4Players: Ja, das kam auch bei unseren Lesern gut an. Können Sie interessierten Lesern eine Lektüre für den Einstieg in die Welt der Spielwissenschaften empfehlen, die man ohne Latinum verstehen kann?
Julian Kücklich: Das gerade erschienene Buch von Celia Pearce (und ihrem Avatar, Artemesia) über die Uru-Diaspora, das ich zur Zeit lese, ist sehr empfehlenswert und auch sehr leserfreundlich geschrieben (Communities of Play, MIT Press, 2009).
4Players: Was ist Ihnen als Dozent für Gamedesign wichtig? Welche Werte und Unterrichtsstoffe wollen Sie vermitteln?
Julian Kücklich: Mir ist vor allem wichtig, dass die Studenten lernen, dass in Computerspielen nicht notwendigerweise Elfen, Drachen und Zwerge oder Raumschiffe und futuristische Wummen vorkommen müssen. Im Moment produziert die Spielindustrie ja viele Spiele, die sich sehr stark an etablierten Mustern und Genres orientieren, während innovative Konzepte vor allem aus der Independent-Szene und aus dem Social- und Mobile-Bereich kommen.
Deshalb haben meine Kollegen und ich zum Beispiel die Gamedesignerin Heather Kelley zu einem Vortrag an die MDH eingeladen. Heather war in der Vergangenheit bei Ion Storm und Ubi Soft an großen Produktionen wie Thief und Splinter Cell beteiligt, aber in letzter Zeit kümmert sie sich als eine der Kuratorinnen des GAMMA-Festivals vor allem um den Nachwuchs aus der Indie-Szene (
http://www.kokoromi.org/gamma01).
4Players: Es geht also während des Studiums nicht nur um das Analysieren des spielerischen Mainstreams, sondern auch um die Sensibilisierung für kleinere, aber evtl. wertvollere Aspekte?
Julian Kücklich: Ja, auch der Experimental Games Club (EGC) an der MDH, der von meinem Kollegen Thomas Langhanki konzipiert und vom Fachbereich Gamedesign gegründet wurde, ist ein Versuch, die Genres und Konventionen der Computerspielkultur ein Stück weit aufzubrechen. Bis zuletzt haben wir gemeinsam mit den Studenten aller drei Jahrgänge an einem Spielkonzept zum Thema kulturelle Differenz auf Basis einer Comicvorlage von Shaun Tan (The Arrival) gearbeitet. Das war für die Studenten und uns sehr spannend, weil wir mit lose strukturierten Teams (Gamedesign, Art, Programmierung) gearbeitet haben, die sich gegenseitig mit ihren Ideen inspiriert haben.
4Players: Wir Tester üben ja jeden Tag Kritik an Spielen, reden über Fehler und Schwächen. Wie wichtig ist die Kritik in einem Studium für Gamedesigner?
Julian Kücklich: Was die Werte und Skills betrifft, die ich in meinen Seminaren vermitteln will, sind an erster Stelle kritisches Denken und analytische Fähigkeiten zu nennen. Denn meines Erachtens muss ein guter Gamedesigner alles hinterfragen und in der Lage sein Spiele konzeptuell auseinander zu nehmen und neu wieder zusammenzusetzen. Bahnbrechende Innovationen sind ja nicht nur in der Computerspielwelt eher selten. Aber wer ein gutes Gespür dafür hat, wie Spiele funktionieren, kann auch selbst gute neue Spielkonzepte entwickeln.
Ich will aber auch Bewusstsein dafür schaffen, dass Games-Entwicklung nicht im luftleeren Raum stattfindet. Es gibt dabei ethische, soziale, politische und ökonomische Fragestellungen, mit denen sich angehende Gamedesigner auseinandersetzen sollten. Auch theoretische Herangehensweisen sind für Gamedesigner sehr wichtig, weil Theorie ein Werkzeug ist, um konventionelle Denkmuster aufzubrechen. Es ist zwar nicht immer ganz einfach den Bezug zwischen Theorie und Praxis herzustellen, aber wenn es gelingt, ist das sehr produktiv.
4Players: Worum ging es in Ihrem letzten Seminar?
Julian Kücklich: Mein aktuelles Seminar "Vektorgrafik und Animation" konnte ich leider nicht zu Ende führen. Das tut mir insbesondere für die Studenten im zweiten Semester Gamedesign an der MDH Berlin leid. Sie waren mit großem Interesse und Eifer dabei, weil das Seminar auch der Vorbereitung ihres 2D-Projekts dient. Das ist die erste große "Bewährungsprobe" für die Gamedesigner an der MDH.
Zuvor habe ich im vierten Semester Spielregeln und dann Projektmanagement unterrichtet. Besonders das Projektmanagement-Seminar hat viel Spaß gemacht, weil die Studenten in Eigenregie eine Ausstellung über Computerspielgeschichte für die Lange Nacht der Wissenschaften an der MDH konzipiert und organisiert haben. Die Ausstellung war bei den Besuchern ein riesiger Erfolg und ich war wirklich sehr stolz, dass die Studenten das so professionell gemacht haben. Und nicht nur die Studenten, sondern auch ich, haben dabei sehr viel über Gruppendynamik und die Arbeit in einem großen Team gelernt.
Ansonsten standen bei meinen Studenten in den letzten beiden Semestern z.B. "Spielregeln", "Soziale und ethische Aspekte von Computerspielen" und "Kommunikationsdesign" im Stundenplan. Als nächstes hätten wir uns dann mit "Virtuellen Welten" beschäftigt. Dieses Modul war bei den Studenten in Vergangenheit sehr beliebt, weil ich dabei eine virtuelle Währung, die "Goldenen Kücklichs" (GK) eingeführt habe. Dafür gab es zwar nichts zu kaufen, aber wir haben viel darüber gelernt, wie virtuelle Ökonomien funktionieren. Wenn ich mich richtig erinnere stand der Kurs zuletzt bei 1.000.000 GK zu einem WoW-Goldstück.
4Players: Welche Voraussetzungen sollte man als Student mitbringen, um Gamedesigner zu werden?
Julian Kücklich: Zunächst natürlich ein großes Interesse für Spiele und zwar nicht nur für Computerspiele , sondern auch Brett- und Kartenspiele, Gesellschaftsspiele etc. Wichtig ist auch die Fähigkeit strukturiert zu denken und zielstrebig und diszipliniert zu arbeiten. Kreativität spielt natürlich auch eine wichtige Rolle, wobei es mir wichtig ist hervorzuheben, dass nicht nur Gestalter (Konzeptkünstler, Animatoren, Modellierer etc.) kreativ arbeiten, sondern selbstverständlich auch Programmierer.
Als angehender Gamedesigner sollte man auf jeden Fall auch andere Interessen mitbringen, da ein guter Game Designer in der Lage sein muss, über den Tellerrand seines Fachgebiets hinaus zu sehen. Alle anderen Fähigkeiten, egal ob es sich um Programmierung, Gestaltung, Projektmanagement oder betriebswirtschaftliche Kenntnisse handelt, werden normalerweise im Rahmen eines Gamedesign-Studiengangs vermittelt.
Bei der Auswahl einer geeigneten Akademie oder Hochschule sollten die Bewerber daher darauf achten, dass die Vielfalt des Berufsbildes auch im Curriculum sichtbar wird. Gamedesign ist nun mal grundsätzlich ein interdisziplinäres Feld und die Studiengänge sollten entsprechend strukturiert sein.