameplays. Eine schlechte Story ist ja auch imho kein Beinbruch und leicht ignorierbar, solange das Spiel einen besagte Story- oder Dialogsequenzen skippen lässt. Schlimm wird's erst, wenn die Gamedesigner einemden Krempel aufzwingen wollen, und dafür auch den Spielfluss opfern.
In anderen Fällen: Manchmal besorgt man sich ein Game aufgrund der unzähligen Lobeshymnen darüber, denkt sich sowas wie "Ok, ich spiel es zumindest mal an, denn vielleicht besteht ja doch die Chance, dass ich ansonsten irgendetwas verpassen könnte". Hinterher kann man es zumindest als abgehakt innerhalb der eigenen Spielervita betrachten.
VaniKa schrieb am
LeKwas hat geschrieben: ?16.06.2021 18:16Das ist mir einen Ticken zu verallgemeinernd, denn wie ich als Spieler mit einem Spiel umgehe, hängt unter anderem auch vom jeweiligen Spiel ab. [...] In einigen Spielen sauge ich die gesamte Story und Lore förmlich auf, in anderen hingegen überkommt mich schnell der Eindruck, dass sich das nicht lohnen wird, und ich überspringe alles ungelesen. Kann sein, dass ein bestimmtes Spiel für bestimmte Leute einfach nicht 'Klick' macht, und sie es scheuen, einen hohen Zeitaufwand zu schultern, der sich im Nachhinein für sie nicht auszahlen könnte.
Aber warum spielt man solche Spiele dann überhaupt, wenn sie einen so wenig interessieren? Oder gibt es andere Werte, die das kompensieren? Und natürlich geht es mir nicht bei allen Spielen gleichermaßen darum, völlig immersiv einzutauchen.
CritsJumper schrieb am
Es kommt auch ein wenig auf die Situation an, aber auch auf den Geschmack und ich denke die Zeit ist ein wichtiger Faktor.
Gerade die Loot-Games, oder bei den jüngeren Spielern mit mehr Zeit aber oft kleinem Geldbeutel. Ist es entscheidend was die Stars und Freunde spielen. Um dann mit zu reden spielen sie die Spiele nicht unbedingt für sich.
Auf der anderen Seite will man ja auch "schnell" ein Spiel beenden weil man sich danach ein anderes neues Spiel starten kann.
LeKwas, ja ich verstehe das wenn man das Gefühl hat es ist eine Gurke, das man es dann auch liegen lässt. Auch gibt es Spiele da hat man einfach nicht so den Bezug zu weil man auf das Prinzip nicht so steht.
Aber es ist ein bisschen wie beim Essen. Wenn man neue Früchte ausprobiert, oder neue Zubereitungen kann man welche finden die man liebt. Bisschen ist es bei Spielen auch so.
Für mich sogar noch mehr weil man die oft mit mehreren Sinnen genießt, viele Gruken halt auch schöne Seiten haben. Damals hab ich immer gerne im Angebot für 12 bis 20 DM Spiele gekauft und einfach getestet, zur Pizza. Dabei finden sich viele interessante Titel, generell kann man davon ausgehen, wenn andere einen Titel loben, lohnt es sich schon mal den genauer anzusehen.
Ganz besonders wenn man selber auch mal Spiele entwickeln möchte, ein Fan eines bestimmten Genres ist usw. Klingt wirklich blöd, und ja ist es vielleicht auch. Aber gut Adventures oder Mechaniken kann man sehr gut schätzen wenn man die Entwicklung der Spiele sieht.. und an welchen Stellen viel Arbeit rein geflossen ist.
Ich selber kann dann auch schon mal über etwas hinweg sehen. Mud Runner ist aktuell so ein Spiel. Es wirkt wie die vielen verschiedenen Simulatoren, macht aber auch etwas komplett neu und begründet damit eine neue Linie von Videospielen, die es so noch nicht gab. Stellenweise hat man das auch bei Indie-Games.
Die machen dann irgendwas Neues, und das bringt frischen Wind rein.
Klar an den Titeln bleibt man nicht kleben... aber man steckt da so viele...
LeKwas schrieb am
Das ist mir einen Ticken zu verallgemeinernd, denn wie ich als Spieler mit einem Spiel umgehe, hängt unter anderem auch vom jeweiligen Spiel ab.
Während ich z.B. bei den Soulsbornes jedes mal bereit bin, viel Zeit darin zu investieren und jeden Stein umzudrehen und jedes Geheimnis zu lüften, weil man sich entsprechend Mühe beim Welt- und Leveldesign gegeben hat, rushe ich bei diversen Open World Spielen wie Skyrim durch oder breche gleich komplett ab.
Der sog. 'Bloat', d.h. das Aufplustern der Spielwelt mit schlecht gemachtem Content oder leerer Landmasse nur zum Zwecke der Erfüllung einer Quote oder marketingwirksamen (Quadratkilometer-)Zahl ist meines Erachtens leider ein großes und weit verbreitetes Problem gerade beim Gamedesign von Open World Spielen. Von daher blicke ich hoffnungsvoll, aber zugleich eben auch mit einer gewissen Sorge auf Elden Ring.
Ähnlich sieht es auch mit der Story aus. In einigen Spielen sauge ich die gesamte Story und Lore förmlich auf, in anderen hingegen überkommt mich schnell der Eindruck, dass sich das nicht lohnen wird, und ich überspringe alles ungelesen.
Kann sein, dass ein bestimmtes Spiel für bestimmte Leute einfach nicht 'Klick' macht, und sie es scheuen, einen hohen Zeitaufwand zu schultern, der sich im Nachhinein für sie nicht auszahlen könnte.
schrieb am