iPhone - Die kreative Fingerkiste?
Wann habt ihr das letzte Mal für 80 Cent Spielspaß gekauft? Für einen Appel und ein Ei kann man laut Flurfunk und
diesem Video gerade verdammt viele davon kaufen. Man investiert deutlich weniger als für ein blödes Kostüm auf Xbox Live oder PSN und bekommt ein Spiel. Ist das nicht toll? Aber bis vor ein, zwei Wochen haben mich iPod Touch & Co nicht interessiert. Ganz und gar nicht. Und auch jetzt bin ich noch skeptisch, obwohl "Flight Control" und "Frenzic" beharrlich an meinen Pausen knabbern.
Vielleicht liegt das daran, dass ich Apples edle Handapparate auch privat nicht zum Telefonieren oder Musik hören nutze. Selbst ein Blick auf News oder Videos konnte mich nicht wirklich neugierig machen. Nett, bunt, belanglos - Handyspiele eben. Und damit landeten sie sofort als uninteressanter Schnickschnack in meiner Schublade für mobile Resteverwertung. Mich interessieren die großen Spiele, die epischen Spiele, die echten Spiele. Auch davon gibt es theoretisch genug - Silent Hill, kürzlich sogar Resident Evil. Aber als mich einmal Assassin's Creed für iPhone neugierig gemacht hat, kam ich aus dem Fluchen gar nicht mehr heraus - was ist das für ein schwammiger Witz von virtuellem Steuerkreuz!
Nur PlayStation Portable und vor allem Nintendos DS konnte mich bisher davon überzeugen, dass fasziniertes Abtauchen in andere Welten auch im kleinen Format möglich ist. Deshalb sind die beiden für mich fast vollwertige Konsolen für die Hosentasche; iPod Touch und iPhone sind bisher nicht mehr als stylische, wenn auch
technisch überaus potente Multimediageräte - schließlich investiert Apple auch keine kreative Kraft in die Entwicklung eigener Spiele; man findet quasi User-Generated-Games.
Die Geschäftsidee ist klasse, die Qualität ebenfalls? Oder habe ich die fingerfreundliche Tatschkiste zu früh abgestempelt? Hat sich die Spielewelt in den letzten Monaten vielleicht weiterbewegt? Haben nicht immer mehr kleine und kreative Titel unsere Wertungen gestürmt, die genau so oder ähnlich auf dem iPhone möglich wären? Braid, Patapon, Loco Roco, Flower, Puzzle Quest, Plants vs. Zombies, Big Bang Mini, Peggle.
Irgendwann, als wir über das Thema Apple und Spiele diskutierten, fiel ein Satz von Paul: "Mein iPod Touch ist derzeit die beste Spielkonsole." Ich fragte überrascht: "Wie jetzt? Besser als DSi, Xbox 360 & Co?" Und Paul sagte nur: "Vielleicht nicht als Ersatz. Aber wenn ich was privat spiele, dann nur noch das." Eine Frage in die redaktionelle Runde brachte dann folgendes Ergebnis: Die Apfelspaltung inklusive saftiger Debatte von "So ein kleiner Handymist!" über "Wer braucht das, wenn er einen DS hat?" bis "Große mobile Spielkultur".
Ja was denn nun? Nach den letzten beiden Wochen der Recherche habe ich zwar immer noch über die Steuerung geflucht, aber auch ein, zwei coole Zeitfresser gefunden und muss zumindest anerkennen, dass es sich bei allem Hype auch um ein kreatives Phänomen handelt, das die Spielewelt beeinflusst. Und es weckt durchaus nostalgische Erinnerungen an dieses wilde Brodeln von anno dazumal. Apple sorgt gerade für eine Goldgräberstimmung, die auf den ersten Blick Parallelen zu der Zeit aufweist, in der die ersten großen Spiele für C-64, Amiga & Co geboren wurden. Das war die große Zeit der Erstfaszination für viele Zocker meiner Generation.
Auch damals gab es eine Flut an Ideen, die - wenn überhaupt - von kleinen Teams, meist nur von ein, zwei Mann in ein paar Tagen virtualisiert wurden. Sprich: Wenig Leute konnten mit wenig Aufwand eigene Spiele entwickeln. In dieser Pionierzeit der Branche entstanden die meisten der heute bekannten Genres, gab es die größten Innovationen und Kreationen. Nicht etwa, weil damals alles besser, schöner und weniger kommerziell war, sondern ganz einfach deshalb, weil die Spielewelt noch eine terra inkognita war, ein unbeschriebenes Blatt - herrlich frei für die ersten Farben und Formen.
Das, was die aktuelle Lage mit der damaligen Zeit gemeinsam hat, ist vor allem die Magie des geringen Risikos. Sprich: Wenig Leute können mit wenig Aufwand eigene Spiele entwickeln. Das sorgt heute wie damals für eine Aufbruchstimmung bei den Herstellenden und eine enorme Vielfalt für Konsumierende. Man muss ja nur mal Apples Store öffnen - und schon kommt die Flut! Jeden Tag rauscht da mehr durch die Leitungen, jeden Tag sammelt sich mehr in einem riesigen Staubecken namens iTunes. Man geht fast unter im verführerischen Angebot zwischen kostenlos, 79 Cent und ein paar Euros.
Aber heute gibt es fast keine schwarzen Flecken mehr - alle wesentlichen Genres wurden entdeckt, alle grundlegenden Designkonzepte erforscht. Fast alles, was wir heute spielen, ist nicht mehr als eine polygonisierte Variation dessen, was irgendwann in den 80ern und 90ern schon da war. Was ich damit sagen will: Das, was derzeit auf iPod Touch und iPhone erscheint, ist auf den zweiten Blick oftmals einfach nur Portierung, Umsetzung oder gar dreiste Kopie. Viele erfolgreiche und zeitlose Spielideen werden geklaut - man kann fast schon von einem Turboplagiatismus sprechen.
Hinzu kommt, dass auch viele alte und schlechte Konzepte stur umgesetzt werden. Es ist also vieles verführerisch billig, manches sogar innovativ und kreativ, aber sicher nicht alles Gold, was da vom Apfelbaum fällt. Als Spieletester begegnet man auf Schritt und Tritt unglaublich dilettantischen Schnitzern von fehlenden Ranglisten, blöden Steuerungsdefiziten bis hin zu schweren Bugs oder grauenhaftem Artdesign. So viele, dass wir zwanzig neue Mitarbeiter bräuchten, um mit den Verrissen hinterher zu kommen. Bräuchten wir auch zwanzig neue, um mit den Awards hinterher zu kommen?
Noch schwanke ich zwischen Faszination und Frustration, wenn ich den iPod Touch anschmeiße. Und sobald ich iTunes öffne, erinnert mich die bunte Vielfalt immer wieder an einen unüberschaubaren YouTube-Grabbeltisch für Spieler - mal findet man was Cooles, lädt es, beißt rein und grinst kurz, aber man wird auch oft von Schrott enttäuscht. Da geht es mir ähnlich wie einigen, die im Forum die
aktuelle Umfrage diskutieren.
Wir wollen in den nächsten Tagen anhand einiger Specials, Kommentare und Tests herausfinden, ob die Spiele hinsichtlich Spaß und Kreativität mit der Qualität anderer Plattformen mithalten können. Und wir wollen danach entscheiden, ob sie eine Zukunft auf 4Players.de haben.
Die Karten liegen auf dem Tisch - lasst uns spielen!
Jörg Luibl
Chefredakteur