Die Lust am Mogeln - Die Ästhetik von Cheats
Ein Gastbeitrag von Julian Kücklich
1. Cheats als ästhetisches Phänomen
Cheats haben bisher von der jungen Disziplin der game studies nur wenig Aufmerksamkeit erhalten. Aber Cheats sind ein wichtiger Teil der Spielkultur - dies wird allein schon daran deutlich, dass fast kein Spielmagazin ohne Cheatrubrik auskommt und dass Cheat-Websites sich anhaltender Beliebtheit erfreuen. Darüber hinaus gibt es kaum Spiele, in denen es nicht die Möglichkeit gibt zu mogeln. In anderen Worten: wenn wir Computerspiele spielen sind Cheats immer eine Option. Ob wir mogeln oder nicht, die Spielerfahrung ist immer davon beeinflusst, dass uns 'illegale' Mittel zur Verfügung stehen.
In Multiplayer-Spielen beeinflussen Cheats nicht nur die Erfahrung dessen, der sie anwendet, sondern auch die seiner Mitspieler. In Spielen wie Counterstrike sind Spieler, die mit 'aimbots' ausgerüstet sind, den anderen Spielern so weit überlegen, dass sie im Prinzip unverwundbar sind. Oft verlagert sich die Herausforderung für 'professionelle' Cheater vom Wettkampf mit anderen Spielern zu einem Wettkampf mit den Maßnahmen zur Cheat-Prävention, die auf den Spielservern eingesetzt werden. Erst dann können wir eigentlich vom Mogeln als einer 'illegalen' Tätigkeit sprechen und das Vergnügen dieser Tätigkeit beruht sicherlich zum Teil darauf, dass sie soziale Normen überwindet.
2. Was sind Cheats?
Es ist nicht einfach Cheats zu definieren, denn sie sind so mannigfaltig wie die Computerspiele, in denen sie Anwendung finden. Die meisten Cheats geben Spielern einen Vorteil, der von den Regeln des Spiels nicht vorgesehen ist. Aber andere Cheats verändern einfach nur das Aussehen der Spielwelt. Ein Beispiel dafür sind die berüchtigten 'Blutcheats', mit denen zensierte Darstellungen von Gewalt und Blutvergießen wieder hergestellt werden können.
'Blutcheats' stellen sicherlich keine Verletzung der Spielregeln dar, aber ihre Anwendung erfordert oft die direkte Manipulation von Spieldateien - und dies geht über die intendierte Nutzung des Spiels hinaus. Können wir Cheats also als eine Verwendung des Spiels definieren, die nicht von den Entwicklern vorgesehen ist? Wohl nicht. Denn es ist nicht immer möglich, die intendierte Nutzung eines Spiels zweifelsfrei festzustellen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Grenzfälle, wie zum Beispiel Mods. Counterstrike ist eine Spielweise von Half-Life, die von den Entwicklern nicht vorgesehen war, aber es geht wohl zu weit, Counterstrike als Cheat zu betrachten.
Aber Cheats erfordern auch nicht immer die direkte Manipulation des Spielcodes. Walkthroughs sind eine verbreitete Form des Mogelns in Abenteuerspielen wie Tomb Raider, die viele Rätsel enthalten. Die Entwickler des Spiels wollten sicher, dass diese Rätsel gelöst werden, also greift das Kriterium der 'intendierten Nutzung' hier auch nicht. Tatsächlich scheinen Cheats nur eines gemeinsam zu haben: sie verändern die Art und Weise, wie Spieler das Spiel wahrnehmen - entweder, indem sie das Aussehen der Spielwelt selbst verändern oder indem sie die Hindernisse, die die Entwickler in das Spiel eingebaut haben, leicht überwindbar machen.
3. Theoretische Herangehensweisen
Ein theoretischer Zugang zu Cheats muss den Spielkontext miteinbeziehen. Es erscheint dabei hilfreich, Spiele nicht nur als Texte zu betrachten, in denen bestimmte Passagen mit Hilfe von Cheats übersprungen warden können, sondern auch als Medien, die neue Möglichkeiten der symbolischen Interaktion schaffen. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, Spiele als kybernetische Systeme zu betrachten, in denen das Mogeln einen Wiedereintritt der Umwelt in das Spielsystem selbst ermöglicht.
3.1. Singleplayer-Spiele
Adventures ähneln in vielerlei Hinsicht literarischen Texten und mit einigen Vorbehalten können diese Spiele mit Hilfe literarischer Textanalysemethoden untersucht werden. Die Art und Weise, in der Cheats das narrative Gefüge von Spielen verzerren, kann daher mit ähnlichen Strategien in der Literatur verglichen werden. Zwar scheint das Genre der Abenteuerspiele mittlerweile fast ausgestorben zu sein, aber Spiele wie Ico oder Fable weisen immer noch strukturelle Ähnlichkeiten mit den klassischen Adventures der 80er und frühen 90er Jahre auf. In Adventures ist die am weitesten verbreitete Form des Cheats der Walkthrough. Meistens enthalten diese Dokumente detaillierte Instruktionen, wie bestimmte Hindernisse im Spiel überwunden werden können.
In Abenteuerspielen resultiert der Spielspaß aus einem genau austarierten Gleichgewicht zwischen den Rätseln, mit denen das Spiel den Spieler konfrontiert, und den Mitteln, die das Spiel dem Spieler an die Hand gibt, um diese Rätsel zu lösen. Der Spielspaß beruht daher darauf, dass der Spieler das Gefühl hat, dass eine Lösung existiert. Wenn diese Lösung auf Anhieb gefunden werden kann, wird dies meist als antiklimaktisch empfunden, aber wenn die Lösung sich überhaupt nicht finden lässt, wird der Spieler schnell frustriert. Die Freude am Spiel kann dann nur dadurch wieder hergestellt werden, dass der Spieler mogelt.
Cheats in Abenteuerspielen können daher als Mittel verstanden werden, die "topologischen Begrenzungen" (Espen Aarseth) des Spiels zu überwinden. Schließlich beruht der Spaß am Spiel immer auf einem Gleichgewicht zwischen den Spielregeln und dem Freiraum, die diese Regeln dem Spieler lassen. In einem Adventure nicht weiter zu kommen ist ein Beispiel für die Überdeterminierung des spielerischen Freiraums durch die Spielregeln, da die Anzahl der Bedingungen für das Fortschreiten der Handlung größer ist, als die subjektiv empfundenen Handlungsmöglichkeiten des Spielers. Cheats können dieses Dilemma lösen, indem sie die subjektiv empfundene Begrenztheit des Spiels verringern und so den Spielprozess wieder in Gang bringen.