Zwei lebendige Städte
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Die erste Stadt Flotsam ist auch gleich ein Höhepunkt, der später nicht mehr erreicht wird. |
Flotsam und Umgebung wirken unheimlich lebendig. Nicht nur, weil diese Siedlung am Fluss mit ihren Holzbauten und ihrem schmutzigen Charme am ehesten an eine mittelalterliche Siedlung erinnert, sondern weil man dort alten und jungen, hübschen und hässlichen Bewohnern begegnet - die Kinder spielen und stellen neugierig Fragen, der Metzger schlachtet, der Schmied hämmert, am Marktplatz wird gerichtet, die Alten fluchen und die Dummen lästern, wenn man als Hexer an ihnen vorbei geht. Auch die sozialen und völkischen Konflikte werden hier schnell deutlich, denn es gibt angepasste Anderlinge und Rebellen, die steckbrieflich gejagt werden. Kurzum: Man kann eintauchen und genießen!
Und man kann nebenbei in drei Minispielen etwas Geld verdienen: Es gibt Würfelpoker mit fünf W6ern, Faustkämpfe als WASD-Reaktionstests mit Turnier oder Armdrücken als Geschicklichkeitsprüfung mit der Maus - was allerdings viel zu leicht ist, denn selbst Hünen mit Megabizeps knallt man umgehend auf den Tisch. So hat man sich nach dem ersten Akt auch an sie gewöhnt und wird später nicht mehr von neuen Spielen überrascht. Es gibt ansonsten nur sporadische Aktionen innerhalb der Spielwelt. Aktives Schlösser knacken gehört nicht dazu, obwohl man auf viele verschlossene Türen trifft. Dafür gilt es an einigen Stellen den passenden Schlüssel zu finden und einzusetzen.
Hinzu kommt endlich mal eine Taverne in Flotsam, die ihren Namen verdient: Gemütlich, urig, stimmungsvoll. Zwar kann man nicht mit jedem reden, man vermisst Dialoge mit dem Wirt über Land und Leute, aber alle Gäste wirken wie einzigartige Persönlichkeiten und man hat das Gefühl, das sich in Flotsam gegen Abend alles um diese Taverne und das Bordell gleich nebenan versammelt; die Schenke in Vergen ist ebenfalls gelungen. Auch sonst stimmen die Reaktionen: Zückt man sein Schwert, fürchten sich die normalen Leute und die bierbäuchigen Wachen reagieren energisch, weisen einen zurecht. Bis hierhin scheint alles - allerdings auch nur in zwei interessanten Städten - perfekt, aber mit der Zeit bröckelt leider die authentische Fassade.
Supermarkt und Freiklau
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Geralt ist bereits ein fertiger Kämpfer und Magier, den man nur noch leicht entwickeln kann. |
Flotsam und die gesamte Welt ist wie ein Supermarkt für den Hexer aufgebaut, der sich überall bedienen kann: Dass man zig Kräuter pflücken kann, ist natürlich kein Problem. Aber dass man überall Säcke, Kisten und Truhen mit wertvollen Zutaten findet, wirkt beliebig und billig. Warum hat man seltene Dinge nicht schwerer zugänglich gemacht?Und dass man alle Behälter ohne Konsequenzen bei hellichtem Tage leeren kann, selbst wenn der Kaufmann davor noch Inventur macht, raubt dem Spiel etwas von seiner Atmosphäre, denn die Leute begegnen dem Hexer ansonsten misstrauisch - so füllen sich die Taschen natürlich umgehend mit einer Fülle an Gegenständen.
Auch die Häuser der einfachen Bewohner lassen sich einfach so betreten und vor den Augen ihrer Besitzer plündern. Das wäre noch zu verschmerzen, wenn es wenigstens bei den wichtigen Personen und Räumen einen Rausschmiss geben würde. Aber bei einer zwielichtigen Magierin darf man sich in ihrer Anwesenheit bedienen und selbst bei der Audienz des Stadtkommandanten darf man vor seinen Augen all seine Schatullen und Schränke leeren! Warum brüllt er einen nicht an? Warum ist nicht wenigstens alles verschlossen? Hier versagt die sonst so gute Regie. Und ich frage mich, warum die Polen diesen atmosphärischen Fauxpas zugelassen haben.