Fremdschämen in Georgien
Die Geschichte von Sniper Ghost Warrior 3 könnte aus einem B-Movie der schlechteren Art stammen. Im Zentrum des Geschehens steht Elite-Vorzeigesoldat Jonathan North und gleich im Prolog ist man dabei, wie sein Bruder - ebenfalls ein Soldat - von unbekannten Schergen entführt wird. Vorher darf man aber in einer sensationell verwaschenen Zwischensequenz aus vergangenen Zeiten miterleben, wie die unsympathischen und schlecht synchronisierten North-Brüder versuchen so etwas wie Freundschaft und Brüderlichkeit mit kleinen Nicklichkeiten zu imitieren - mit wenig bis gar keinem Erfolg. Der Kunstgriff mit dem Blick in die Vergangenheit wird mehrfach in der Kampagne wiederholt, lenkt dort jedoch eher vom grundlegenden Konflikt mit den Separatisten in Georgien ab, bis Jonathan dann auf die Idee kommt, dass sein Bruder in dem Zielgebiet sein könnte …
Ganz allgemein ist die Inszenierung von Sniper Ghost Warrior (vor allem in den Zwischensequenzen) ziemlich ungelenk bzw. hölzern und viel besser sieht es bei Mimik und Gestik der Charaktere auch nicht aus. Hinzu kommt, dass die Geschichte nichts Halbes und nichts Ganzes ist. Gelegentlich blitzen nette Story-Einfälle bei den Gegnern oder beim Smalltalk durch,
In qualitativ ziemlich mäßigen Zwischensequenzen wird die B-Movie-Geschichte mit größtenteils unsympathischen Charakteren und grauenhaften Dialogen fortgeführt.
doch dann wird alles furchtbar belanglos, vorhersehbar und unglaubwürdig. Spätestens wenn die mit üppigen Kurven und tiefen Ausschnitten gestalteten Frauen auftauchen, schnellt der Fremdschämfaktor in die Höhe, gerade wenn von vergangenen Beziehungskisten, verpassten Hochzeitschancen und Arschlochverhalten gesprochen wird. Wenn es in den Gesprächen um die Mission oder die Zielperson geht, ist das Gelaber der Charaktere erträglich, aber wenn es um die zwischenmenschliche Ebene oder gar um Emotionen geht, versagt das Spiel völlig und rutscht in die Lächerlichkeit ab.
Apropos vergeigte Synchronisation: Nicht nur die deutschen Sprecher schaffen es kaum, die Charaktere lebendig wirken zu lassen (
Beispiel), auch die Übersetzung ist fehlerbehaftet und längst nicht konsistent. In einem Dialog spricht North ganz klar davon, dass er gerade in Georgien, an der Grenze zu Russland, sei. Seine Gesprächspartnerin hingegen spricht vom US-Bundesstaat Georgia (englische Betonung), meinte jedoch Georgien … und so geht stückweise die Glaubhaftigkeit der Welt flöten.
Weitläufig und lebloses Land
Doch zum Glück spielt die Geschichte in einem Scharfschützen-Shooter nicht die erste Geige. Man ist also in Georgien unterwegs, muss Leute ausschalten, der lokalen Bevölkerung helfen, seinen Bruder finden und einen 'Geist' jagen. Los geht die Reise in die braun-dunkelgrün-matschige und später schnee-matschig offene Spielwelt mit einem sich schwammig steuernden Fahrzeug.
Die landschaftliche Gestaltung der offenen Welt ist auf den ersten Blick okay, aber belebt sind die drei großen Karten nicht. Unscharfe und matschige Texturen stechen ebenfalls ins Auge.
Durch enge, trostlose und unbelebte Straßen fährt man zu seinem Versteck. Erst sieht es so aus, als wäre die Welt durch den Bürgerkrieg so leer, so bedrückend und so unbelebt, aber nach einigen Stunden wird klar: die Welt ist einfach leblos und öde, weil es an Dynamik, Überraschungen und KI- Eigenleben fehlt. Und ziemlich schnell wird klar, dass die Spielwelt im Vergleich zu
Ghost Recon Wildlands den Kürzeren zieht. Trotz dynamischer Licht- und Schatteneffekte und netter, dichter Vegetation sind immer wieder niedrig aufgelöste Texturen und eckige Landschaftsbausteine zu sehen. Später gesellen sich noch karge Innenräume hinzu. Sniper Ghost Warrior 3 kann in den Bereichen Vielfalt und Lebendigkeit nicht mithalten, zumal die offene Welt nicht nahtlos zugänglich ist, da zwischendurch die Karte (Fahrt durch Tunnel) gewechselt werden muss.
Fehlende Erkundungsanreize
Im lauschigen Sniper-Unterschupf angekommen, aktiviert man sein Notebook, startet den nächsten Auftrag und wählt seine Ausrüstung (Waffe, Munition und Co.) aus. Danach verlässt man die Höhle und tuckert mit seinem Fahrzeug durch die Pampa oder lässt sich zu einem Schnellreisepunkt teleportieren, den man vorher erst entdecken haben muss. Auf dem Weg dahin kann man sich im virtuellen Georgien umsehen und Interessenspunkte besuchen. Dort kann man unter anderem Einheimische retten, Gegenstände zum Crafting sammeln, Relikte aus der Vergangenheit oder besondere Scharfschützengewehre finden, denn als Scharfschütze sammelt man bekanntlich Scharfschützengewehre. Trotz dieser Nebenschauplätze schafft es die offene Welt nicht, ihre Erkundungsanreize nachhaltig zu entfalten, da abseits zu wenig geboten wird, das System zu schnell durchschaut ist und der Sammeldrang nach wenigen besuchten Punkten dahin ist.