Schnipselwerk
Einmal Fauxpas, immer Fauxpas: Das kleine Assassin's Creed ist voller erzählerischer Fehler. Ob die behände Heldin im eigenen Hauptquartier nicht einmal knöchelhohe Hindernisse hinaufsteigt, ob Aveline gerade noch an den friedvollen Wachen einer Baustelle vorbei schlendert, die von einer Sekunde zur nächsten zum Sperrgebiet mit tödlichen Folgen wird oder ob sie zwei Wachen nicht ohne vorheriges Morden bestehlen kann,
Video:
Aveline de Grandpré ist die erste weibliche Hauptfigur der Serie. Die Person im Animus kennt man diesmal nicht.
obwohl sie sonst jederzeit jede Figur beklauen kann. Auf Vita wird ein Abenteuer zusammengestrickt, das nur zum Selbstzweck Missionen aneinander fügt. Und wann immer es sein muss, tritt dieser interaktive Stichpunktzettel die eigentliche Stärke eines Assassin's Creed, die glaubhafte offene Welt, einfach mit den Füßen.
Mit einem Fußtritt in den Hintern wird man auch zu Beginn ins kalte Wasser getreten: "Hallo Spieler! Du bist die kleine Aveline, das ist ihre Mutter, mit dem linken Stick läufst du umher. Hoppla, du hast deine Mutter verloren. Schleiche durch einen Hinterhof an sie heran. Oh, es ist gar nicht deine Mutter. Und Schnitt!" Das Ganze dauert zwei, drei Minuten – es ist die komplette Einleitung. Immerhin: Der knappe Abriss passt ins Bild. Denn Assassin's Creed: Liberation erzählt den Großteil seiner Geschichte in kurzen Dialogschnipseln, die Motive und Emotionen nur oberflächlich anreißen. Selbst Aveline bleibt blass, weil sie sich als Mischling zweier Außenseiter ständig für die politisch und moralisch korrekte "UNO-Lösung" starkmacht.
Die Touch-Bedienung
Ein Vitaspiel muss die Funktionen des Handhelds nutzen - so lautet wohl die Regel. Und so öffnet man Briefe, indem zwei Finger über die vordere und hintere Touch-Oberfläche fahren. Man stiehlt, indem ein Finger auf der Rückseite nach oben oder unten fährt und man kippt die Vita, um eine Kugel durch ein kreisrundes Labyrinth zu lenken.
Besonderes Letzteres funktioniert allerdings unglaublich schlecht und auch der Diebstahl erinnert eher an Glücksspiel. Manche Menüs sind zudem teilweise nur über Touchscreen, teilweise nur per Taste zu bedienen.
Dabei ist die Handlung auf dem Papier sogar spannend, denn die Attentäterin mit afrikanischen und französischen Wurzeln muss in der Neuen Welt nicht nur ihren Platz behaupten, sie bekommt es auch mit Sklavenhandel zu tun – ein Aspekt, den das zur gleichen Zeit stattfindende Assassin's Creed 3 nur am Rand beleuchtet. Und sogar die futuristische Ebene um den Animus spielt eine geheimnisvolle kleine Rolle, obwohl die Drahtzieher der historischen Simulation diesmal nicht im Vordergrund stehen. Umso bedauerlicher, dass sich die Erzählweise auf nüchternes Stichpunktflimmern verlässt, anstatt starke Szenen zu zeigen.
Neues, altes Orleans
Kann der Vita-Ableger, der bis auf eine Begegnung mit Connor keine direkte Verbindung zu Assassin's Creed 3 herstellt, wenigstens spielerisch an den Serienvater anknüpfen? Nein. Wenn man Assassin's Creed 3 als Flickenteppich unzusammenhängender Elemente betrachtet, so ist Liberation die Flickensammlung, aus der mal ein Teppich werden sollte.