Dornröschen lässt grüßen
Ein Merkmal von Städten ist die Lebendigkeit, das Gewusel, die Geschäftigkeit. Die Pariser Innenstadt, die Lara erkundet, kann sich zwar architektonisch sehen lassen, aber die Straßen wirken bis auf ein paar Kontaktpersonen wie leergefegt.
Wer GTA 3 oder Shenmue kennt, wird seinen Augen nicht trauen: keine Passanten, kein Verkehr, kein Leben. Dass Laras Flanieren durch diese sterile Metropole schon nach wenigen Sekunden einen Ladebildschirm erfordert, ist daher nicht ganz verständlich.
Glanz und Krampf
Dabei bewegt sich Tomb Raider optisch auf oberem PS2-Niveau: Trotz 50 Hz-Modus gibt es nur sehr schmale Pal-Balken und bemerkenswerte Slowdons sind auch nicht zu verzeichnen. Auch Lara wirkt dank tanzendem Pferdeschwanz, perfekt sitzender Jeans und animierter Sitzmuskulatur recht ansehnlich. Zwar müssen PS2-Besitzer auf manche Spiegeleffekte auf nassem Boden verzichten, aber dafür wirkt die ganze Szenerie auf der PS2 wie aus einem Guss - es gibt weniger grobe Qualitätsunterschiede als auf dem PC.
Und der Louvre ist z.B. ein einziger glänzender Prachtpalast, der der PS2 alle Ehre macht. Auch das architektonische Arrangement der Städte, manche Licht- und Nebelspiele in finsteren Gängen sowie die Inneneinrichtung der Räume kann zunächst eine stimmungsvolle Atmosphäre aufbauen.
Dieser Glanz vergeht nur bei genauerem Hinsehen. Schaut man zum Himmel, sieht man ein entzauberndes, starres Firmament; schaut man ins Inventar sieht man einfache, nicht drehbare Items; schaut man zu Türen oder Fenstern sieht man fade Texturtapeten; schaut man auf den Boden, sieht man grobklotzige Grashaufen.
Auch Fußabdrücke auf Asphalt und viele falsche Schatten trüben das optische Bild. Und wenn ein Gemälde an ein zerlaufenes Tuschebild erinnert, kann von Kunst keine Rede mehr sein. Hinzu kommen diverse Clippingfehler, die beim Klettern an Regenrinnen und beim Springen auftauchen.
Und Lara offenbart auf den zweiten zugleich den männlichen Blick: Ihre Bewegungen gehören eher in den Bereich Voyeurismus als Realismus - die Designer hatten scheinbar eine Vorliebe für Steifigkeit und Hinterteile in allen Lebenslagen. Ms. Croft dreht sich wie ein Segelschiff mit Mast und kriecht wie ein laszives 0190-Babe durch Korridore.
Klar ist das durchaus ansehnlich, aber angesichts der düsteren Story und des Mordverdachts hätte man sich mindestens ebenso viele Bewegungsnuancen und Kamerafahrten für Laras Gesicht gewünscht. Am Ende bleibt Lara eben doch bloß das sexy Babe und verfehlt die Chance, sich als weiblicher Charakter zu etablieren.