Zwischen Schuld und Sühne
Was hat es mit diesem Postboten auf sich? Murphy begegnet ihm immer wieder.
Immerhin ist Murphy kein Roboter, auch wenn die englische Sprachausgabe mitunter bei allen Beteiligten künstlich hallt. An zwei Stellen friert das Abenteuer plötzlich ein und er kann Entscheidungen treffen: Rettet man das Leben einer Polizistin, die einen gerade noch festnehmen wollte? Tröstet man einen fahrlässigen Mörder, der zig Kinder auf dem Gewissen hat? Diese viel zu seltenen moralischen Zwickmühlen wirken allerdings wie plump eingestreute Fremdkörper, zumal Murphy sonst nicht reden oder gar entscheiden kann. Vor allem im Vergleich zum cleveren psychologischen Konzept in
Silent Hill: Shattered Memories, wo der Spielablauf dynamisch an die eigenen Antworten angepasst wurde, mutet das zu statisch an.
Aber sie beeinflussen die möglichen Enden. Auch die Art der Spielweise hat später Einfluss darauf – darunter die Frage, ob man in den Gefechten lediglich kampfunfähig macht oder tatsächlich mit einem finalen Schlag tötet. Bei Ersterem hat man das Problem der Wiedergänger, bei Letzterem rumort es bedrückend aus den Boxen…
Schon der äußerst brutale Einstieg im Gefängnis gibt einen Vorgeschmack auf die kommenden Extremsituationen, in denen es um das nackte Überleben in einer lebensfeindlichen Welt zwischen Realität und Alptraum geht. Warum enden Highways in Abgründen? Wie zur Hölle kommt ein Rollstuhl auf das Dach einer Tankstelle? Irgendetwas stimmt in der Gegend nicht. Und Murphy bekommt recht früh einen monströsen Blick hinter den Vorhang: Er durchsucht gerade noch ein verlassenes Gebäude nach Werkzeugen, als plötzlich die Wände schmelzen und etwas wie ein schwarzes Loch ihn durch gleißende Tunnel jagt, während er ausweichen oder Hindernisse umwerfen muss. Auch diese bizarre Fluchtszene wirkt zunächst wie ein Fremdkörper, weil sie zum einen technisch unheimlich gut gemacht ist (bis dato wirkte die Kulisse eher bieder) und weil sie zum anderen nach den subtilen Andeutungen (der Rollstuhl auf dem Dach) etwas zu früh die expliziten Register der Marke Hölle hoch drei zieht. Man hat fast das Gefühl, als wollten die Entwickler früh zeigen, was sie an visuellen Effekten drauf haben - spielerisch ist das Fluchterlebnis eher banal.
Adventure-Stimmung und Geisterflair
Mit Taschenlampe oder Feuerzeug kann man für etwas Licht sorgen - später kommt sogar UV hinzu.
Die Hintergrundgeschichte lässt sich nämlich ansonsten angenehm Zeit, so dass man in den ersten Stunden fast mit einem anonymen Gestrandeten unterwegs ist. Und der will sich nicht seiner Vergangenheit stellen oder auf die Psychocouch, sondern einfach nur fliehen. Dazu braucht er Kraft im Kampf, aber auch Köpfchen. Zwar muss man auch mal einfach nur mit Gewalt ein Vorhängeschloss aufbrechen , Wasser abpumpen oder eine Feuerwehrleiter mit dem passenden Werkzeug herunter ziehen. Aber dieses Silent Hill überrascht in vielen Situationen mit einem intensiveren Adventure-Flair, das immer wieder für ruhige Momente des Rätselns sorgt. Obwohl man teilweise dutzende Gegenstände wie Gemälde mit sich herum trägt, werden diese leider nur stiefmütterlich als undefinierbare 2D-Objekte dargestellt – man kann sie weder drehen noch zoomen, um mehr zu erfahren oder zu sehen. Warum spart man sich diesen Blick auf Details?
Aber das klassische Kombinieren von Items ist ohnehin nur in Ansätzen gefragt. Mal muss man Zahlen ergänzen oder ausschließen, Codes knacken, die passenden Farben aus einem Gedicht heraus filtern, ein Bild zusammen fügen, die richtigen Gegenstände an verfluchte Orte bringen oder clever einen Brand verursachen, indem man den Verdünner und sein Feuerzeug kombiniert. Falls man die Umgebung vorher nicht nach Hinweisen absucht, kann ein Mechanismus auch mal ein Buch mit sieben Siegeln sein – die Rätsel erreichen zwar kein Kopfnussniveau, sind aber mitunter knackig. Zu den atmosphärischen Highlights gehört die Inszenierung eines gespenstischen Theaterstücks, bei dem man in korrekter Reihenfolge Licht, Musik und Wetter für Hänsel und Gretel arrangieren muss – mit schaurigem Ausgang.