Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 22
Donnerstag, 30.05.2019

Hideo Kojima setzt ein Zeichen


Mit Visionen sollte man bekanntlich vorsichtig sein. Aber als Spieler kann man sich freuen, dass Hideo Kojima 1986 mit 23 Jahren nicht zum Arzt gegangen ist, sondern sich in Tokio bei Konami vorstellte. Mit Metal Gear konzipierte er über die nächsten knapp 30 Jahre eine der wichtigsten Reihen der Spielegeschichte, in der er als Designer und Regisseur seine Spuren hinterließ.

Und wenn mich nicht alles täuscht, nimmt seine größte Vision gerade faszinierende Formen an. Ich bespreche seit fast zwanzig Jahren Spiele. Ich freue mich immer noch über Ankündigungen, sei es The Last of Us 2 oder Vampire: Die Maskerade Bloodlines 2 - das ist alles cool. Aber kein Trailer der letzten Jahre konnte mich dermaßen neugierig und auch aus spielehistorischer Sicht froh machen wie der aktuelle zu Death Stranding.

Warum? Normalerweise sehe ich Szenen, erkenne das Spiel, öffne eine Schublade und darin verschwindet es bis zum Release - selbst Cyberpunk 2077 ist schon sortiert. Aber Hideo Kojima öffnet endlich wieder eine Tür, hinter der das Ungewisse einer wirklich fremden Welt wartet, die man nicht sofort durchschaut. Was ist das für ein künstlerischer Kontrapunkt zu einem Anthem, das in null Komma nichts eine Zielgruppenhülle war! Unsere Kommentare nach den ersten Szenen von 2017 entsprachen quasi der enttäuschenden Wertung von 2019...

Bisher war dieses Death Stranding ja auch nur ein interessantes Gedankenspiel auf Videoclip-Niveau. Aber jetzt verleiht Hideo Kojima seiner Science-Fiction auch spielerische und erzählerische Substanz, indem er der exotischen Welt greifbare Interaktionen und Motive hinzufügt, die auch aktuelle Probleme und Fragen betreffen. Das kann alles in sich zusammen brechen, wenn das Drehbuch nicht liefert. Aber: Damit setzt er seine eigene Tradition fort, und zwar auf die bisher mutigste und vielleicht kreativste Art. Sein neu gegründetes Kojima Productions scheint sich unter Sony komplett austoben zu dürfen.

Er wollte bekanntlich Regisseur werden. Aber im Gegensatz zu David Cage, der spätestens mit Heavy Rain einen radikaleren Ansatz wählte, indem er das Kompetitive der digitalen Unterhaltung konsequent mied, basierte Hideo Kojimas Werk immer auf einer klassischen bis innovativen Spielmechanik, in der auch Details von der Bewegung bis zum Kampf begeistern konnten.

Spätestens auf der kleinen PlayStation inszenierte er 1998 mit Metal Gear Solid ganz großes Kino. Es gibt kaum ein anderes Spiel, das ich so oft ins Laufwerk gelegt und beendet habe. Schon damals zeigte er nicht nur ein Gespür für filmisches Erzählen, das in den kommenden Titeln noch weiter verstärkt werden sollte, sondern auch für die Konzeption einer Welt mit futuristischen und gesellschaftskritischen Tendenzen.

Auch wenn er später den roten Faden verlor und sich mit dem fünften und letzten Metal Gear in offener Welt verzettelte: Im Gegensatz zu vielen anderen Spieldesignern wollte er nicht nur unterhalten, sondern immer auch etwas sagen - er verstärkte nicht einfach den westlichen Status quo, wie die gewöhnliche militärische Action, sondern hinterfragte und kritisierte Amerika.

Jetzt wendet er sich von der klassischen Stealth-Action ab, aber kehrt zu diesem Motiv zurück: In Death Stranding ist das Land der Freien dem Tode nah, vegetiert zersplittert und fragmentiert vor sich hin. Menschen haben Mauern gebaut, misstrauen sich, leben abgeschottet voneinander. Der resigniert wirkende Held erklärt, dass man auch kein Land mehr brauche, woraufhin die alte Frau erwidert, dass man alleine keine Zukunft habe. Also gilt es, wieder Verbindungen zwischen ihnen zu schaffen. In den aktuellen Szenen ist einiges an frischen und bizarren Ansätzen sichtbar, die Erkundung und Verbindung im Gelände zeigen. Die Brückenbildung ist sowohl ein Teil der Spielmechanik als auch Motiv im Storytelling.

Auch wenn sein "Social Stranding System" noch nicht ganz greifbar ist: Hier scheint Kojima noch viel abstrakter, aber auch deutlicher als in Metal Gear nicht nur eine Geschichte, sondern auch etwas über unsere Welt erzählen zu wollen. Natürlich muss man abwarten, natürlich steckt hier auch viel Hollywood drin, schließlich taucht ja nicht nur Guillermo del Toro auf.

Aber vielleicht nähert sich der begeisterte Cineast hier seiner zweiten Liebe: der Literatur. Wenn man bedenkt, dass einer seiner Lieblingsschriftsteller Abe Kobo (1924 - 1993) ist, der sich u.a. an Kafka orientierte und der sich vor allem den Themen der Entfremdung, der Vereinsamung und Verwandlung des Menschen sowie dem Verlust von Identität widmete, und der in seiner Erzählweise ebenso ambivalent war, dass man nicht sofort alles logisch durchschauen konnte, wirkt Death Stranding - bei aller Vorsicht - schon fast wie eine digitale Hommage.

Nach der Einstellung des viel versprechenden Silent Hills und dem unrühmlichen Ende der Zusammenarbeit mit Konami war ich traurig. Hier schien ein kreativer Meister der Pionierzeit und damit eine markante Handschrift der Spielewelt langsam Abschied zu nehmen. Selbst die Ankündigung von Death Stranding wirkte ja zunächst wie ein verzweifeltes Aufbäumen, dem man nicht ganz trauen konnte.

Jetzt bin ich froh, dass Hideo Kojima, der ja schon für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, seinen Weg als Spieldesigner nicht nur fortsetzt, sondern dass er aller Welt zeigen will, dass das längst nicht alles war.

Ich freue mich riesig auf Death Stranding.

Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

johndoe1044785 schrieb am
Macht meine Aussage ja nicht falsch ;) liquid und solidus hatten ja andere Sprecher :Vaterschlumpf:
johndoe711686 schrieb am
Flextastic hat geschrieben: ?13.06.2019 16:29 Schräg fand ich eher, das Hayter Vater und Sohn gesprochen hat, von daher war das jetzt so eben völlig okay für mich.
Du meinst wohl Vater und Klon. :D
johndoe1044785 schrieb am
Als Spieler und Liebhaber aller Teile hatte ich erfreulicherweise kein Problem damit. Schräg fand ich eher, das Hayter Vater und Sohn gesprochen hat, von daher war das jetzt so eben völlig okay für mich. Hayter wird (auch für mich) immer solid snake bleiben, keine frage.
johndoe711686 schrieb am
Flextastic hat geschrieben: ?13.06.2019 15:16 Was natürlich Quatsch ist, es sei denn, man ist Baujahr ab 2000.
Sutherland war eine logische konsequenz und kojimas Wunsch (Film und Spiel zu vereinen) . Ausserdem hat Sutherland meiner Meinung nach einen tollen job gemacht.
Hat er auf jeden Fall, hat auch der Sprecher von Gandalf im hobbit oder die neue (deutsche) Stimme von Homer Simpson. Aber wenn man über Jahrzehnte eine Figur mit einer Stimme in Verbindung bringt, klingt es zwangsläufig erst mal seltsam, einfach weil ungewohnt.
johndoe1044785 schrieb am
Was natürlich Quatsch ist, es sei denn, man ist Baujahr ab 2000.
Sutherland war eine logische konsequenz und kojimas Wunsch (Film und Spiel zu vereinen) . Ausserdem hat Sutherland meiner Meinung nach einen tollen job gemacht.
schrieb am